Kapitel 19

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Ich bin nicht zufrieden heute...
Trotzdem viel Spaß beim Lesen!
SurfingTCAS

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„Oh Gott, Lily, erschrick uns doch nicht so!", rief Vincent und schob mich schnell von sich, was ich freiwillig geschehen ließ.
Peinlich berührt setzte ich mich auf den Küchentisch und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Och, nicht doch!", seufzte Lily. „Ist doch toll, das muss euch nicht unangenehm sein", meinte sie.
Mit rotem Gesicht lugte ich zwischen meinen Fingern zu Vincents Halb- oder Viertel- oder Gar-nicht- oder Ganzschwester.
Mir gegenüber erkannte ich, dass es Vincent ähnlich ging.
„Hey, meine kleinen, süßen, schwulen besten Freunde, seid doch nicht immer verunsichert. Nun küsst euch doch endlich!"
Damit kam sie auf uns zu und zog uns beide vom Tisch herunter, bevor sie unsere Hände ineinander legte.

Ich hielt meinen Kopf gesenkt und wollte am liebsten im Erdboden versinken, doch langsam hob ich den Blick und schaute Vincent durch die Wimpern an.
Als unsere Augen sich trafen, schmunzelte ich schon wieder. Diese liebevolle Spannung zwischen uns machte mich vollkommen verrückt und nahezu sofort verflog dieses unangenehme Gefühl, erwischt worden zu sein.
Vorsichtig zog Vincent mich an den Handgelenken zu sich und legte wieder seine Lippen auf meine.
Dieses Feuer, welches Lily vorher von uns genommen hatte, flammte wieder auf und gierig presste ich Vincent an meinen Körper.

„Aber ich find's trotzdem nicht nett, dass ihr einfach so ohne mich eine Wasserschlacht veranstaltet", warf Lily ein, bevor wir erst in unserem Kuss versinken konnten. Langsam gewöhnte ich mich ein bisschen daran, dass sie uns sieht, und es fiel mir leichter, sie auszublenden.
Das mit dem Ausblenden, hatte sich allerdings sehr schnell gegeben, als Lily eine kalte Flasche Wasser aus dem Kühlschrank gleichmäßig über uns verteilte.
Jedoch waren meine Reflexe dank Vincent mittlerweile so stark verändert, dass ich ihn nicht kreischend von mir schubste, sondern seinen Körper mit aller Kraft und in seinen Mund quietschend an mich presste. Ein bisschen hatte ich Angst, damit seine Lunge aufzupusten – oder so ähnlich, keine Ahnung, ob das anatomisch möglich war – aber es war besser, als zu dem kalten Wasser auch noch den Verlust seiner Wärme zu erleiden.

Trotzdem trennte sich Vincent kurz darauf von mir und flüsterte in mein Ohr: „Halt sie einfach fest. Sei nicht zimperlich, das kann sie gar nicht leiden. Behandle sie nicht vorsichtig!"

Ich nickte, riss mich urplötzlich aus Vincents Umarmung und stürzte mich lachend auf Lily. Zuerst schlang ich meine Arme eng um sie, um mich ein wenig an ihr abzutrocknen, was sie mit einem hellen Quietschen kommentierte, dann krallte ich mich kräftig an ihre Handgelenke und zog sie in Richtung Spülbecken.
Dort stand Vincent bereits mit einem diabolischen Grinsen im Gesicht, vor dem bestimmt sogar der Teufel Angst bekommen hätte und hielt die Brause des Wasserhahns in der Hand.
Es war so ein komisches, modernes Teil, welches man meterlang herausziehen konnte, und dann auch noch zwischen tausenden verschiedenen Modi umstellen konnte.
Ich hatte mich immer gefragt, wozu man so einen Firlefanz brauchen könnte, aber jetzt wurde mir so einiges klar.

Innerhalb von Sekunden war die wild kreischende und zappelnde Lily völlig durchnässt und die Kleider klebten an ihrer Haut. Unter dem weißen T-Shirt materialisierte sich ein hellblauer BH, was andere Jungs wahrscheinlich verdammt heiß gefunden hätten.
Ich fand es jedenfalls einfach nur toll und wunderbar lustig, wie sie sich unter dem kalten Wasser in meinem Griff wand, wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Irgendwann ging Vincent zwar dazu über, auch mich weiterhin zu duschen, aber das war mir fast schon egal. Nass war ich eh schon, da machte so ein bisschen kälteres Wasser auch nicht mehr viel aus, aber ich hatte den Spaß meines Lebens, und vor allem – aber das fiel mir erst viel später auf – Elias komplett vergessen.

„Du wolltest doch mitmachen", lachte Vincent irgendwann und drehte das Wasser ab.

„Ja, mitmachen, nicht mitgemacht werden", schnaubte Lily, lachte aber ebenfalls.
Wir lachten.
Wir lachten! Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, nach der ich wieder glücklich war.

