Kapitel 26

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Irgendwann raffte ich mich schließlich auf. Wir konnten ja wohl kaum die ganze Zeit hier sein und nichts machen. Daran würden wir noch viel schneller zerbrechen.
Also setzte ich mich an den Schreibtisch und durchsuchte die Schubladen. Ich fand eine ganze Menge: Buntstifte, Filzstifte, Gelstifte, Wachsmalstifte, Stempel, Papier und was man sich sonst alles zum Basteln vorstellen könnte. Überrascht nickte ich und griff nach dem linierten Block, sowie einem teuren Füllfederhalter.

„Was machst du?", fragte Vincent verwirrt.
„Ich schreibe unsere Geschichte auf. Was Besseres haben wir hier eh nicht zu tun", war meine Antwort.
Doch zuerst räumte ich den Raum so um, dass ich Vincent sehen konnte, während ich schrieb.

„Besser", meinte ich zu mir selbst und setzte mich.

„Was, wenn Elias das liest?", fragte Vincent besorgt.
Shit, da hatte er Recht.
„Du brauchst eine Geheimschrift", empfahl er.
„Und was soll das sein?", fragte ich skeptisch.
Doch noch bevor Vincent antworten konnte, fiel es mir selbst ein.
„Runen!", rief ich freudig aus.

Darauf begann ich eifrig, das Alphabet der alten skandinavischen Runen zu notieren. Die hatte ich einmal aus Langerweile auswendig gelernt. Schnell dachte ich mir noch extra Buchstaben für das C und das V aus. Diese Buchstaben kommen sonst nicht vor, aber da einer der Hauptcharaktere beide Buchstaben im Namen trug, erschien mir das wichtig.

Dieses erste Blatt riss ich ab und legte es als kleine Merkhilfe neben das nächste, auf welchem ich nun den Titel niederschrieb.
„Ein kleines Geheimnis", fragte ich, woraufhin mich Vincent anlächelte wie ein Katzenbaby.
„Das nehme ich mal als ‚ja'", kicherte ich.

Die nächsten Stunden begann ich damit, die ganze Liebesgeschichte zwischen Vincent und mir aufzuschreiben. Immer mal fragte ich Vincent nach kleinen Details, die ich schon wieder vergessen hatte.

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Zum Abendessen kam Elias wieder. Leider. Gerade noch rechtzeitig hatte ich den Block unter die Matratze geschoben, sodass mein Werk unentdeckt blieb. Elias wollte zum Glück nur ein bisschen kuscheln, und einige Küsse tauschen. Das war zwar schlimm für mich, aber gerade noch auszuhalten.

Warum kam ich eigentlich so unterschiedlich mit den gleichen Aktionen klar? Am vorherigen Tag war ich dabei noch in Tränen ausgebrochen.
Nun lag ich mit Elias auf dem Bett und wartete, dass die Zeit umgeht. Vincent hingegen hatte sich in eine Fledermaus verwandelt, um in einer für ihn wahrscheinlich vergleichsweise angenehmen Position am Kabel der Glühbirne zu baumeln. Er war schon echt niedlich, wie er so da hing, die Flügelchen um den eigenen Körper geschlossen.

In diesem Moment wurde mir wieder klar, wie sehr ich meinen kleinen Vampir liebte.

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Die nächsten Tage verliefen alle nach demselben Muster: Schlafen, Essen, Schreiben, Schulzeug nachholen, mit Elias kuscheln und dann wieder von vorn. Doch Vincent ging es in dieser Zeit immer schlechter. Er war blass, aß kaum noch, sogar wenn er etwas bekam, und schlief immer mehr.
„Was ist los, Vincent?", fragte ich schließlich an einem Nachmittag. Schon länger hatte ich mir Sorgen gemacht.
„Hm?", fragte Vincent und hob den Kopf.
„Was mit dir los ist?", wiederholte ich.

Vincent senkte traurig den Kopf und murmelte nach über drei Minuten: „Ich brauche Blut, Jakob."
Erschrocken schlug ich mir die Hand vor die Stirn.
Natürlich! Mein Vampir braucht mein Blut!
Aber wie sollte er daran kommen? Ich hätte mich ja selber gebissen, aber meine Zähne waren dafür nicht geeignet.

Scheiße! Vincent war wirklich schwach, das sah man ihm an.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und stürmte zu dem Knopf an der Wand. Ich musste es probieren!
„Bitte lass mich nur für ein paar Minuten in Vincents Raum! Er braucht mich, sonst wird er sterben!", flehte ich den Mann an, der heute auf uns aufpasste.
„Bitte! Er ist ein Vampir, ohne Blut kann er nicht leben!", bat ich noch einmal, den Tränen mittlerweile sehr nah.

Ein kleines GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt