Harmed

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Zuerst nahm ich Stimmen wahr. Stimmen, die von weit her zu kommen schienen, jedoch immer näher kamen. Ein erschrockener Aufschrei, dann waren die Stimmen auf einmal ganz nah, aufgeregt und schrill.

Ich spürte, wie mich etwas an der Schulter berührte, eine Hand, und eine Frauenstimme fragte: „Können Sie mich hören?" Das war der Moment, in dem sich mein Bewusstsein langsam, aber sicher an die Oberfläche kämpfte. Mühsam versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Mein Schädel dröhnte. Endlich bekam ich ein Auge so weit auf, dass ich ein verschwommenes Bild wahrnehmen konnte. Zwei Gesichter, zu nah und zu unscharf, als dass ich irgendwelche Einzelheiten hätte erkennen können. Ich versuchte, etwas zu sagen, doch heraus kam nur ein gequältes Stöhnen. Meine Kopfschmerzen wurden immer schlimmer.

„Vielleicht sollten wir lieber die Polizei rufen?", fragte eine der Stimmen nun.

Jeder Einwand, den ich hätte erheben können, kam nur als unartikuliertes Geräusch über meine Lippen. Hatte ich verlernt, zu reden?

Das eine Gesicht verschwand nun und ich konnte jemandem im Hintergrund telefonieren hören. Langsam schien sich meine Sicht zu klären, zumindest auf dem einen Auge, das ich öffnen konnte, auch meine Kopfschmerzen klangen nun wieder etwas ab. Oder vielleicht war das auch nur Wunschdenken. Was war passiert? Mühsam bemühte ich mich, den Gedankenbrei in meinem Kopf zu sortieren. Ich war in der Kellerbar gewesen, bei Billy. Er hatte irgendetwas gewollt. Und Bombay war da gewesen, Bombay, der erwachsen geworden war. Erwachsen, hart und unbestechlich. Was hatte Billy nochmal von mir gewollt?

Meine immer verzweifelter werdenden Versuche, mich zu erinnern, wurden von einem lauten Motorgeräusch unterbrochen, dass meine Kopfschmerzen wieder hell auflodern ließ.

Das Auto kam näher, wurde nahe bei mir abgestellt und der Motor erstarb. Erleichterung für meinen gequälten Kopf. Mehr Stimmen, mein Gesichtsfeld war immer noch unscharf. Unwirsch schüttelte ich ein paarmal den Kopf, doch das half auch nichts.

„Junge Dame, wie fühlen Sie sich?", fragte plötzlich eine fremde Stimme, ein unscharfes Gesicht, nahe vor mir.

„Äh-Chr...", brachte ich heraus. Scheiße, das konnte doch wohl nicht wahr sein. Doch mein Körper kam anscheinend selbst darauf, was das Problem war, denn ich räusperte mich einmal kräftig, bekam dann einen Hustenanfall und keuchte dann „Geht schon", überglücklich, dass ich noch sprechen konnte.

„Na ja, das sieht aber nicht wirklich danach aus", meinte die fremde Stimme und plötzlich wurde mir klar, was er sein musste. Cop! Shit, natürlich, die beiden hatten die Polizei gerufen.

Als würde meine uralte instinktive Abneigung gegen Uniformierte jeglicher Art wach werden, wischte ich mir mit einer Hand über das Gesicht und versuchte mit der anderen, mich vom Boden abzustoßen, damit ich hochkam. Ich spürte zwar den Boden unter meinen Fingerspitzen, rauer Asphalt, abstoßen jedoch ging so gar nicht. Aber hey, das mit der Hand hatte was gebracht, ich sah schon viel schärfer. Was ich sah, war aber leider sehr unschön. Direkt vor mir stand ein Polizist, so deutlich erkennbar wie ein Elefant, in seiner blauen Uniform mit Schlagstock, Taser und Waffe an seiner Seite.

„Na, da hat Sie ja jemand ganz schön zugerichtet", meinte er in großväterlichem Tonfall.

„Es geht schon wieder, wirklich", versicherte ich, hoffentlich würden sie mich nicht auf die Wache mitnehmen.

„Daniel, meinst du nicht wir sollten...?", rief der andere Polizist etwas von hinten.

„Ja, ich glaube, wir denken dasselbe", rief der Polizist zurück, nicht weniger laut, aber viel näher. Stöhnend kniff ich mein eines funktionierendes Auge zusammen, ein glühendes Eisen brannte sich direkt durch meine Schläfen.

„Junge Dame, sie gehören auf jeden Fall unter ärztliche Beobachtung. Wir würden Sie mit auf die Wache nehmen und dort von Sanitätern abholen lassen", wandte er sich wieder an mich.

„Nein, wirklich, mir geht es wieder gut, ich kann einfach nach Hause laufen." Eine glatte Lüge, ich wusste weder, wo ich war, noch wo ich hinmusste, um zum Safe House zu kommen.

