Kapitel 9 - Die Ablenkung

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„Na, wie gehts dir?", fragte ich Ben grinsend. „Nie wieder soo viel Alkohol", erwiderte Ben lediglich kopfschüttelnd und grinste zurück.
„Du musst mir, glaube ich, auch noch mal ein wenig auf die Sprünge helfen. Ich weiß nicht mehr alles vom Abend."
Wir hatten uns zusammen aufs Sofa gesetzt und ich holte eine Fanta aus der Minibar und drückte sie Ben in die Hand.
„Trink. Fanta hilft immer gegen Kater...
Okay, also du weißt noch, dass wir zusammensaßen und getrunken haben?"
Er nickte.
„Gut. Du hast den ganzen Abend über wirklich viel getrunken und wolltest dich auch nicht belehren lassen, weniger zu trinken, bis irgendwann der Punkt erreicht war, wo wir alle wussten, jetzt reicht es. Martin hat mir dann geholfen, dich ins Bett zu bringen und in die stabile Seitenlage zu packen - zur Vorsicht! Wir saßen danach noch ein paar Minuten zusammen im Wohnzimmer, aber kurz danach sind die meisten gegangen."
„Die meisten?", unterbrach Ben mich fragend. „Mhh", nickte ich, „alle, bis auf Martin. Er hat mir noch geholfen, hier klar Schiff zu machen und danach bin ich schlafen gegangen. Er hatte mir noch angeboten, dass ich bei ihm schlafen könne, allerdings wollte ich dich lieber nicht alleine lassen. Er hat hier auf der Couch gepennt, weil er sich Sorgen um dich gemacht hat und in deiner Nähe bleiben wollte."

Ben war für einen Moment still, dann begann er zu erklären.
„Weißt du, weshalb ich gestern so viel getrunken habe?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich wollte mir Mut antrinken. Ich habe den Blick in Martins Augen gesehen, als er dich gestern Abend gesehen hat. Eigentlich wollte ich mir nur einen guten Pegel antrinken, um dich rumzukriegen."
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Schließlich dachte ich, ich wäre nur eine x-beliebige für ihn. Vielleicht war es aber auch lediglich das Konkurrenzdenken, das ihn angespornt hatte und nicht ich selbst.
„Aber ich bin wohl selbst schuld, dass du jetzt sein Shirt und nicht meins trägst", schloss er seine Erklärung. Mir war die Situation unfassbar unangenehm und ich versuchte mich zu retten.
„Ich habe bei ihm geduscht, weil ich dich nicht wecken wollte und habe ihn danach um ein Shirt gebeten, weil ich nicht meine ranzigen Klamotten von gestern tragen wollte. Allerdings hat er mich jetzt gerade mehr oder weniger aus dem Zimmer geschmissen, als irgend so eine Marlene auf einmal aufgetaucht ist."
Ben zuckte bei dem Namen zusammen. „Marlene? Rote Locken, Sommersprossen?" Ich nickte.
„Oh oh, nicht gut..."
Als er meinen fragenden Blick sah, weihte er mich ein.
„Marlene war seine letzte Beziehung, über die er nie hinweg kam. Sie hat ihn unzählige Male betrogen und er ihr immer wieder verziehen. Sie ist quasi sein Kryptonit. Er braucht sie zum Leben, aber sie kann ihn auch zerstören. Mit ihr war er ein anderer Mensch - aber kein besserer."
Mein Herz setzte für einen kurzen Herzschlag aus. Gegen solch eine Frau hatte ich keine Chance. Er liebte sie vermutlich noch und war gerade dabei, sich mit ihr zu versöhnen auf alle erdenklichen Arten und Weisen und hatte jeden Gedanken an mich längst vergessen. Seine Worte heute morgen hier neben dieser Couch erschienen mir auf einmal wie eine große Lüge. Niemals hätte das mit ihm und mir auch nur etwas Kleines werden können, wenn er immer noch in eine andere Frau verliebt war. Aber ich hatte mich täuschen lassen.

„Naja, er meinte zu mir, ich solle einfach ein paar Minuten draußen warten. Das war vor ungefähr 40 Minuten. Wir wollten eigentlich Harry Potter zusammen gucken."
Ben strich mir über die Wange und meine Haare hinters Ohr.
„Ehrlicherweise habe ich die Filme nie gesehen. Den ersten habe ich mal angefangen aber mehr auch nicht. Es wäre mir also eine Ehre, wenn ich sie das erste mal mit dir gucken würde."
Ich lächelte ihn dankbar an. Es bedeutete mir viel, dass er versuchte mich abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen und mir zeitgleich Obdach bot, denn bei dem aktuellen Wetter war nicht daran zu denken, das Hotel zu verlassen.

Mein Blick blieb an dem Sturm draußen hängen.
„Glaubst du, mein Auto überlebt den Sturm? Sonst komme ich gar nicht heim", sprach ich mehr mit mir selbst als mit Ben.
„Selbst wenn nicht, dann kaufe ich dir ein neues und fahre dich persönlich nach Hause."
Ich schmunzelte über seine lieben Worte und hörte im selben Moment die Titelmelodie meiner Kindheit. Augenblicklich tauchte ich ein in eine Welt voller Magie und Hexerei und kriegte kaum mit, wie Ben näher rückte und seinen Arm um mich legte.

Wir begannen nahtlos an den ersten Teil den zweiten Teil zu schauen, jedoch sah ich immer weg, sobald Spinnen auftauchten im Film. Ich schaute rüber zu Ben direkt neben mir und sah in seinem Gesicht, dass die Filme ihm gefielen und er ebenso wie ich mit Harry, Ron und Hermine mitfieberte.
Irgendwann bemerkte er, dass ich ihn immer wieder anschaute und blickte zurück. Für einen kurzen Moment verlor ich mich in seinen Augen und Ben nutzte diesen Moment aus und drückte seine Lippen auf meine. Auch wenn ich augenblicklich an Martin denken musste, löste ich den Kuss nicht, sondern erwiderte ihn aus reinem Trotz. Sollte er doch wieder was mit seiner Ex anfangen!
Irgendwann beendete ich den Kuss, um weiter Harry schauen zu können. Ben sagte nichts und schaute ebenfalls weiter den Film. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen gelegte hatte.

Wie vorher bei Martin wurden diesmal Ben und ich beim Film schauen unterbrochen durch ein Klopfen an der Tür. Ben löste seinen Arm von mir und ging zur Tür. Kurze Zeit später kam er mit Martin im Schlepptau zurück.
„Da möchte dich jemand sprechen", sagte er kühl und ging weiter ins Schlafzimmer.

Der beste Freund | Martin GarrixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt