Standing in the Rain - Lesenacht

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Es dauerte etwa eine viertel Stunde, die ich durch größtenteils menschenleere Straßen lief, bis sich mein Adrenalinpegel wieder etwas gesenkt hatte und mein Puls sich wieder in einem gesunden Bereich befand. Eine weitere halbe Stunde später war ich vollkommen durchnässt und noch keinen Schritt weiter gekommen, Marc zu finden.

Zitternd stellte ich mich in einen Hauseingang, um zumindest etwas vom Regen geschützt zu sein. Mein Bauch knurrte, nicht gerade begeistert von der Tatsache, dass er immer noch nicht gefüllt worden war. Fünf Minuten von mir entfernt war ein Supermarkt, aber es war Sonntag, nichts hatte offen, außer teueren Diner.

Einigermaßen verzweifelt wischte ich mir eine feuchte Sträne aus dem Gesicht. Ich war meinem Ziel in den ganzen letzten Stunden kein bisschen näher gekommen. Ich wusste nicht, wo ich Marc finden sollte, ich wusste nicht, wen ich nach ihm fragen könnte, mir war kalt und ich war nass und hungrig. Ich fühlte mich so elend, dass ich gern geweint hätte, gleichzeigig wollte ich mich nicht so gehen lassen. Es musste doch irgendeinen Weg geben.

Verbissen ging ich in Gedanken alle Gespräche durch, die ich mit Marc gehabt hatte, seit er Ende Februar wieder in mein Leben getreten war. Er musste doch irgendwann etwas erwähnt haben, dass mir jetzt weiterhelfen konnte. Ich wusste noch, dass Marc mit seinem Kumpel zusammen gewohnt hatte, Jimmy, der junge Mann, dessen Ermordung durch die Hounds Mary mit angesehen hatte. Er hatte in Schwierigkeiten gesteckt und diese Schwierigkeiten hatten vermutlich irgendwas mit den 10 kg des verschwunden Koks zu tun. Marc hatte die Wohnung, in der sie gewohnt hatten, immer wieder als Drecksloch bezeichnet, an mehr konnte ich mich nicht wirklich erinnern.

Jimmy war tot, er konnte mir nicht weiterhelfen. Von anderen Leuten aus dieser Zeit hatte Marc nicht erzählt. An wen könnte ich mich bloß wenden? Ich wusste noch, dass Jimmy Mitglied der Hounds gewesen war. Vermutlich hätte einer von denen gewusst, wo die beiden gewohnt hatten. Gleichzeitig waren die Hounds die letzten, die ich fragen konnte. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Marc so dumm war, zu seiner alten Wohnung zurückzukehren, war auch sehr gering. Trotzdem war sie gefühlt der einzige Anhaltspunkt, den ich auf meiner Suche nach ihm hatte. Über potentielle Verstecke, die Marc sich vermutlich in den letzten beiden Jahren eingerichtet hatte, hatte er nie auch nur ein Wort verloren.

Niedergeschlagen starrte ich vor mich hin. Wohnungen, die man als Drecksloch bezeichnen konnte, gab es gefühlt überall in Philly. Unsere Wohnung hätte man vermutlich auch ganz gut so nennen können. Da ich ja nicht ewig dort in dem Hauseingang stehen bleiben konnte, trat ich irgendwann wieder raus in den Regen. Müde streifte ich weiter durch die Straßen, den Schmerzen in meinen Oberschenkeln wohl bewusst. Ich versuchte immer wieder auch, Marc anzurufen, aber kam nie durch. Entweder er hatte sein Handy aus oder auf stumm geschaltet.

Einige Stunden später ließ ich mich erschöpft auf der Bank einer überdachten Bushaltestelle nieder. Meine rote Regenjacke schien auch nicht mehr vollständig dicht zu sein. Ich spürte, wie die Nässe an den Schultern durch meinen Pulli drang. Meine Hose war bereits seit Stunden klatschnass, ebenso wie meine Turnschuhe, die zwar sehr cool aber leider nicht wasserfest waren. Ich starrte vor mich hin.