„Ich fürchte, dass können wir nicht zulassen", sagte der Cop bestimmt, „Sie stellen in diesem Zustand eine Gefahr für sich und andere dar." Ich schnaubte einmal böse, dann besann ich mich wieder darauf, was Marc und ich schon früh über Cops gelernt hatten und ließ mir widerstandslos hochhelfen.

Die Rückbank des Autos war durch ein festes Gitter vom Fahrraum getrennt und ich starrte, immer noch mürrisch durch das Gitter auf die Armatur. Mit aller Kraft versuchte ich, meine Gedanken von der letzten Fahrt in so einem Wagen abzulenken. Wieso saß ich eigentlich immer auf der falschen Seite der Gitter?

Um mich abzulenken, dachte ich über den aktuelleren Schlamassel nach, in dem ich steckte. Billy hatte von mir etwas gewollt und während ich hauptsächlich auf die Polizisten konzentriert gewesen war, war es mir wieder eingefallen. Er wollte meine Zusicherung, dass ich nicht gegen die Hounds aussagen würde.

Ich hatte einen Lachkrampf gekriegt und als ich mich endlich wieder beruhigt hatte, hatte ich ihm gesagte, dass ich an diesem Tag meine offizielle Aussage beim FBI gemacht hatte.

Dann zieh sie wieder zurück, hatte er verlangt. Du wirst nicht vor Gericht gegen die Hounds aussagen, jedenfalls nicht, wenn dir dein Leben und das Leben deiner Geschwister etwas bedeutet. Mir war schlecht geworden bei dieser offenen Drohung, doch ich hatte verborgen, wie sehr er mich ängstigte und gemeint, ich würde es mir überlegen.

Das hatte Billy leider nicht unbedingt besänftig. Er hatte sich vorerst mit der Antwort zufrieden gegeben, aber mir nochmal klargemacht, dass er mich finden würde, wenn ich ihm seinen Gefallen nicht erfüllte.

Ich war der festen Überzeugung, dass alles, was dann folgte, auf Billys Anweisung geschah. Billy entließ mich und Bombay brachte mich raus. Wir gingen eine Straßenzüge gemeinsam. Ich kämpfte eine Weile mit mir, doch letztendlich hatte ich ihn gefragt. Warum er für Billy arbeiten würde. Bombay hatte mich einige Sekunden komisch von der Seite angesehen, dann hatte er trocken gemeint, dass ich doch wohl selbst wüsste, dass es in unserem Viertel nicht besonders viel Arbeit gab. Man müsse nehmen, was man kriegen könne.

Wenige Schritte nach seiner Antwort war er stehen geblieben. Das sei weit genug. Ich war nicht auf den Schlag vorbereitet gewesen, direkt in mein Gesicht, hart und mit Wucht. Ich hatte seinen Namen gekeucht, überrumpelt und entsetzt. Er hatte laut geflucht, in einer Bewegung seine Waffe gezogen, sie am Lauf gepackt, ausgeholt, dann war da nur noch Dunkelheit.

Ich war einigermaßen froh, dass ich meine Erinnerungen wieder auseinandersortiert und in eine logisch erscheinenden Reihenfolge gebracht hatte. Es hatte mich auch ein wenig von meiner Lage abgelenkt, die sich mir jedoch wieder ins Bewusstsein drängte, als wir vor einer Polizeiwache hielten.

Ich hielt den Blick gesenkt, als die beiden Cops mich die Stufen zum Eingang hochführten. Auch drinnen sah ich hauptsächlich auf das gelbe Linoleum. Es roch nach Pisse, Schweiß und diesem typischen Geruch, der Polizeistationen anhaftet.

Der eine Cop bugsierte mich auf einen Stuhl, erschöpft starrte ich auf seinen Schreibtisch, "Officer Williams" stand in weiß auf einem schwarzen Plastikschild. Meine Kopfschmerzen waren wieder schlimmer geworden.

„Hey, die kenne ich doch", drang plötzlich eine aufgeregte Stimme an mein Ohr. Ich blickte auf und sah den glupschäugigen, jungen Cop, der bei meinem Verhör und meiner Verhaftung dabei gewesen war. Wie hieß er noch mal? Irgendwas kurzes und ein gewöhnlicher Vorname. Call? Hall? Ich unterdrückte ein Stöhnen, auf den konnte ich nun wirklich verzichten.

„Ich habe dir doch neulich erst gesagt, wir sehen hier immer die gleichen Gesichter, nicht wahr Daniel", meinte er nun zu Officer Daniel Williams. Es klang eine gewisse Genugtuung durch, die in mir das Bedürfnis weckte, meine Faust in sein grinsendes Gesicht zu versenken.

„Weißt du was, Daniel, ich übernehme sie für dich", meinte Hall in gönnerhaftem Ton.


Hey Leute, tut mir wirklich leid, dass ich euch so lange habe warten lassen. Ich hatte sehr viel zu tun und war dann mehrere Wochen ohne Laptop und ohne konstantes Internet unterwegs. Jetzt bin ich aber wieder da und habe eigentlich vor, wieder öfter ein Kapitel zu schreiben. Ich hoffe, es gefällt euch :)

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt