Kapitel 9

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Anne riss die Tür so schnell auf, dass ich beinahe stolperte, als ich erneut zum Klopfen ansetzte. Ihre grünen Augen funkelten wütend und überrascht, nachdem sie sah, wer da wie ein Verrückter gegen die Tür gehämmert hat. „Sag mal, geht's dir gut? Es gibt auch eine Klingel, wie du sicherlich weißt.", motzte sie und ich konnte erkennen, dass mein plötzliches und lautes Auftauchen sie scheinbar erschrocken hatte. „Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.", entschuldigte ich mich und versuchte sie zu beruhigen. Ohne abzuwarten betrat ich den Wohnraum und ließ Anne gar keine Möglichkeit mich wieder loszuwerden. „Hast du aber, ich war kurz davor mir ein Messer zu schnappen." Annes Ton war noch immer ernst, aber ihr Schmunzeln konnte sie nicht vor mir verbergen. „Was führt dich denn so überraschend und mitten in der Nacht zu mir?" Das war eine gute und berechtigte Frage, auf die ich gerade auch keine klare Antwort mehr fand. „Wir müssen reden, Anne. Du kannst nicht einfach hier aufkreuzen und so tun als wäre nie etwas gewesen.", sagte ich und lehnte mich gegen einen der Stühle, die am Tisch im Wohnbereich standen. Anne schloss die Tür und ging die paar Schritte zu mir, bis sie ebenfalls am Tisch stand. „Wie gesagt, ich habe die Woche hier gebucht, um Urlaub zu machen. Ich konnte doch nicht wissen, dass ich dich hier treffe. Das vorhin war für mich genauso unangenehm wie für dich, Hannah. Aber deshalb werde ich nicht einfach wieder meine Sachen ins Auto packen und fahren. Apropos, sag mir bitte, dass du so nicht ins Auto gestiegen bist?", fragte sie und stützte sich mich beiden Händen am Tisch ab. „Wieso musst du denn ausgerechnet hier Urlaub machen? Fahr doch lieber nach Sylt, trink da deinen Champagner und schnapp dir am besten noch einen schmierigen und segelnden Schönling, mit dessen Gefühlen du dann auch spielen kannst." Ich hörte wie der Alkohol aus mir sprach, doch konnte die Worte, die da aus meinem Mund kamen nicht zurückhalten. Anne vor mir stehen zu sehen und zu spüren, wie wenig ihr das ausmachte, wühlte mein Gefühlsleben vollkommen auf. „Einen schmierigen und segelnden Schönling? Deine Alliterationen waren schon immer gut.", sagte sie und biss sich auf die Lippe, um ihr Lachen zu unterdrücken. „Und dass ich dich verletzt habe, weiß ich. Aber du hast mir damals auch nicht die Chance gegeben, um dir alles zu erklären. Du bist weggelaufen, falls du dich erinnern kannst." Und wie ich mich daran erinnern konnte. Unzählige Male hatte ich unser Gespräch von damals in meinen Gedanken durchgespielt und mich gefragt, ob es richtig gewesen war, sie einfach sitzengelassen zu haben. Doch damals war die Enttäuschung mit mir durchgegangen und ich wollte mir nicht anhören, was Anne alles daran hinderte, mit mir zusammen zu sein. Ich hätte ihr eh kein Wort mehr von dem geglaubt, was sie mir zu erzählen versuchte. Für mich waren es bis heute ganz einfach Ausreden gewesen. Anne hatte mich nie geliebt, darüber war ich mir mittlerweile im Klaren. „Schieb das nicht auf mich, Anne. Du hattest sehr wohl eine Chance, auch wenn ich weggelaufen bin. Ich war noch zwei Jahre an derselben Uni wie du, du kanntest meine Adresse, hattest meine Nummer. Du hattest tausend Chancen mir alles zu erklären, aber du wolltest es nicht. Für dich war es so einfacher, vermutlich kam es dir genau recht, dass ich gegangen bin. Da musstest du mir wenigstens nicht noch länger irgendwas vormachen.", sagte ich und merkte, wie mein Tonfall lauter wurde. „Ich habe dir nie etwas vorgemacht und das weißt du hoffentlich.", unterbrach sie mich und kam noch einen Schritt auf mich zu. Etwas tief in mir wünschte sich, dass Anne diesen Schritt auf mich zumachte. Ein Teil von mir sehnte sich nach ihrer Entschuldigung, ihrer Reue und letztendlich auch danach, die Hand, die sie gerade auf meinen Oberarm legen wollte, zu spüren. Doch sie zog ihre Hand wieder unentschlossen weg und fuhr sich stattdessen ratlos durch ihre dunklen Haare. Ich kannte sie noch immer so gut, dass ich ihr anmerken konnte, dass ihr dieses Gespräch auch nicht leichtfiel. Anne hatte immer Schwierigkeiten gehabt, über ihre Gefühle zu sprechen und ihre Gedanken zu teilen. Oft hatte ich Probleme damit gehabt sie einzuschätzen und nur selten hatte sie ihre verletzliche Seite gezeigt. Schwäche und Verletzbarkeit zu zeigen und überhaupt zuzulassen, war nie ihr Ding gewesen. Dafür hatte sie immer viel zu sehr die Kontrolle über alles behalten wollen. Auch jetzt, als diese verletzliche Seite an ihr kurz zum Vorschein kam, war es ihr sichtlich unangenehm. „Und wenn du nichts dagegen hast, bringe ich dich jetzt nach Hause. Ein wenig Zeit, um das hier alles zu verarbeiten tut uns beiden sicherlich gut.", sagte sie und versuchte das Gespräch so zu beenden. „Ich bin mit dem Auto hier, du brauchst mich nicht nach Hause zu bringen. Außerdem können wir auch jetzt darüber reden, was spricht dagegen?" „Du hast getrunken, Hannah. Ich lasse dich mit Sicherheit nicht nochmal ins Auto steigen, ob du das willst oder nicht." Scheinbar kannte Anne mich ebenfalls noch so gut wie ich sie.

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