So lange war es gar nicht, nur einige Stunden, aber Elias hatte es geschafft, mich so traurig zu machen, dass ich nicht daran geglaubt hatte, dass es vorbei geht – und das mit ein paar Worten.
Drohungen, leere Phrasen.
Über diese Erkenntnis lachte ich noch mehr. Nur so konnten wir Elias besiegen, indem wir einfach glücklich waren und lachten und uns freuten.
Stürmisch zog ich Vincent in meine Arme, der den Druck zuerst überrascht erwiderte.

Ziemlich lange standen wir so eng umschlungen da und Lily wirkte etwas verloren, wie sie unschlüssig in der Küche herumstand.
„Komm doch zu uns", bat ich sie, was sie sofort glücklich annahm. Zuerst etwas vorsichtig, dann aber aus ganzem Herzen stellte sie sich zu uns und legte ihre Arme um mich und Vincent.
„Mhhhh, Gruppenkuscheln", seufzte Vincent wohlig. Das brachte uns alle zum Kichern, aber schnell kehrte wieder eine angenehme Stille ein. Ich lauschte Vincents Herzschlag, der in seinem Körper widerhallte, und über seine Schulter an mein Ohr gelangte.
Was hatte ich nur für ein unfassbares Glück, Vincent und Lily zu kennen! Schon nach dieser kurzen Zeit – seit dem Beginn des Schuljahres – wusste ich nicht mehr, was ich vorher den lieben langen Tag gemacht habe.

Als es schließlich irgendwann unbequem wurde, so zu stehen, löste ich mich schweren Herzens aus der Umarmung, aber nicht ohne beiden einen Kuss zu geben.
„Danke, ihr seid einfach so toll", seufzte ich ehrlich. Ein bisschen kitschig war es ja schon, aber irgendwann musste ich doch die Wahrheit sagen! Dafür wurde ich zwar direkt wieder von Lily zerquetscht, aber das zeigte mir nur, wie sehr mich die beiden mochten.
Mit Mühe hielt ich die Tränen zurück, als mir das klar wurde.
Ich weinte irgendwie sehr oft in letzter Zeit, das musste dringend aufhören.
„Na los, dann räumen wir mal etwas auf", schlug Lily kichernd vor, als sie die Küche betrachte, in der ein kleiner See entstanden war. Im Wohnzimmer dürfte es nicht ganz so schlimm aussehen, aber sie hatte schon Recht. Sonst würde es hier in ein paar Tagen ekelhaft nach Schimmel stinken.
Also machten wir uns an die Arbeit, die Wohnung zu entwässern und die Überreste unseres Abendessens wegzuräumen.
Dann leisteten wir Lily bei ihrem eigenen Abendessen Gesellschaft. Auch etwas, das ich sonst nicht freiwillig machen würde.

Wenn wir zuhause überhaupt einmal gemeinsam zu Abend aßen, war ich meistens ziemlich genervt, weil ich eigentlich besseres zu tun hätte. Aber hier... Wir unterhielten uns nicht einmal, sondern saßen einfach nur schweigend beieinander, damit Lily nicht so allein war.
Wieso eigentlich allein?
„Wie ist das eigentlich bei dir, Lily?", fragte ich unvermittelt, „Hast du auch jemanden, den du liebst?"
Lily verschluckte sich vor Schreck und hustete hysterisch, weshalb ich sie belustigt ansah.
„Du hast gerade eine Schwachstelle erwischt, Jakob", informierte mich Vincent kichernd.

Ein bitterböser Blick glitt zwischen Vincent und mit hin und her, bevor Lily schnippisch antwortete: „Nein, ich habe keinen Freund."

Das nahm ich ihr sogar ab, aber an der Art, wie es sagt, erkannte ich, dass da noch etwas war.
„Aber vielleicht eine Freundin?", neckte ich.
„Nein, auch nicht", rief sie, doch dann machte sich ein trauriger Schatten auf ihrer Haut breit.
„Leider?", vervollständigte ich einfühlsam, und Lily nickte deprimiert.

„Möchtest du von ihr erzählen?", fragte nun Vincent. Ich sah ihm an, dass er sich schuldig fühlte, darüber nicht vorher schon einmal gesprochen hatte.
Lily schüttelte aber den Kopf und lächelte uns schief an: „Ist schon in Ordnung, dafür hab ich ja hier zwei süße, kleine Jungs, die sich lieben."
Wir kicherten, doch sofort blickte ich Vincent verliebt an, was er gleich darauf erwiderte.
„Oh Gott, sind wir kitschig", stöhnte dieser lachend.

„Macht dir das etwas aus, Liebling?", fragte ich mit verstellter Stimme und zugehaltener Nase, was uns alle zum Lachen brachte.
„Nein, Baby", erwiderte Vincent in ähnlicher Tonlage, nachdem wir uns einigermaßen beruhigt hatten, aber das machte alles nur noch schlimmer und wir lagen förmlich auf dem Tisch, weil wir unsere Körper kaum noch im Griff hatten.

Ein kleines GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt