Epilog

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Ich schließe die Augen und lasse die Luft, die noch etwas nach den Spaghetti vom Mittagessen riecht, in meine Lunge strömen.
Dann öffne ich die Schublade meines Schreibtisches, in welcher sich der Papierstapel befindet, auf dem Jake seine Geschichte aufgeschrieben hat.
Ich glaube, er hat immer noch nicht verstanden, wie viel er da wirklich auf die Zeilen gebracht hat. In meiner Hand liegen mindestens einhundert Blätter Papier, so schätze ich.
Bei einem Durchzählen des Stapels stelle ich fest, dass meine Schätzkünste mich wohl im Stich gelassen haben – denn es sind weit über einhundertfünzig doppelseitig beschriebene Papiere.

Ich lege ein weiteres, einzelnes Blatt daneben. Es wirkte ziemlich verloren neben dem großen Haufen.
Dann beginne ich damit, mich über die Schrift her zu machen.
Jakob hat den Fehler gemacht, mir den Namen seiner Geschichte zu verraten, sodass ich so schon an die ersten Buchstaben kam.
Schnell stelle ich fest, dass sich der Freund meines Lieblingsvampirs zum Glück keine eigene Sprache ausgedacht hat (wobei ich ihm auch das ohne zu zögern zutrauen würde), sondern lediglich eigene Buchstaben erfunden.

Mithilfe des Titels will ich mich auf die Suche nach kleinen Wörtern machen, mit denen ich weitere Buchstaben einfach entschlüsseln könnte. Doch ich erschrecke, als ich merke, dass alle Buchstaben in einer Reihe sind!
Okay, Lily, Ruhe bewahren!
Wo könnte die Worttrennung sein?
Ich verenge meine Augen zu Schlitzen, als mir kleine Punkte auffallen, die ziemlich oft auftauchen. Konzentriert durchsuche ich den Text nach einem ‚ein', welches ich ja als volles Wort kenne. Und tatsächlich!
Direkt davor und danach findet sich ein kleiner Punkt in der Zeilenmitte! Schnell erspähe ich ein gleiches Wort einige Zeilen weiter, und wieder ist es von Punkten umschlossen.

Das ist die Regel! Worte sind immer von Punkten getrennt.
Mit neuer Motivation kehre ich zu meinem ursprünglichen Plan mit den kleinen Worten zurück, und entschlüssele mit deren Hilfe einige häufige Buchstaben, die mir die Überschrift noch nicht geschenkt hat.
Dann versuche ich, mit dem Übersetzen zu beginnen. Immer mal finde ich Zeichen, die mir noch unbekannt sind, doch meist finde ich ihre Bedeutung zügig.
Aber bei einigen Wörtern habe ich Probleme.
Meine Güte, mein Jakie kennt aber auch ein paar literarische Prachtstücke, die mir noch nie untergekommen sind!
Interessiert muss ich einige nachschlagen.

Nach einer Seite, die ich mühsam in meinen Laptop abgetippt habe, geht es schon deutlich schneller voran, doch dann stoße ich gleich auf zwei Buchstaben, die ich noch nicht entschlüsselt habe.
Verwirrt suche ich ein deutsches Gegenstück – finde aber keins. Alle Buchstaben habe ich schon vergeben.
So ein Schlingel, da hat sich mein Jakie doch einfach Buchstaben ausgedacht, die zwei deutsche verbinden!

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Zwei Tage später drehe ich erschöpft das letzte Blatt um.
Ich hatte in dieser Zeit nur geschlafen und gegessen, sonst habe ich mich mit dem kleinen Geheimnis meiner zweitliebsten Fledermaus beschäftigt.
Eigentlich habe ich ihm versprochen, dass seine Geschichte niemals jemand zu Gesicht bekommen wird, aber beim Übersetzen ist mir klar geworden, was für eine atemberaubende Geschichte mein süßer, kleiner Jake erlebt hat.
Was für eine Verschwendung es doch wäre, das niemandem zu zeigen!

Grinsend kreiere ich einen Account auf einer Plattform, die dem Teilen von Geschichten zugeschrieben ist.
Ich verwende einen falschen Namen, und beschreibe mich so weit weg von meinem wahren Ich wie möglich.

Nachdem ich mir einen Überblick verschafft habe, wie die Seite funktioniert, erstelle ich eine neue Geschichte, welche ich mit einer Zeichnung aus dem Internet als Cover versehe, öffne einen ersten Teil, und kopiere das erste Kapitel von meinem Laptop in das Internet.
Ich atme tief durch, bevor ich mit geschlossenen Augen auf ‚veröffentlichen' klicke.
(Beim ersten Versuch verfehle ich übrigens die Schaltfläche.)

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Die nächsten Wochen über lade ich immer ein neues Kapitel auf die Plattform, auf der sich langsam eine kleine Stammleserschaft bildet. Manchmal führe ich eine Konversation mit einem Leser und schmunzele über deren Naivität.
Ich betone sogar, dass ich mir diese Geschichte nicht ausgedacht habe, sondern sie nur niedergeschrieben habe, aber ich denke, das glaubt mir keiner.

Wenn sie doch alle nur wüssten!

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This is the end
Hold your breath and count
To ten.

Ich bedanke mich herzlich bei allen, die über die vielen Monate bei meiner kleinen Geschichte geblieben sind, fleißig gevotet haben und nette Kommentare geschrieben haben. Eigentlich wollte ich hier ein paar Leute aufzählen, die mir besonders aufgefallen sind, aber ich würde sicherlich jemanden vergessen, und der wäre dann traurig. Deshalb meine ich euch einfach alle, okay?

Vielleicht habt ihr ja Lust, bei meiner neuen Story „Johannes" vorbeizuschauen, deren erstes Kapitel ich heute online gestellt habe. Es ist ebenfalls eine boyxboy Geschichte, die ich vor einigen Jahren geschrieben habe, aber völlig anders als diese hier.
Ich erinnere auch noch einmal an mein Informationsbüchlein, da Ankündigungen, so denke ich, nur von Followern eines Accounts gesehen werden.

Vielen Dank nochmals und euch einen tollen Tag,
SurfingTCAS

Ein kleines GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt