Kapitel 1

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Mein Wecker riss mich unsanft aus dem Schlaf, als der Stundenzeiger auf die Sieben rückte. Einigermaßen deprimiert hievte ich mich aus dem Bett, schlurfte ins Bad und tat das nötigste für den ersten Schultag nach den Ferien. Ich kam nun in die zehnte Klasse und näherte mich dem Verlassen der Schule um ein weiteres Jahr.

Endlich.

Nach dem Frühstück, welches aus einer Schüssel ekelhaft süßer Vanillecornflakes bestand, machte ich mich auf den Weg.

Ich fuhr drei Haltestellen mit der Straßenbahn, die überraschenderweise sogar pünktlich kam, und lief dann noch gemächlich die restlichen paar Meter auf den lärmenden Schülermob zu.

Schon von Fern sah ich meine Klasse, die größtenteils in einem Kreis mitten auf dem Hof stand und sich wahrscheinlich über belanglose Dinge unterhielt.

Ich warf einigen Leuten ein kurzes „Hi" zu, bevor ich mich wie bestellt und nicht abgeholt zu den anderen stellte, allerdings nur um auf meinen besten Freund Elias zu warten. Ich fühlte mich dem durchschnittlich-niveaulosen Teenagerpulk noch nie besonders zugehörig und passte lediglich meine Erwartungen an Menschen in meinem Alter nach unten an, um nicht täglich enttäuscht zu werden.

Elias kam nur wenig später durch das eiserne Tor und grinste mich freudig an, was mich wieder einmal an seiner Menschlichkeit zweifeln ließ. Wie konnte man denn an einem Montagmorgen nach den Ferien so fröhlich sein?

„Moin Jakob", begrüßte er mich und begann sofort aufgeregt über seine Ferien zu erzählen. Ich hörte wie immer mit ungefähr 0,75 Ohren zu, wie er von einsamen Seen in Dänemark, Videospielen und einem Ferienlager in den Bergen schwärmte. Während solcher Märchenstunden, die ich ihm nicht übel nahm, – jeder Mensch macht etwas anderes gerne und wenn das bei ihm nun mal unbeschwert Erzählen war, tat ich ihm gerne den Gefallen und tat wenigstens so, als hörte ich zu. Mich störte dieser Umgang auch nicht und ich vermutete, er wusste auch, dass er seine Geschichten auch gut und gerne einer Wand erzählen könnte. – pflegte ich es in meinen Gedanken zu versinken, auch wenn ich hinterher niemals sagen könnte, woran ich überhaupt gedacht hatte. Man könnte also behaupten, ich würde während solcher Zeiten nichts tun als existieren und möglicherweise stimmte das sogar.

Später – ich weiß beim besten Willen nicht wie viel – gaben die Lautsprecher, die wahrscheinlich noch die DDR erlebt hatten, ihren üblichen, schlecht intonierten und synthetisch erzeugten Dreiklang wieder, bei dem es mir im Ohr schmerzte, und wiesen die wuselnde Schülermasse auf den baldigen Beginn der Stunde hin.

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Unsere Klassenlehrerin erinnerte uns bereits in der allerersten Unterrichtsstunde daran, dass sie mit Pünktlichkeit nicht viel zu tun hatte, denn sie kam wie immer drei Minuten zu spät. Ich weiß das nur deshalb so genau, weil ich vor einigen Monaten einmal eine zwanzigtägige Studie angestellt hatte, die ergab, dass sich die Erscheinungszeit immer – und zwar wirklich immer – zwischen zwei Minuten und achtundfünfzig Sekunden und drei Minuten und vier Sekunden nach dem eigentlichen Stundenbeginn befand. Aus diesem Grund ging ich einfach davon aus, dass sie wohl immer drei Minuten zu spät kommen musste. Ich nehme an, langsam erklärt sich, worüber ich während Elias' Erzählungen nachdachte.

Frau Böttger schloss das Zimmer auf und stellte ihre dunkelbraune Ledertasche neben dem Lehrertisch ab.

Ich lief zum letzten Tisch in der Mittelreihe, an dem neben mir auch Elias Platz nahm. Über diese Position im Raum war ich sehr dankbar, da hier niemand überprüfte, ob ich auch wirklich jede Silbe an der Tafel übernähme. Ich setzte mich auf den üblichen, unbequemen grauen Plastikstuhl und betrachtete den Raum. Seit dem Ferienbeginn hatte sich dieser nicht verändert.

Ein kleines GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt