Kapitel 12

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Hallo ihr lieben,

heute kommt es im neuen Kapitel endlich zur Aussprache zwischen Hannah und Anne. Irgendwie war es selbst für mich erleichternd, dieses Kapitel nach all der Zeit endlich schreiben zu können. Ich hoffe, es gefällt euch!

Am nächsten Tag dankte ich mir selbst dafür, dass ich das Treffen mit Anne auf heute gelegt hatte. Da ich mittwochs immer bis zum Nachmittag noch Unterricht in meinem Deutsch Grundkurs hatte, verging die Zeit wenigstens relativ schnell. Den Gesichtern meiner Schüler nach zu urteilen allerdings nicht schnell genug. „Ich weiß ja, dass Lyrik nicht eurer Lieblingsthema ist, aber es ist gut möglich, dass sowas im Abi vorkommt. Da solltet ihr wenigstens ein wenig die Analyse und die Stilmittel beherrschen.", erklärte ich und schaute noch immer in unzufriedene Gesichter, während ich mich ans Pult setzte und noch die Entschuldigungszettel unterschrieb. „Aber wer schreibt heute denn bitte noch Gedichte?", fragte Timo, der es sich durch seine Noten jedoch erlauben konnte, sowas in den Raum zu stellen. „Vielleicht solltest du deiner Freundin mal ein Gedicht schreiben, Timo. Du wirst überrascht sein, wie sehr sie sich freuen wird.", sagte ich und verdrehte die Augen, bevor ich die Arbeitsblätter für die heutige Stunde rausholte. „Timo ist Single.", verkündete dann sein Sitznachbar Jan und Timo stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. „Jetzt weiß Timo auch wieso.", sagte ich und war froh darüber, die Stimmung hier am Nachmittag wenigstens etwas auflockern zu können. „Heute gibt es Tinder, da braucht man keine Gedichte mehr.", mischte sich nun jemand anders ein und sorgte für erneute Lacher. „Soweit ich weiß, ist Tinder aber auch erst ab 18, oder?", hakte ich nach und merkte, dass ich mich gerade verraten hatte. „Haben Sie auch Tinder, Frau Mai?", fragte nun Timo und ich musste mir schnell etwas überlegen. „Ne, das habe ich nicht nötig.", log ich und dachte daran, wie viele Stunden ich schon mit dem nach links und rechts wischen verbracht hatte, wenn auch erfolglos. „Also sind sie vergeben?", wurde erneut nachgehakt und ich teilte seufzend die Arbeitsblätter aus. „Ja, bin ich. Aber das ist heute auch gar nicht das Thema. Um mit euch die Analysetechniken und Stilmittel zu üben, habe ich euch heute einen Songtext und kein Gedicht mitgebracht." Vereinzelt sah ich diesmal erleichterte Gesichter und war ein wenig stolz auf mich, dass mir die Idee gestern kam, als Glück auf von Joris im Radio lief.

Während meine Schüler in Gruppen den Songtext versuchten zu analysieren, glitten meine Gedanken immer wieder zum heutigen Abend. Ich machte mir sogar Gedanken darüber, was ich anziehen sollte und wusste, dass dies kein gutes Zeichen war. Eigentlich sollte es mir egal sein, was Anne von mir denkt und trotzdem hatte ich das Bedürfnis danach, ihr zu zeigen, was sie überhaupt verpasst hatte.

Als ich am Abend jedoch vor meinem Kleiderschrank stand und schon die Hälfte der Sachen durchwühlt hatte, kam ich mir ziemlich kindisch dabei vor. Deshalb zog ich einfach nur eine graue Jeans und einen dünnen Pulli an. Anne wird vermutlich noch nicht mal auf mein Outfit achten, ging es mir durch den Kopf und ich zog noch ein paar Ringe an, die auf meinem Nachttischschrank lagen. Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich eigentlich schon losfahren könnte und so warf ich nur noch einen kurzen Blick in den Spiegel, versuchte mir einmal aufmunternd zuzulächeln und nahm dann meine Schlüssel und mein Handy, bevor ich die Wohnung verließ. Auf der Fahrt zu Anne wurde ich allmählich nervöser. Ich spürte, wie meine Hände kalt und feucht wurden und wie ein nervöses Kribbeln in meinem Brustkorb sich bemerkbar machte. Um mich zu entspannen, drehte ich die Musik im Radio lauter und klopfte im Takt auf das Lenkrad. Als ich am Hausboot ankam stand Anne schon draußen und beobachtete das Treiben am Hafen. Nachdem sie mein Auto gesehen hatte, kam sie in meine Richtung und stieg kurz darauf auf der Beifahrerseite ein. „Hey", sagte sie mit einem warmen Lächeln im Gesicht und strich sich beim Anschnallen eine ihrer glatten Haarsträhnen hinters Ohr. „Schön, dass du es dir doch nochmal anders überlegt hast." Auch wenn sie es scheinbar wirklich freute, ich war schon wieder dabei meine Entscheidung zu bereuen. Wie sollte ich so einen ganzen Abend mit ihr verbringen? Die kurze Fahrt über sprachen wir über belanglose Dinge, wie das Wetter oder das Pärchen, das neben Anne wohnte und nachts gerne bis spät in die Nacht lautstark Kniffel spielte. Als Anne mir erzählte, dass sie sich die Nacht davor beschweren wollte und am Ende einfach mitgespielt hatte, fühlte ich seit langer Zeit zum ersten Mal Wehmut und keine Wut mehr. Das zwischen uns hatte nicht so lange existiert, dass ich sie bei all diesen alltäglichen Dingen hätte kennenlernen können. Unsere Zeit war aufregend und intensiv gewesen, ja. Aber das Gefühl, dass ich sie wirklich kannte, hatte ich nie gehabt. Anne hatte einen immer nur das sehen lassen, wozu sie bereit war es zu zeigen. Ab und zu hatte sie mir Einblicke in ihre Gedanken und Gefühlswelt gegeben, doch so richtig auf Augenhöhe hatte sie mich vermutlich nie gesehen. Zumindest empfand ich es mittlerweile so.

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