Northern Lights

25 - Ushuaia

Am nächsten Vormittag, nachdem wir alle ausgeschlafen hatten, stand der Soundcheck für ein Set im Ushuaia Hotel an. Das Hotel war berühmt für seine Dance Music Shows, alle großen DJs legten regelmäßig im Rahmen ihrer Residency auf und rund herum gab es zusätzlich einzelne Shows und große Partys. Mykko sollte am frühen Abend eine eigene Show spielen, bevor später in der Nacht einer der Resident DJs auflegte. Nachdem die Jungs die CDJs und den Mixer angeschlossen hatten, testeten sie noch eine Weile am Sound des Klaviers herum. Mykko liebte es, einige seiner Tracks live auf dem Klavier zu spielen und Ushuaia hatte uns einen wunderschönen schwarzen Flügel zur Verfügung gestellt. Jasper und Johnny arbeiteten an einer Spike mit Scheinwerfern, während Mykko zusammen mit dem Sound Engineer von Ushuaia an der Tonübertragung des Flügels arbeitete. Ich saß am Rand der Bühne und beobachtete das Treiben. Joucca hatte sich weiter hinten auf dem Gelände an die Poolbar gestellt, um von dort aus den Sound zu testen. Einige Angestellte und Gäste wuselten vor dem Absperrband der Bühne herum und machten ein paar Fotos. Als Mykko sich an den Flügel setzte, die Augen schloss und die Melodie von „Northern Lights" zu spielen begann, streckten sie alle ihre Handys in die Höhe, um das beste Video von ihm zu erhalten. Er spielte sich durch die ersten Akkorde, begann die Melodie, als sich plötzlich immer mehr schiefe Töne zwischen den melodischen Klang mischten. Mykko öffnete die Augen, sein Blick schien irritiert. Er verspielte sich doch sonst nicht, Northern Lights konnte er im Schlaf! Ich warf ihm einen Blick zu, doch er reagierte kaum. Nach ein paar weiteren Akkorden brach er ab, stand auf und lief wortlos zum hinteren Rand der Bühne. Von meiner Position aus konnte ich sehen, dass sein Blick trüb war und er sehr ungewöhnlich atmete. Ich sprang auf und lief zu ihm. Verdammt, irgendwas stimmte nicht. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass auch Joucca alarmiert auf uns zu gelaufen kam und die Angestellten und Fans verscheuchte. Das musste nun wirklich keiner filmen. Ich war die erste, die Mykko erreichte. Er hielt sich den Kopf, atmete schnell und hektisch. „Mykko!", rief ich besorgt, „Was ist los? Bist du okay?" Er schüttelte nur schwach den Kopf und ich streichelte über seinen Rücken. „Okay... pass auf, setz dich mal auf den Boden. Ganz ruhig. Wir kümmern uns um dich, okay?" , versuchte ich ihn zu beruhigen. Inzwischen war auch Joucca bei uns angekommen: „Linnea, was ist passiert?", fragte er mich und ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu: „Später Joucca. Mykko geht es nicht gut. Kannst du dafür sorgen, dass er seine Ruhe hat? Bitte!", rief ich ihm bittend zu. Joucca nickte verständnisvoll und hielt uns den Rücken frei. „Jasper!", rief ich, „Kannst du mir bitte ne Wasserflasche besorgen? Schnell!" Jasper nickte und rannte los. Wenige Sekunden später reichte er mir die Flasche und trat dann wieder einige Schritte zurück. Ich drehte mich wieder zu Mykko um. Vorsichtig reichte ich ihm das Wasser: „Hier, trink mal einen Schluck. Ganz ruhig atmen, Mykko." Er hyperventilierte immer noch. „Ich bekomme so schlecht Luft!", brachte er hervor. „Ich weiß, Mykko.", gab ich zurück und setzte mich vor ihn auf den Boden. „Ganz langsam atmen.", sagte ich und sah ihn direkt an. Er versuchte sich, auf mich zu konzentrieren, doch dann erschien wieder Panik in seinen Augen. „Bring mich hier weg. Weg von der Bühne, von all diesen Menschen.", flehte er. „Natürlich, klar.", sagte ich und reichte ihm meine Hand. Wir standen auf und ich brachte ihn in seinen Garderobenraum hinter der Bühne. Durch die Bewegung verlangsamte sich seine Atmung wieder ein wenig und er beruhigte sich etwas. Ich brachte ihn dazu, sich auf das Sofa zu setzen und setzte mich neben ihn. „Hast du noch etwas von dem Wasser?", fragte er mich mit noch etwas zittriger Stimme. Ich nickte und reichte ihm die Flasche. Er trank noch einen großen Schluck Wasser und sah mich dann mit etwas klarerem Blick an. „Danke.", sagte er leise.