Am Dienstagmorgen erwachte ich davon, dass eine Aufseherin mit ihrem Schlagstock gegen die Gitterstäbe bollerte.
„Komm schon, Brooks, zeig mal dein Gesicht. Ist sowieso Zeit zum Aufstehen", bellte sie mich an, als ich mit verklebten Augen meinen Kopf vom Kissen hob. Ich stöhnte leise auf. Sie schien genug gesehen zu haben und ging weiter. Erschöpft ließ ich meinen Kopf wieder auf das Kissen fallen. Ich hatte nicht gut geschlafen. Ich hatte schon wieder von Mr. Parker geträumt. Diesmal hatte er Mary erschossen und ich war mitten in der Nacht hochgeschreckt, fest überzeugt davon, Marys toten Körper in meinen Händen zu halten. Danach hatte ich stundenlang wach gelegen. Selbst als ich irgendwann müde wurde, hatte ich gegen den Schlaf gekämpft. Ich wollte nicht wieder einschlafen, ich wollte nicht wieder träumen.
Ich spürte, wie Lorena sich im Bett unter mir bewegte. Mit einem Ächzen schwang sie die dürren Beine aus dem Bett und stand auf. Ihr Kopf befand sich auf derselben Höhe wie meiner und sie grinste mich schief an.
„Die ist ein Miststück, was?", meinte sie in ihrem starken Akzent, „halt dich lieber von der Montrose fern. Die ist so eine, die glaubt, sie kann alles mit uns machen..." Ich nickte und bemühte mich, nicht zu sehr auf Lorenas Zahnlücken zu starren. Ihr linker großer Schneidezahn, zwei Eckzähne und, soweit ich das erkennen konnte, ein Backenzahn fehlten ihr. Ich hatte mich noch nicht getraut, sie zu fragen, wie das passiert war, aber ihr sonstiges verwahrlostes Aussehen und ihr zittriges Verhalten ließen mich auf Drogen schließen, vielleicht Crack oder Cristal Meth.
„Ich geh duschen. Steh lieber bald auf, damit du noch was Frühstück abbekommst", murmelte Lorena, nahm sich ihr Handtuch und schlurfte aus unserer Zelle. Ich drehte mich unmotiviert auf den Rücken und starrte die Decke der Zelle an, die sich höchstens drei Fuß über mir befand.
Mein zweiter Tag, zählte ich in Gedanken mit, und ich wünschte mir bereits nichts sehnlicher, als hier raus zu können. Was würde ich dafür geben, eine Nacht ruhig durchschlafen zu können oder die Sonnenstrahlen auf meiner Haut zu spüren.
Der Gedanke an die Schule streifte mich. Ob die im Sekretariat wohl wussten, warum ich schon den zweiten Tag in Folge fehlte? Hatte ihnen irgendjemand Bescheid gesagt? Ich hatte mit Marc abgesprochen, dass er Tyler und Lily fürs Erste nicht in die Schule gehen ließ, nur für den Fall, dass die Hounds wussten, wo sie zur Schule gingen. Vielleicht war ich auch extrem paranoid, aber das war mir lieber, als hinterher um meine Geschwister fürchten zu müssen.
Durch die Schule wanderten meine Gedanken übergangslos weiter zu Ryan. Unwillkürlich ballte ich meine linke Faust. Meine rechte Hand schob ich unter das T-Shirt, das ich zum Schlafen angezogen hatte und fühlte nach der Brandwunde, die langsam aber sicher verheilte. Trotzdem tat es verdammt weh, sie zu berühren und ich zog scharf die Luft ein. Die Wut, die ich für ihn empfand, war etwas abgeflaut, kein Feuersturm mehr, eher Glut, die vor sich hin glühte, aber trotzdem war sie immer noch heiß und intensiv.
Ich blieb noch eine Weile im Bett liegen und ließ die Gedanken schweifen, falls man das bei den düsteren Gedanken die ich hatte, so nennen wollte. Gegen halb sieben schob ich dann doch mal die Beine über die Bettkante und hüpfte auf den Boden. Lorena hatte Recht, wenn ich noch Frühstück wollte, sollte ich inzwischen wirklich dringend aufstehen. Ich zog mir lediglich eine Hose und einen Pulli drüber, band meine schon wieder fettig werdenden Haare zurück und schlüpfte in die weichen Stoffschuhe.
Beim Frühstück suchte ich mir einen leeren Tisch, wie bisher jedes Mal, wenn ich aß. Ich kannte mich mit den Strukturen hier noch zu wenig aus, um abschätzen zu können, wie jemand reagieren würde, wenn ich fragte, ob ich mich dazu setzen könne. Auch an diesem Morgen kaute ich schweigend und allein auf den Haferflocken herum, als plötzlich ein Tablett mit Schwung auf meinen Tisch geknallt wurde.
Überrumpelt schreckte ich hoch. Vor mir stand eine junge Frau, mit wunderschöner mahagonifarbener Haut und Dreadlocks und musterte mich durchdringend mit leicht schief gelegten Kopf.
„Sag mal...", meinte sie und ließ sich mit einer katzenhaften Eleganz auf die Bank sinken, „Brooks, nicht wahr?" Ich nickte. „Warum bist du hier drin?"
Ich starrte sie an und versuchte mich daran zu erinnern, ob ich sie schonmal irgendwo hier gesehen hatte und wie ich sie einschätzen musste. Ihr Gesicht kam mir vage bekannt vor, doch ich hatte in den letzten Tagen so viele neue Menschen kennen gelernt, dass es unmöglich war, sich alles zu merken.
„Ich... äh", sagte ich, um einfach mal irgendetwas zu sagen und sie nicht nur schweigend anzustarren. Sie beugte sich nach vorne. Sie war aufgeregt und sie gab sich keine Mühe, das zu verbergen.
„Sie sagen, du hast jemanden getötet", meinte sie und hob, beinahe verschwörerisch, eine Augenbraue.
„Sie...?", fragte ich zur Sicherheit nach.
Sie lehnte sich wieder zurück, sie schien Schwierigkeiten damit zu haben, still zu sitzen. „Ach, du weißt schon... die Leute." Sie machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, als sei das sonnenklar. Ich blieb stumm. Ich wollte nicht antworten.
„Ich bin übrigens Karliene...", sagte sie, „ich gehöre zu denen." Sie deutete mit dem Daumen schräg hinter sich und ich folgte mit den Augen der Richtung, die sie andeutete. Sie zeigte auf einen Tisch, an dem vier weitere Frauen saßen, meiner schnellen Einschätzung nach zwischen zwanzig und vierzig Jahren alt, sowohl mit weißer, als auch dunkler Haut. Ich konnte nicht genau sagen, wieso, aber bei ihrem Anblick machte sich Misstrauen in meinem Bauch breit.
„Weißt du was?", fragte ich Karliene und erhob mich dabei, „warum kümmerst du dich nicht um deinen eigenen Kram?" Mit diesen Worten wandte ich ihr den Rücken zu, brachte mein Tablet mit dem halb aufgegessenen Frühstück zurück und verließ die Kantine mit angespannten Schultern.
Ich hatte es vermeiden können, zurück zu schauen, doch ich war mir sicher, ihre Blicke in meinen Rücken zu spüren. Hatte ich einen Fehler gemacht? Hatte ich mich mit Leuten angelegt, die eine Nummer zu groß für mich waren?

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Dark as midnight
Novela JuvenilFortsetzung von 'The Dark inside me'! Nachdem Liz den Anführer der Hounds of Hell erschossen hat, eine Gang, die ihr anstrengendes, aber geordnetes Leben zerstört und die Leben ihrer Geschwister bedroht hat, wird sie verhaftet. Beim Versuch, durch e...