Es war bereits Nachmittag. Ich hatte Marc nicht gefunden und weiterhin keine Anhaltspunkte auf der Suche nach ihm. Ein anderes Problem drängte sich jetzt noch zusätzlich in meine Gedanken. Ich wusste nicht, wo ich die Nacht verbringen sollte. Ich wollte nicht zurück in die Wohnung, ich hatte zu große Sorgen, dass die Cops noch dort sein könnten zum observieren, oder dass sie wiederkommen könnten, in einem ungünstigeren Moment als am Morgen. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich wusste nicht mehr weiter.

Man sagt ja so gerne, Not macht erfinderisch. Wie es im allgemeinen um die Wahrheit dieses Sprichworts bestellt ist, darüber kann ich nichts sagen. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich in diesem Moment eine besonders tolle Idee gehabt hätte oder eine besonders ausgereifte. Mir fiel lediglich eine Person ein, der ich vielleicht doch schreiben könnte, bei der ich vielleicht sogar die Nacht verbringen könnte. Ein Tropfen Hoffnung mischte sich unter mein zirkulierendes Blut und ich zückte mein Handy.

Ich schrieb Elly. Die kleine, dunkelhaarige Elly aus dem Dirty Love, ich hätte niemals gedacht, dass sie jemand sein könnte, der mir Hoffnung geben könnte. Ich bat sie, möglichst schnell zurückzuschreiben oder mich anzurufen. Ich fragte sie, ob ich vielleicht zu ihr kommen könnte. Ob ich die Nacht bei ihr verbringen durfte, wollte ich lieber persönlich klären.

Dann gab ich meinem inzwischen fast schon schmerzenden Hunger nach und holte mir eine heiße, fettige Portion Pommes. Der hohe Preis schmälterte zwar etwas meine Freude, doch das warme, wohlige Gefühl, das sich danach in meinem Bauch breitmachte, war es absolut wert.

Elly hatte inzwischen geantwortet. Schon ewig nichts mehr von dir gehört, klar, komm rüber. In der nächsten Nachricht hatte sie eine Adresse geschrieben. Fast hätte ich aufgeschluchzt vor Erleichterung, wieder ins Trockene zu kommen. Ich antwortete ihr schnell, dass ich kommen würde und machte mich dann auf den Weg.

Unterwegs bekam ich fast schon wieder ein schlechtes Gewissen. Ich wollte sie nicht in Gefahr bringen. Was, wenn die Hounds rausfinden würden, dass sie mir Unterschlupf gewährt hatte? Was würden sie mit ihr anstellen? Gleichzeitig bekam ich wieder Angst, in eine Falle zu laufen. Wenn die Hounds klar kommuniziert hatten, dass ich Freiwild war, auch im Dirty Love und sie die Hounds vielleicht schon kontaktiert hatte, lief ich direkt in meinen sicheren Tod.

Die kalte Nässe auf meiner Haut und die Tatsache, dass ich meine Zehen seit beunruhigend langer Zeit nicht mehr spürte, ließen mich weiter laufen und hoffen, dass ich nicht sehenden Auges in die Katastrophe lief.

Eine Weile später, es wurde bereits dunkler, kam ich bei Elly an. Es war ein heruntergekommenes Mietshaus, gar nicht so unähnlich zu dem, in welchem ich aufgewachsen war. Anders als bei uns war die Haustür unten geschlossen und so drückte ich mit klopfendem Herzen auf die Klingel.


Hey Leute, herzlich willkommen zur Lesenacht. Ich hoffe, euch gefällt schonmal der erste Teil, ihr könnt gerne wilde Vermutungen anstellen, in welche Richtung es sich heute noch entwickelt. Ich werde in den nächsten anderthalb Stunden an meinem Handy sein und kann euch auch gerne Fragen beantworten :)

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt