Panic

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Agent Bushner kam schon wieder zu spät. Mich persönlich störte es eigentlich nicht besonders, ich war für jeden Moment, den ich noch meine Ruhe hatte, dankbar, doch Agent McMahon war sichtlich genervt. Sie trabte im Zimmer auf und ab, sah immer wieder auf ihre Armbanduhr und spielte an ihren auffälligen silbrigen Ohrringen herum. Immer wieder sah sie auch zu mir, doch ich gab mich ungerührt, ich wollte mich nicht von ihrer Ungeduld anstecken lassen. Meine Anwältin saß neben mir und blätterte selbstvergessen in irgendwelchen Unterlagen, auch sie sah ab und zu auf ihre Uhr, doch bei ihr hatte es eine wesentlich gelassenere Wirkung.

Dann, vielleicht zehn Minuten nach der angepeilten Zeit, öffnete sich schließlich die Glastür und ein offensichtlich gehetzt wirkender Bushner kam herein. Er fuhr sich wie nebenbei über den Kopf mit den kurzrasierten schwarzen Haaren und warf McMahon einen schuldbewussten Blick zu.

Sie hob vorwurfsvoll die Augenbrauen und obwohl ich erwartet hatte, dass sie etwas Bissiges von sich geben würde, kam in beinahe spielerischen Ton: „Hast du dir etwa schon wieder deinen Afro abrasiert, oder was hat da so lange gedauert?"

Irritiert runzelte ich die Stirn. Derselbe Spruch wie beim letzten Mal, als Bushner sich verspätet hatte, ob das wohl ein Insider von den beiden war? Abschätzend musterte ich Bushner, überlegend ob er wohl tatsächlich mal einen Afro getragen haben könnte, aber ich kam zu keinem Ergebnis. Ich hatte auch keine Zeit mehr, länger zu überlegen, denn Bushner überspielte den Kommentar mit einem Achselzucken und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.

„Guten Morgen, Miss Brooks", begrüßte er mich förmlich und öffnete die Mappe, die er in der Hand gehabt hatte. Sofort verschwanden alle leichten, wenn auch sinnlosen Überlegungen bezüglich seiner Frisur aus meinem Kopf und ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Es war soweit.

Ich verzog meine Lippen zu etwas, von dem ich hoffte, dass es zumindest an ein Lächeln erinnerte und brachte ein gequetschtes „Morgen" heraus.

McMahon folgte Bushner und setzte sich auf den Stuhl neben ihm. Meine Anwältin schien sich endlich von ihren Unterlagen lösen zu können und richtete sich auf.

„Ok, Ms. Brooks, um den nächsten Stunden ein bisschen die Formalität zu nehmen, möchten Sie etwas zu Trinken haben?", begann McMahon mit einer unerwarteten Frage. Ich nickte, etwas zu Trinken klang ganz gut, mein Hals fühlte sich jetzt schon ganz trocken an.

Bushner stand auf, ging zu einer Art Kommode am einen Ende des Raums und stellte die darauf stehende Kaffeemaschine an. Danach füllte er ein Glas mit Wasser und stellte es vor mir ab. Ich schenkte ihm einen dankbaren Blick. McMahon nickte zufrieden.

„Zuerst wird es nun darum gehen, welche kriminellen Aktivitäten der Organisation Hounds of Hell Sie direkt mitbekommen haben. Dabei geht es um Straftaten, die sich gegen Sie gerichtet haben oder bei welchen Sie anwesend waren. Zögern Sie nicht, uns etwas zu erzählen, Sie können sich an diesem Punkt nicht selbst belasten. Das Gespräch wird aufgezeichnet.", erklärte Bushner mir. Ich versicherte mich mit einem Seitenblick der Zustimmung meiner Anwältin und atmete dann tief durch.

„Wo soll ich anfangen?", fragte ich verunsichert.

„Manchen Leuten hilft es, chronologisch vorzugehen. Sie können auch zuerst eine Aufzählung machen und wir stellen zu den einzelnen Punkten dann Fragen", schlug McMahon vor. Das klang einleuchtend für mich.

„Das erste Mal bin ich persönlich mit den Hounds in Kontakt gekommen, als sie mich eingesackt haben und meinen Vater zusammengeschlagen haben."

„Eingesackt?", fragte Bushner nach.

„Gekidnappt, könnte man vielleicht auch sagen", präzisierte ich. „Ich war in unserem Viertel unterwegs, sie haben mit einem Auto neben mir gehalten, mir einen Sack übergestülpt, meine Hände gefesselt und mich mit vorgehaltener Waffe in das Auto gezwungen. Dann haben sie mich irgendwo festgehalten und mir meinen Vater gezeigt, den sie zusammengeschlagen haben", versuchte ich, so sachlich wie möglich zu erzählen. Trotz meines sachlichen Tons konnte ich nicht verhindern, dass Erinnerungen in meinem Kopf auftauchen, heimtückisch und ungebeten an die Oberfläche trieben und plötzlich hatte ich wieder das Gefühl, ich würde keine Luft kriegen, weil ich einen dunklen Sack über dem Kopf hatte. Ich bemerkte, wie sich meine Atmung unwillkürlich beschleunigte. Ich versuchte, ruhig durchzuatmen, mich dazu zu zwingen, mich wieder zu beruhigen, doch der tiefe Atemzug, den ich genommen hatte, kam als Keucher wieder heraus. Ich konnte nicht mehr stillsitzen.

Ich sprang auf, stieß ein „Ich kann das nicht!" heraus und machte, dass ich aus dem Zimmer kam. Halb blind vor Panik tastete ich mich durch das Großraumbüro, stieß mit jemandem zusammen, nuschelte eine Entschuldigung und sah dann, Gott sei Dank, das Symbol für die Damentoilette.

Ich schloss die Tür hinter mir, lehnte mich dagegen und atmete erleichtert auf. Ruhe, wenn auch nur für kurz. Mit einem kurzen Ruck löste ich mich von der Tür und ging zu den Waschbecken. Mein Gesicht sah mir aus dem Spiegel entgegen. Ich war wachsbleich, meine dunklen Augen aufgerissen und von blauen Ringen untermalt. Ich spürte mein Herz schwer klopfen, als ich mich über das Waschbecken beugte und mir ein bisschen Wasser ins Gesicht spritzte.

Im nächsten Moment fuhr ich hoch, weil jemand an die Tür klopfte.

„Ms. Brooks?", hörte ich McMahon durch die Tür rufen. „Ms. Brooks, sind sie dort drin? Ich komme jetzt rein, in Ordnung?"

Und bevor ich irgendetwas entgegnen konnte, wurde die Tür aufgestoßen und Agent McMahon enterte meinen sicheren Hafen. Ich starrte sie an und spürte, wie mir ein Wassertropfen seitlich am Auge vorbei rann. McMahon atmete erleichtert auf, als sie sah, dass ich hier drin war. Das wiederum löste meine Starre und ich nahm eins von den Papiertüchern, um mein Gesicht abzutrocknen.

„Kann ich eine kurze Pause haben?", fragte ich mit dünner Stimme. McMahon verzog entschuldigend, aber dennoch nicht erfreut das Gesicht.

„Aber... wir haben doch gerade erst angefangen?", wandte sie ein.

„Nur fünf Minuten", bat ich und guckte so flehentlich wie ich konnte, bis sie schließlich nickte.

„Fünf Minuten", bekräftigte sie und zog die Tür wieder hinter sich zu.

In der zurückbleibenden Stille schloss ich kurz die Augen, lehnte mich dann mit dem Rücken gegen das Waschbecken und holte mein Handy aus der Hosentasche. Ich musste mit irgendjemandem reden, den ich kannte; und der mich kannte. Diese drei Personen in dem Raum kannten mich nur als eine Nummer auf einem Dokument.

Ich scrollte durch meine Kontaktliste. Marc war der erste, der mir einfiel, doch nach kurzem Überlegen verwarf ich den Gedanken wieder. Er stand dem FBI noch skeptischer als ich gegenüber und er war noch weniger als ich begeistert von der Bedingung, dass wir gegen die Hounds aussagen mussten. Mary wäre die nächste gewesen, doch sie machte gerade einen so instabilen Eindruck, dass ich sie nicht auch noch mit meinen Problemen belästigen wollte. Eine Weile blieb es still in meinem Kopf. Devil, kam mir in den Sinn, doch sie konnte ich nicht anrufen. Sie hatte keine Ahnung von dem ganzen Schlamassel, in dem ich steckte. Außerdem war Noah ihr beschissener Vater.

Als hätte mein Gehirn nur auf die Überleitung gewartet, kämpfte sich ein weiterer Name nach oben. Ryan.

An diesem Punkt muss mein Verstand ausgesetzt haben, denn ich kann mir bis heute nicht erklären, warum meine Finger über den Bildschirm wischten, schließlich zweimal tippten und meine Hand das Handy zu meinem Ohr hob.

Es tutete zweimal, dann knackte es in der Leitung und plötzlich hörte ich eine Stimme.

„Liz?"


Yeah, ich hab es endlich mal wieder geschafft, ein Kapitel zu schreiben. Ich kann leider auch weiterhin nicht sagen, wann ich mal wieder Zeit für eins finde. Ich hoffe, euch gefällt das hier trotzdem ;)

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt