Once I knew

6.7K 288 4
                                    

Ich konnte die aufschlagende Autotür hinter mir hören, eine fluchende Mai, dann knallte ein Schuss. Ich schrie auf und duckte mich im Laufen unwillkürlich, doch der Mann zog mich unerbittlich weiter.

Schon hatten wir den Rand der Straße erreicht und er zog mich in das schummrige Licht zwischen den Hochhäusern. Langsamer wurde er trotzdem nicht, wir rannten eine schmale Gasse entlang, bogen dann ab in eine Hauseinfahrt, liefen aber am Haus vorbei, quer über einen Hinterhof und ein paar Stufen herunter.

Wir landeten in einer finsteren kleinen Kellerkneipe, kaum mehr als ein Loch, einen Namen konnte ich nirgendwo erkennen. Ein paar nicht sehr vertrauenswürdig aussehende Klapptische standen herum, eine dürre Frau kehrte im hinteren Teil den Boden, die Bar sah ansonsten verlassen aus.

Ich war unwillkürlich langsamer geworden, was dem Mann nicht zu gefallen schien, denn er stieß mir den Lauf nochmal in den Rücken. Ich unterdrückte ein Stöhnen, das würde auf jeden Fall einen blauen Fleck geben. Er bugsierte mich zu einem Tisch am Rand und schubste mich unsanft auf einen Stuhl. Mein Herz pochte schwer und ich keuchte leise vor mich hin. Ich war es nicht gewohnt so schnell und weit zu rennen.

Der Druck der Waffe verschwand, doch der Mann blieb hinter mir stehen. Mein Kopf, der anscheinend so geschockt war, dass ich schon wieder entführt worden war, blieb ganz ruhig und versuchte, die Lage zu analysieren. Ich glaubte nicht, dass Mai schnell genug gewesen war, um uns bis hierher zu verfolgen. Das bedeutete, ich war auf mich allein gestellt, ich musste selber zusehen, dass ich nicht umgebracht wurde. In meinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit, das ich jedoch mit aller Macht versuchte, zu unterdrücken. Ich durfte jetzt nicht in Panik verfallen, nicht jetzt, wo es darauf ankam.

Ich ließ den Kopf sinken und betrachtete durch meine Strähnen den Teil von meinem Entführer, den ich sehen konnte. Viel war es nicht, nur sein einer Fuß und ein Stück seines Beines. Er trug eine ausgewaschene Jeans, die ihre besten Tage offensichtlich schon seit einiger Zeit hinter sich hatte, dafür aber sehr gepflegt aussehende Nike-Turnschuhe.

Obwohl die Überlegung nahe lag, glaubte ich nicht, dass die Hounds hinter all dem steckten. Ich hatte diesen Typen noch nie bei den Hounds gesehen und wahrscheinlich hätte er mich dann einfach im Auto erschossen. Außerdem hatte ich weder an ihm, noch irgendwo in dieser Kneipe das Symbol der Hounds gesehen, der dreiköpfige Hund, der das Tor zu Hölle bewachte, der Höllenhund. Wenn es also nicht die Hounds waren, wer um alles in der Welt hatte mich denn dann entführen lassen?

Als hätte ich die Frage laut gestellt und er wolle sie mir beantworten, löste sich in diesem Moment eine Gestalt aus der Dunkelheit im hinteren Teil der Kneipe.

„Danke Bombay", krächzte Billys heisere Stimme und ich versuchte eilig, meinen Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle zu kriegen, als er in das schummrige Licht trat und sich mir gegenüber auf einen Stuhl fallen ließ. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als mir klar wurde, welchen Namen er gerade benutzt hatte.

„Bomb...", der Name blieb mir im Hals stecken, als ich mich auf dem Stuhl umdrehte und den Mann nach Zeichen absuchte, dass er tatsächlich ein früherer Kumpel von mir sein könnte. Bombay war mit mir und Marc zusammen aufgewachsen. Wir hatten zusammen auf denselben versifften Spielplätzen gespielt, hatten zusammen in Hinterhöfen rumgehangen und mit ihm zusammen damals auf Blechbüchsen geballert. Bombay, falls er es denn wirklich war, hatte radikal abgenommen, hatte seinen Babyspeck, den er auch mit vierzehn noch gehabt hatte, in harte Muskeln verwandelt. Auch sein Gesicht hatte sich verändert, war zäher geworden, erwachsener, aber seine Augen hatten sich nicht verändert, waren immer noch dasselbe Schokoladenbraun. Ich keuchte auf, als ich es sah.

Bombay räusperte sich, offensichtlich verlegen. „Hi Liz", murmelte er. Ich brachte nur ein Nicken zustande.

„Ach herrje, seid ihr zwei niedlich", machte sich Billy über uns lustig. Seine rot geränderten Augen fixierten mich mit einem stechenden Blick, bei dem mir ganz anders wurde.

Obwohl ich mich nicht wohl dabei fühlte, Bombay den Rücken zuzuwenden, ging von Billy spürbar die größere Gefahr aus. Ich wandte mich zu ihm und musterte ihn. Er sah immer noch scheiße aus, seine kleinen Frettchenaugen betrachteten mich bedrohlich.

„Was soll das, Billy? Warum lässt du mich aus einem Auto entführen?", wagte ich mich vor.

Er hob gereizt die Augenbrauen. „Ich wollte mit dir reden und das lässt sich gerade relativ schwierig bewerkstelligen, ohne dass das FBI mithört, soweit ich weiß..."

Ich unterdrückte ein Aufkeuchen, als ich das hörte. Sogar Billy wusste schon, dass ich mit dem FBI zusammenarbeitete?

„Woher weißt du...", krächzte ich und Billy lachte auf.

„Mädchen, das weiß inzwischen fast jeder im Viertel..." Ich spürte, wie mir das Blut in den Ohren rauschte, mit Mühe atmete ich aus und zwang mich, wieder Luft zu holen.

„Das heißt...", ich wagte nicht weiterzusprechen, doch Billy war so freundlich.

„Das heißt, du bist vogelfrei, zum Abschuss freigegeben, Freiwild... Nenn es wie du willst, es läuft auf das gleiche heraus."

Mühsam unterdrückte ich den Instinkt, der in mir aufstieg, aufzuspringen und zu rennen so schnell und so weit ich konnte. Billy betrachtete mich mit leicht schief gelegtem Kopf. Ein leises, böses Lächeln spielte um seinen Mundwinkel. Er warf Bombay einen schnellen Blick zu, der mir das Blut zu Eis gefrieren ließ. Er würde doch nicht...

„Du hast gesagt, du willst nur mit mir reden!", stieß ich heraus.

Billy verengte seine Augen. „Das ist wahr. Glaubst du, ich würde dich umbringen wollen?" Er wartete kurz auf meine Reaktion, sah anscheinend was er sehen wollte und fuhr fort: „Natürlich würden die Hounds viel für deine Leiche zahlen, Verräterin." Er sah wie ich beim Wort ‚Verräterin' zusammenzuckte und runzelte die Stirn.

„Du solltest dich an dieses Wort gewöhnen. Ich bin nicht der einzige im Viertel, der so denkt. Jedenfalls habe ich nicht das Bedürfnis, dich umzubringen."

So sehr mich diese Worte beruhigten, so sehr irritierten sie mich auch. „Warum nicht?", fragte ich, auf die Gefahr hin, dass er es sich anders überlegen würde.

„Nun, zum einen bist du immer noch die Tochter eines langjährigen Freundes, und zum anderen schuldest du mir immer noch einen Gefallen. Den ich jetzt, um zum Grund unseres Gesprächs zurückzukommen, einfordere."

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt