Lawyer

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Aufgebracht tigerte ich durch unsere kleine Zelle. Ich konnte einfach nicht stillsitzen. Ryans Besuch hatte mich mehr aufgewühlt, als ich zugeben wollte. Ich hatte das Gefühl, seine Berührungen brannten immer noch auf meiner Haut. Entnervt rieb ich mir kräftig über meine Oberarme, doch das Gefühl verschwand einfach nicht.

Also schnappte ich mir mein Handtuch und schlüpfte in meine Badelatschen. Vielleicht würde eine heiße Dusche mir ganz gut tun. Als das heiße Wasser auf mich herabprasselte, atmete ich tief durch. Ryan konnte mir nichts mehr tun, sagte ich mir immer wieder. Er konnte mir nichts mehr anhaben. Doch der Schmerz in meinem Bauch blieb, ebenso wie das Gefühl, von dem Menschen, dem ich am meisten vertraut hatte, verraten worden zu sein. Es ließ mich einfach nicht los.

Niedergeschlagen schloss ich die Augen und lauschte dem Geräusch der Wassertropfen, dass sie machten, wenn sie auf meinem Kopf aufschlugen. Früher hatte ich mir in der Dusche immer vorgestellt, ich würde mich im tropischen Regenwald befinden. So genau hatte ich mir alles ausgemalt, die Geräusche der Tiere, das Rauschen der Kronen, der Geruch nach Pflanzen und feuchter Erde, dass ich, wenn ich die Augen wieder öffnete, erstaunt war, mich tatsächlich doch nur in unserer Dusche zu befinden. Als ich diesmal die Augen wieder öffnete, war ich weniger erstaunt als enttäuscht, mich doch nur in der Dusche wieder zu finden. Der Dschungel hatte nach Freiheit gerochen.

Als ich mit noch feuchten Haaren in die Zelle zurückkam, fühlte ich mich zumindest ein bisschen besser. Auch wenn das beengende Gefühl, eingesperrt zu sein, wieder überhand genommen hatte, tat Ryans Verlust doch ein bisschen weniger weh. Ich versuchte, meine Haare zu entwirren und musste schon nach wenigen Versuchen einsehen, dass das keinen Sinn hatte. Die Kernseife, die es hier gab, schienen meinen sowieso schon eher wilden Haaren nicht besonders gut zu tun. Aber wen wollte ich hier schon beeindrucken?

Ich guckte auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass es bereits halb fünf Uhr abends war. Bald würde es Abendessen geben, wo ich wieder Karlienes Blicken ausgesetzt sein würde. Bis jetzt hatte sie mich bei jedem Essen seit sie sich zu mir an den Tisch gesetzt hatte, kaum aus den Augen gelassen und das machte mich furchtbar nervös, ganz abgesehen davon, dass es höllisch nervte. Ich bekam meinerseits das Gefühl nicht los, das mir irgendetwas an ihr bekannt vorkam. Aber ich kam einfach nicht drauf, was es sein könnte und das war noch etwas, was mich schier in den Wahnsinn trieb.

Da ich meine Zelle nicht mehr sehen konnte, nahm ich mein Buch und schlurfte aus der Zelle in den größeren Aufenthaltsbereich, der die Zellen miteinander verband. In der Mitte standen einige stabile Tische und Bänke, wie es sie auch im Besuchsraum gab, dort wollte ich mich hinsetzen und erneut in das Buch entfliehen.

Doch so weit kam ich gar nicht. Eine der Aufseherinnen, ich glaube, es war Montrose, vor der Lorena mich gewarnt hatte, sah mich und bellte mich an. Meine Anwältin sei gekommen und ich solle mich sofort aufmachen in den Besuchsraum. Ich hatte erschrocken die Schultern hochgezogen, weil sie mich überrascht hatte und nickte nur. Schnell huschte ich zurück in die Zelle, um das Buch wegzulegen und beeilte mich dann, zum Besuchsraum zu kommen.

Ich wollte meine Anwältin nicht warten lassen. Ich mochte sie und ich wollte, dass auch ich ihr sympathisch war. Sie saß bereits auf einer Bank, als ich den Raum betrat. Es war inzwischen außerhalb der Besuchszeiten und sie war, außer einer Aufseherin und mir, die Einzige im Raum. Den Mund zu etwas verzogen, von dem ich glaubte, dass es wie ein Lächeln aussehen müsste, ließ ich mich ihr gegenüber auf die Bank sinken. Sie lächelte mir zu.

„Hallo Ms. Brooks. Wie geht es Ihnen?", begrüßte sie mich freundlich, aber mit dennoch geschäftigem Unterton.

„Ich kann nicht klagen", gab ich nur zurück. „Was gibt es?"

Ms. Garcia ordnete mit den Händen die Unterlagen vor sich. Eine Strähne ihrer glatten, schwarzen Haare fiel in ihr Gesicht und sie schob sie beiläufig weg.

„Ms. Brooks, den Mann, den Sie erschossen hatten, den kannten Sie, nicht wahr?", fragte sie und legte den Kopf leicht schief.

Ich nickte. Ich hatte ihr bereits bei unserem ersten Treffen auf dem Polizeirevier von dem verheerenden Samstagvormittag erzählt, viele Details kannte sie jedoch noch nicht.

„Wie hieß der Mann?", fragte Ms. Garcia nun.

„Ich kenne nur seinen Nachnamen. Mr. Parker, soweit ich weiß."

„Und dieser Mr. Parker, wissen Sie noch mehr über ihn?", fragte sie weiter. Ich senkte den Blick. Was wollte sie denn alles wissen? Und warum wollte sie das alles wissen?

Irritiert sah ich wieder auf. „Sind Sie extra außerhalb der Besuchszeiten gekommen, nur um mit mir über Mr. Parker zu reden?"

Ms. Garcia bewegte den Kopf, es war ein Zwischending aus einem Kopfschütteln und dem hin und her Wiegen des Kopfes, eine Bewegung, die sie öfter machte. „Nicht ganz", gab sie zu, „es hat mit ihm zu tun, dass ich hier bin, aber nicht nur. Hauptsächlich bin ich hier, um dich auf einen Ausflug mitzunehmen." Nun lächelte sie mich wieder an und ich hatte das Gefühl, einen verschmitzten Ausdruck über ihr Gesicht huschen zu sehen.

„Wie meinen Sie das, einen Ausflug? Es heißt nicht umsonst Gefängnis. Ich kann hier nicht raus, außer um zum Gericht gefahren zu werden", wandte ich ein. Ms. Garcias Lächeln wurde nur noch breiter.

„Nun, zufälligerweise habe ich, mit einiger Hilfe, eine Sondergenehmigung bekommen."

Ungläubig starrte ich sie an. „Eine Sondergenehmigung?", wiederholte ich stumpf.

„Ganz recht", meinte Ms. Garcia gut gelaunt und erhob sich. „Und jetzt kommen Sie, nicht dass Sie allzu spät wieder zurück sind."

Immer noch verwirrt stand ich auf und folgte ihr. Ms. Garcia hatte anscheinend schon alles mit der Gefängnisleitung abgesprochen, denn die Aufseherin sah mit unbeteiligte Miene zu, wie ich hinter Ms. Garcia aus dem Besuchsraum trabte, aus der – für mich – falschen Tür.

Hinter der Tür empfing uns ein bulliger Mann in Anzug und Sonnenbrille. Er reihte sich hinter mir ein und ich bekam das starke Gefühl, er sollte aufpassen, dass ich keinen Versuch unternahm, abzuhauen. Selbst wenn er mich weniger nervös gemacht hätte, hätte ich das aber auch nicht versucht. Zu begeistert war ich von der Aussicht, zumindest für einige wenige Stunden hier herauszukommen.

Ich war so berauscht von diesem Gefühl, dass mir erst, als ich auf die Rückbank einer schwarzen Limousine verfrachtet worden war, die Idee kam, nachzufragen, wohin es überhaupt gehen sollte.

Ms. Garcia lächelte nur ein weiteres Mal auf meine Frage. „Das, Ms. Brooks, werden Sie innerhalb der nächsten Viertelstunde sehen..."

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt