Tired

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Tja, wie sollte ich das erklären? Jemand aus meinem alten Viertel hat einen Gefallen von mir eingefordert, ich soll meine Aussage zurückziehen und dann hat sein Handlanger, den ich früher mal zu meinen Freunden gezählt habe, mein Gesicht zu Brei geschlagen und mich auf der Straße liegen lassen? Scheiße, würden die viele Fragen stellen.

Es war inzwischen gegen neun Uhr abends, ich war müde, hatte Schmerzen und generell unglaublich schlechte Laune. Dementsprechend knapp fielen meine Antworten auf die Fragen aus.

„Wer war der Mann, der dich aus dem Auto gezerrt hat?"

„Weiß nicht."

„Warum bist du mit ihm mitgelaufen?"

„Er hatte eine Knarre."

„Wo seid ihr hingelaufen?"

„Weiß nicht, so 'ne Kellerbar."

„Wie hieß die Kellerbar? Wie sah sie aus? Hast du dir einen Straßennamen gemerkt?"

„Weiß nicht, nein." Ich musste einmal laut gähnen.

„Was wollten die von dir, was hast du erzählt?" Gefährliches Pflaster, ich musste aufpassen, wie viel ich sagte.

„Ich weiß auch nicht, was die wollten. Die haben Fragen gestellt, ich konnte nichts beantworten, dann haben sie mich rausgeschleift, ein paar Straßen weiter und mich bewusstlos geschlagen." Soweit zumindest einigermaßen wahr.

„Wie viele waren es?"

„Der Typ, der mich aus dem Auto gezerrt hat und in der Kellerbar noch einer."

„Kanntest du die Leute?" Kurz zögerte ich.

„Nein, also nicht ihre Namen, nur vom Sehen." War das zu viel gewesen?

„Wo hast du sie schonmal gesehen?"

„Weiß nicht mehr." Verzweifelt wischte ich mir mit beiden Händen über das Gesicht. Verdammt, ich musste konzentriert bleiben. McMahon stöhnte genervt auf und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.

„Elisabeth, du musst uns schon ein bisschen helfen, wenn wir die Leute finden sollen, die dir das angetan haben", sie deutete auf mein Gesicht. Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß doch auch nicht mehr!", meinte ich, in trotzigerem Tonfall als eigentlich beabsichtigt.

Sie fragten noch ein bisschen ziellos weiter, aber sie schienen zu merken, dass sie nicht viel mehr aus mir herausbekommen würden. Schließlich gaben sie auf.

Inzwischen war es zehn Uhr abends, draußen dunkel und ich sehnte mich mit aller Macht nach einer heißen Dusche. Das heiße, prasselnde Wasser tat meinen verspannten Muskeln gut und ließ meine Gedanken etwas zur Ruhe kommen. Ich wusch mich und ab dem Moment, in dem ich das Wasser ausstellte und aus der Dusche stieg, wusste ich, dass ich unbedingt mit Marc reden musste.

Tatsächlich hatte er wohl denselben Gedanken gehabt, denn er wartete schon in meinem Zimmer auf mich. Er steckte sein Handy weg.

„Was war das denn gerade da unten?", spielte er auf das Verhör der beiden FBI-Agenten an. Ich zuckte mit den Schultern.

„Meinst du ihre Fragen oder meine Antworten?"

Er runzelte die Stirn. „Ok, Liz, was ist tatsächlich passiert?" Ich seufzte, lehnte mich mit verschränkten Armen gegen die Heizung und starrte auf den Boden. Wo sollte ich anfangen?

„Erinnerst du dich noch an Bombay?", fragte ich und blickte wieder auf.

„Bombay, ja, klar, unser kleines Pummelchen."

„Tja, Bombay hat nochmal ein paar Kilo draufgelegt, allerdings in Muskeln. Der Typ arbeitet jetzt für Billy..." Die Falten auf Marcs Stirn vertieften sich.

„Billy?", fragte er skeptisch. „Warum denn ausgerechnet Billy?"

„Habe ich ihn auch gefragt, aber er meinte nur, es gäbe ansonsten keine Jobs für ihn."

„Ja, aber Billy!", wandte mein Bruder ein.

„Marc, er weiß nicht, dass Billys Hund mich angefallen hat", rief ich ihm die Geschichte ins Gedächtnis. „Wir sind nicht dazu gekommen, ihm davon zu erzählen. Und als du dann verschwunden warst..." Ich brach ab. Ich hatte mich nie wieder bei unseren alten Freunden im Viertel blicken lassen. Wusste Marc aber wahrscheinlich nicht. „Wir haben ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen", nahm ich wieder den Faden auf, „wer weiß, was ihm in der Zeit alles passiert ist..."

Unwillkürlich fing Marcs Blick meinen auf und einen Moment lang dachten wir beide das gleiche. Auch wir hatten uns zwei Jahre lang nicht gesehen und wir wussten beide, dass der andere uns nicht alles erzählt hatte, was ihm in der Zeit passiert war. Wir hatten uns beide verändert.

„Jedenfalls hat er mich in so eine schmuddelige Kellerbar geschleift und rate mal, wer dort auf mich gewartet hat..."

Marc zog scharf die Luft ein. „Billy?"

Ich nickte. „Der Kandidat erhält 100 Punkte", ahmte ich eine Quizshow nach. „Billy wollte, dass ich die Aussage beim FBI zurückziehe. Auch ihr dürft nicht aussagen."

„Und warum kann er das von dir verlangen?", drang Marc weiter in mich.

„Ich habe mir mal bei Billy eine Knarre besorgt und er hat einen Gefallen verlangt dafür, dass er das nicht Vater erzählte..." Eine eher unrühmliche Geschichte. Marc stöhnte auf.

„Scheiße Liz, und darauf hast du dich eingelassen?"

„Was hätte ich denn deiner Meinung nach sonst tun sollen? Ich brauchte eine Waffe und Vater durfte davon nichts wissen. Ach, ist doch jetzt auch egal!", giftete ich zurück. Marc verzog unwillig das Gesicht, doch er sagte nichts mehr dazu. Stattdessen knackste er mit seinen Fingern.

„Jedenfalls befinden wir uns dadurch einigermaßen in der Zwickmühle, weil wir gerade vom FBI abhängig sind. Ich habe, als ich auf der Polizeistation war, nachdem die mich von der Straße gekratzt hatten, noch was Beunruhigendes gesehen."

Nun galt mir wieder Marcs ungeteilte Aufmerksamkeit. „Die haben nach meiner Datei gesucht und als ich einen Blick auf den Bildschirm geworfen habe, habe ich das riesige Logo vom FBI gesehen und darunter stand irgendetwas von „Access restricted for Members of the FBI". Das FBI hat meine Datei gesperrt." Marc sah inzwischen sehr beunruhigt aus.

„Sie haben uns von der Bildfläche verschwinden lassen? Weißt du, was sie damit bezwecken?" Ich verzog meinen Mund zu einem schmalen Strich, ich hatte schon eine Idee, warum sie das getan hatten.

„Billy hat auch noch etwas erzählt, ich habe aber keine Ahnung, ob er in dem Punkt die Wahrheit sagt. Er hat jedenfalls gemeint, dass er gehört hätte, dass das FBI die Bullen nach unserem Vater suchen lässt. Und mir ist nur ein Grund eingefallen, warum sie das tun sollten."

„Welcher?", fragte Marc.

„Sie wollen die Verantwortung über uns wieder abgeben. An ihn!" Bitterkeit klang in meiner Stimme mit. So dachten die Leute im System. Sorgerecht hatte immer erst einmal das noch lebende Elternteil.

Marc schien den Ernst der Lage noch nicht erfasst zu haben, er zuckte nur mit den Schultern. Ich schlug ihm leicht gegen die Schulter.

„Mann Marc, wir sind schon volljährig, aber die anderen werden sie ihm zurückgeben. Erst recht, wenn wir nicht nach ihrer Pfeife tanzen." Ich ballte die Fäuste beim Gedanken an meinen unfähigen Vater. Er würde meinen Geschwistern so viel Leid bescheren, wenn sie zu ihm zurück müssten. Und ich könnte vielleicht nicht da sein, um sie vor ihm zu beschützen.

„Ich kann Billys Gefallen nicht erfüllen", schloss ich mit kalter Gewissheit.

Marc sah mich ernst an. „Du weißt, was das heißt, nicht wahr?", fragte er mit heiserer Stimme und ich nickte.

„Wir können nie wieder nach Hause zurück."

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt