Kapitel 22

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Ich war völlig überfordert, als Vincents leises Schluchzen zu mir drang. Nach einigen Momenten der Ratlosigkeit führte ich Vincent schließlich in sein Zimmer zurück, in welchem wir uns vorsichtig ins Bett legten. Ich hielt es für besser, eine angenehme Position einzunehmen.
Eine Hand legte ich an Vincents Kopf, um ihn zu meinem Hals zu ziehen. Weinend vergrub er sein Gesicht an meiner Haut und krallte sich fest in meinen Rücken.
„Sie wissen... dass ich... ein Vampir bin", erklärte Vincent schließlich in mehreren Anläufen. Erschrocken hielt ich die Luft an. Das ist verdammt gefährlich!
„Das ist nicht schlimm", versuchte ich meinen Freund trotzdem zu beruhigen, „Niemand glaubt denen das!"
„Und? Er kennt meine Schwäche. Wir sind geliefert", wand er ein.

„Hab keine Angst", murmelte ich und hinterließ einen sanften Kuss auf Vincents Haaren.


„Doch. Ich bin nicht so stark, wie ich tue, Jakob. Ich habe riesige Angst um dich und um mein Leben. Was, wenn er uns umbringt? Ich bin schwach."
Nach diesem kurzen Monolog brach Vincent wieder in Tränen aus, die sich ein vorher kleines bisschen gelegt hatten.
Er atmete immer schneller und ich wusste beim besten Willen nicht, was ich tun sollte. Also entschied ich mich, einfach für ihn da zu sein und zu warten, bis es vorbei ist.

Ich legte beschützend ein Bein um Vincent und versuchte, ihn so eng wie möglich an mich zu ziehen, ohne einem von uns Schmerzen zu bereiten.
Er seufze auf und seine Fingernägel bohrten sich in meinen Rücken, aber das war mir egal, denn ich bemerkte, wie sich meine kleine, starke Fledermaus langsam beruhigte.

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Irgendwann hatte ich begonnen, die Wärme von Vincent richtig zu genießen und mir kaum noch Gedanken zu machen. Vincent selbst schien sich mit der Zeit beruhigt zu haben und platzierte ab und zu einen Kuss an meinem Hals, woraufhin ich jedes Mal wohlig seufzte. Es war so eine winzige Geste, aber sie löste so viel in mir aus!
Schließlich warf ich wieder einen Blick auf die Uhr – und erschrak heftig. "Siebzehn Uhr dreißig?", rief ich erstaunt.
Soweit man eine sieben Stunden lang unbenutzte Stimme rufen lassen kann...
„Derweil wolltest du doch heute Mittag für uns kochen!", kicherte ich und auch Vincent lachte wieder. Die Trauer war endlich verflogen. Auch wenn Verdrängen eigentlich keine Lösung ist, so mussten wir uns doch auf das Schöne konzentrieren und zusammen lachen.

„Kann ich ja dann morgen machen", seufzte er ergeben. Endlich hatte er eingesehen, dass er um diese Sache nicht herum kommen würde.

Dann kehrte ein Moment der Stille ein, in welchem ich ein Stück nach oben rutschte, sodass wir uns in die Augen sehen konnten.
„Danke", flüsterte Vincent, bevor sich unsere Lippen berührten.
Sofort schloss ich die Augen und genoss den Moment.
Vincents Haut auf meiner – er hatte seine Hand unter mein Shirt geschoben, um mir etwas näher zu sein – sein weicher Mund auf meinem und die sanfte Vorsicht, mit der er seine Lippen bewegte – das alles war genau das, was ich mir immer gewünscht hatte. Das ist Liebe, nicht diese Verhurung, die im Fernsehen beworben wird. Nicht der erste Sex mit vierzehn, kein Schminken um zu gefallen, keine Liste der Geschlechtspartner und schon gar nicht irgendwelche Fickbeziehungen waren Liebe für mich.
Liebe ist dieses blinde Vertrauen, diese Nähe, das füreinander Dasein in guten wie in schlechten Zeiten, das Wissen, dass es mir immer gut gehen würde, solange ich nur bei Vincent bin. Niemand konnte uns trennen. Nicht meine Eltern, keine homophoben Spinner, und auch nicht Elias, würden das ‚Wir' zwischen Vincent und mir zerstören können.

„Du lächelst, als müsste ich gleich Angst um mein Leben haben", kicherte Vincent und ich fiel mit ein.
„Nein, musst du nicht. Ich bin einfach nur sehr glücklich, dich zu haben", erklärte ich.

Vincent antwortete gar nicht erst, sondern überfiel mich einfach gleich wieder mit Küssen. Lachend ging ich darauf ein uns so wälzten wir uns mit einer Mischung aus Lachen, Kichern und Küssen auf dem Bett herum.
Schließlich trennten wir uns schwer atmend voneinander und lagen Seite an Seite auf der Matratze, den Blick starr nach oben gerichtet und mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.
Vincents Hand tastete etwas verlegen nach meiner und ich griff schnell zu, um unsere Finger zu verschränken.

Ein kleines GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt