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Kirchglocken erheitern das ferne Land und lassen die Menschen aus der Kirche stürmen. Langsam stehe ich auf und betrachte die versteckte Tür, die aufschwingt. „Ich werde den Priester fragen." Gebe ich bescheid. „Und wenn er dich nicht versteht?" Stimmt.

„Wo sind wir hier gerade?" Fragend luge ich auf den Boden, um ihn zu betrachten. „Kurz vor Panama." Erstaunt ziehe ich meine Brauen zusammen. „Ich habe es mir immer anders vorgestellt. Wärmer." Anhand seines Blickes wird mir bewusst, dass dies wohl eher der alten Vorstellung entsprach. Das Klima wurde überall verändert. Manchmal nur ein wenig. Hier hingegen scheinbar etwas mehr.

„Okay, ich versuche es einfach." Seufzend gehe ich auf die Menschen zu. Sie wirken bedrückt. Schweigsam. Vielleicht ist das frohe Fest, doch nicht mehr so... erheiternd. Sie schließen langsam mit der Hoffnung ab. Am liebsten würde ich sie alle an den Schultern packen und schütteln. Jedoch ist dies fürs erste meine Aufgabe bei Thunder. Ich muss ihn als erster retten. Denn er ist der erste der sterben wird. Zögernd vertreibe ich die Gänsehaut auf meinem Körper, sobald ich die Kirche betrete und zum Altar gehe.

„Que haces ahí?"

Erschrocken wende ich mich herum. Ein kleines Mädchen kommt auf mich zu. Ihre schwarzen Locken umrahmen ihr Gesicht, während sie unmittelbar vor mir zum stehen kommt. Sie ist vielleicht zehn, trotzt aber bereits nun mit voller Schönheit. Zweifelnd beiße ich mir auf meine Lippe. Mal schauen was ich noch so drauf habe. „Yo busco Aqua?" In ihrem Gesicht tritt ein fragender Ausdruck auf, bevor sich ein Lächeln auf ihre Lippen stiehlt. „Du bist Amerikanerin." Erstaunt bringe ich ein nicken zustande. „Meine Mama auch." Fügt sie dann hinzu. Trotz, dass sie zu sprechen weiß, mischt sich sehr stark der Spanische Akzent unter. Und das ist wirklich zu süß. „Ich suche geweihtes Wasser." Gebe ich ihr bescheid, jedoch scheint ihr das bereits zu viel gewesen zu sein. Sie zuckt mit ihren Schultern und blickt über ihre Schulter. Ich blicke direkt in die Augen des Priesters. Na super. Er wird mich sicher hinaus werfen. Er redet irgendwas auf Spanisch. Viel zu schnell. Viel zu wütend. Unbehagen steigt in mir auf. Vielleicht sollte ich auch einfach gehen? Dem Mädchen hinterher gehen?

„Was machen Sie hier?" Erneut einer der meine Sprache spricht, wenigstens etwas. Mit zügigen Schritten eilt er zu mir. „Ich brauche ihre Hilfe." Energisch schüttelt er seinen Kopf, bevor er meine Hand umfasst. In seinen Augen erkenne ich den Schock. Als hätte er sich verbrannt gleiten seine Finger wieder von mir. Mit großen Augen betrachtet er mich. Als hätte er...

„Sind Sie ein Engel?" Ich kann mir diese Frage nicht verkneifen. Jedoch hätte ich doch auch etwas anderes gespürt. Vielleicht kann ich ja seine Macht nicht absaugen, weil ich auf heiligem Boden stehe. Jedoch wird diese Theorie auch niedergeschlagen, als sich sein Kopf langsam schüttelt. „Was haben sie dann gerade gespürt?"

„Das Böse." Ich ersticke beinahe selber an meinem Atem. Das ist bisher noch nie passiert. Nicht einmal ich spüre das Böse direkt in mir. Eben nur ab und zu, wenn sie mich mit ihren Fantasien überschütten. „Sie werden überall gesucht. Sie sollen unsere Rettung sein, wieso sind sie ein Dämon?" Ups.

„Ich habe nicht viel Zeit, aber ich möchte ihnen alles erklären. Ich bin auf der Seite der Engel. Mein Vater lügt. Das was er unterstützt sind die Dämonen und ich muss ihn aufhalten, sonst gehen wir alle unter." Die Furcht, dass er mich nicht versteht ist groß. Ich habe zu schnell geredet. Vielleicht zu undeutlich. Aber irgendwas in seinen Augen verrät mir, dass ich ehrlich sein kann und dass er mich wenn nicht sprachlich, dann Geistig verstehen wird.

„Ich brauche Weihwasser. Ich muss irgendwie dagegen ankämpfen."

Ich trete einen Schritt auf ihn zu. Dass er nicht ausweicht, zeigt mir nur, dass er mir vertraut. Wenigstens etwas.

„Komm." Er geht den kleinen Gang entlang und in einen hinteren Raum. Es wirkt wie ein Büro. Ich muss schmunzeln. Ein Büro für ein Priester. Und dabei dachte ich alles was er braucht ist sein Geist. „Es ist nicht viel."

„Kann ich es trinken?" Er schüttelt seinen Kopf, während er das Wasser von einem Becken in eine leere Plastikflasche füllt. „Es würde dich wegen des Salzgehaltes umbringen. Tränke es in ein Tuch und trage es bei dir. Solange es nass ist, sollte es wirken. Hoffentlich." Dankend ergreife ich die Flasche. „Kann ich ihnen dafür eine Gegenleistung erbringen?"

Es schleicht sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Tu das, was du gerade tust." Ich möchte erst erwidern, fragen was er meint, aber da dröhnt bereits der erste Schrei zu uns. Fassungslos schaue ich zu dem Priester, ehe ich hinaus stürme. Meine Augen beginnen zu Tränen, bei dem bestialischen Geruch, bei den finster, glühenden Augen die uns anschauen. Frauen, Männer und Kinder schreien um ihr Leben, als die Dämonen die Kinder mit sich zerren. „Oh mein Gott. Sagen sie ihnen das sie auf den Boden müssen!" Schreiend blicke ich den Priester an, der sich wohl aus seiner Starre zu lösen scheint. Schwarze Schatten türmen sich aufeinander, greifen jedes Kind das sie erwischen. Die Schreie hallen noch bis tief in den Wald.

Der Priester schreit irgendetwas herum. Doch die Menschen wollen nicht hören. Verständlich. Ich drücke ihm die Flasche in die Hand, wodurch er mich mit großen Augen anschaut. „Sie reagieren darauf. Versuchen Sie so viele Kinder wie möglich zurück zu holen."

Ich blicke um mich, erkenne wie der Engel in der hintersten Ecke steht und bloß auf das Geschehen hier starrt. Er wirkt paralysiert. Sein Körper von der Dunkelheit überzogen. Dann trifft sein Blick auf den meinen. Meine Brauen ziehen sich zusammen. Mein Verstand versucht zu arbeiten. Wenn ich über die Grenze trete und sie mich erwischen... die Träume dürfen nicht schlimmer werden. Ich werde jeden Engel vernichten, der noch existiert. Ich werde jedem alles nehmen, was noch für die Hoffnung stand.

Er geht einen Schritt rückwärts. Er geht noch einen Schritt Rückwärts. Er entfernt sich. Langsam und sicher auch immer mehr von sich selber. Seine Flügel in der Schwärze getränkt.

„Hilf ihnen!" Meine Stimme hallt an der Kirche vorbei. Geht in den Lauten und Schreien unter, die einen zerreißen. Die Kinder betteln, ihre Schreie sind Markerschütternd. Grausam. Er reagiert nicht. Weder auf mich, noch auf die Menschen die wirklich Hilfe benötigen. Ich habe keine Chance gegen die Dämonen. Ich wüsste nicht was ich anrichten könnte. Er ist ein Engel. Es ist seine verdammte Aufgabe ihre Dämonen zu verjagen.

„Was ist daran so schwer selbstlos zu sein? Das Richtige zu tun." So selbstlos wie es Thunder ist. Und ja, ich hasse ihn dafür, dass er sich freiwillig für den Tod entschieden hat, aber er tut es mit reinem Herzen. Nur weil er denkt, es sei sein einziger Weg. „Es gibt eine Lösung für alles! Du bist verdammt noch mal die Lösung dafür! Sehe dich doch endlich mal als Engel und nicht als misslungenes Projekt der Natur!" Schreiend schaue ich weiter zu ihm.

„Es kann nicht immer ein Happy End geben, Edeline! Siehe es doch bitte ein!" Verdutzt löst sich meine Haltung auf, während sich seine schwarzen Flügel ausbreiten. Und mit schwarz, meine ich die finsterste Nacht. Die Federn fallen zu Boden, entblößen nur noch faltige Haut, wie die einer Fledermaus. Blanke Wut durchzieht mich. Hält mich als einziges fest, während selbst die Stimmen und Schreie langsam abebben. „Ich flehe dich an. Zieh dich nicht wieder zurück! Hilf mir!" Und nun beginne ich doch zu betteln. Er war mein einziger Ausweg. Er war meine einzige Hoffnung Thunder lebend zu finden und diese Gott verdammte Welt von ihrem Zynismus zu retten.
„Wieso tust du das? Wieso verbaust du dieser Welt alles?"

Meine Hand ballt sich zu einer Faust, wodurch mir erst nun wieder auffällt das ich das Wasser nicht mehr besitze. Wir glauben daran. Wir glauben an ein wenig Wasser dem nur wenige Worte gesprochen wurden. Wir glauben an ein ‚heiliges' Wasser.

„Du hast dir den falschen Engel ausgesucht. Ich werde die Welt nicht retten." Seine Flügel beginnen aneinander zu schlagen. Donnerwellen durch den Wald zu trommeln. Die Stille die sonst um uns herrscht ist vernichtend. Genauso wie die letzten Schluchzer der Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Meine Zähne pressen sich aufeinander.

„Cedric!"

Mein Kopf legt sich in meinen Nacken als ich den schwebenden Engel beim stoppen beobachte.

„Von dem ersten Augenblick an, warst du für mich Cedric. Ich habe Thunder nicht wegen meiner Verbindung benannt. Ich habe ihn benannt, weil ich daran geglaubt habe. Weil er daran geglaubt hat. Glaube an dich. Ich flehe dich an, glaube an dich, wie ich es tu."

Die letzten vier Kapitel... dann ist die Reise mit Edeline und Thunder vorbei ❤️😱

Thunder-fallen creaturesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt