14 ꕥ I'm sorry

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Seungkwan

Unsere aufgezwungene Projektarbeit neigte sich langsam aber sicher dem Ende zu. Das sollte mich eigentlich mit unbändiger Freude erfüllen, doch tatsächlich war diese nicht mal so übermäßig. Nicht etwa, weil ich so gerne mit Vernon arbeitete, sondern viel mehr, weil es dann doch gar nicht so schlimm gewesen war.

Wie dem auch sei, seit dem er nachts in mein Zimmer gekommen war und ich ihm geholfen hatte, hatten wir alle Aufgaben zusammen bearbeitet und jetzt saßen wir an der letzten, allerdings wollte diese wieder nicht so wie ich, denn meine Berechnungen wollten einfach keinen Sinn ergeben. Wir wussten doch alle was das hieß. Locker aus dem Handgelenk warf ich den Helfer an die Wand hinter meinem Bett.

"So verzweifelt?", brummte Vernon und ich zuckte unschuldig mit den Schultern. Vernon seufzte und warf sein Heft hinterher. "Lass sie kuscheln, vielleicht finden wir dann ja eine Lösung", meinte er. Ich fuhr mir durch die Haare. "Ich hab keine Ahnung. Ich glaub fast, die Aufgabe ist einfach nicht lösbar und der Professor weiß das genauso gut wie wir und hat sie auch genau deswegen mit rein", meinte ich und Vernon grinste schief. "So sehr, wie wir ihn genervt haben, ist das auch kein Wunder." Ich gab ein kleines, abfälliges Geräusch von mir. Vernon zuckte mit den Schultern.

"Na ja, immer hin hat er wenigstens ab demnächst seine Ruhe", meinte er und musterte mich. "Du meinst, da du mir in Zukunft keine dummen Sprüche mehr drückst?", fragt ich und ließ es schnippisch klingen. "Ich meine, weil du mir keine dummen Sprüche mehr drückst", erwiderte er in selber Manier. Ich schnaubte und setzte mein Bitchface auf. "Oh, nein, Schätzchen, ich schieb dir die Schuld in die Schuhe", erwiderte ich betont spitzfindig und Vernon ließ ein kleines Lachen vernehmen. Doch dann wurde sein Blick seltsam ernst.

"Ist ja auch richtig."

Ich blinzelte überrascht, denn damit hatte ich dann doch nicht gerechnet. Wie meinte er das? Also ... wie genau? Ich spinte einen meiner Stifte zwischen meinen Finger und musterte ihn. "Erkennst du mir mein Recht eine Zicke in unserer Beziehung zu sein plötzlich an?", fragte ich und Vernon stieß die Luft aus seinen Lungen aus. "Nicht plötzlich", meinte er, "schon seit mindestens drei Tagen!" Süß. Er lehnte sich zurück und sah man mich an. "Na ja, eigentlich schon von Anfang an, ich hab mich nur reichlich dumm angestellt und dann befanden wir uns in einer Abwärtsspirale, aus der wir fast den Absprung verpasst hätten, was echt schade gewesen wäre, denn ich kann dich eigentlich ganz gut leiden", erklärte er.

Ah. Gib mir eine Sekunde.

"Könntest du das lassen?", intervenierte ich. "Wie soll ich denn so bitte in Ruhe hassen?" Vernon schnipste und deutete auf mich, als hatte ich was Wichtiges gesagt. "Nein, kann ich nicht, denn genau das ist das Ziel." Dieser Trottel. Ich konnte nichts gegen das amüsierte Lächeln machen, dass sich auf mein Gesicht schlich. "Okay, jetzt aber mal Flacks beiseite." Vernon schien sich kurz sammeln zu müssen und ich ließ ihn. Ich war irgendwie gespannt was er zu sagen hatte und ich hatte das Gefühl, es würde mich doch noch überraschen. "Hör zu, Seungkwan, es war nicht deine Schuld, denn du bist echt einer von den guten und ich hab mich echt dumm angestellt, warum ist ja jetzt auch egal-"

Ich hob den Finger und er unterbrach sich brav. "Nein", sagte ich mit Nachdruck, "ist es nicht." Ich stützte den Kopf auf meine Hand. "Hau raus: Was war dein Problem?", forderte ich ihn auf und er fuhr sich kurz durchs Haar. "Sicher, dass du mich rumjammern hören willst?", fragte er und ich machte eine unbestimmte Handbewegung, die verdeutlichte, dass er weiter reden soll. "Mhm ... du weißt, wie ich war, als wir zusammen in der Mittelschule hockten. Das hat sich so schnell auch nicht geändert, doch irgendwann gab es diesen einen Punkt, wo ich kurz davor war, etwas was wirklich Schlechtes zu tun und mein Leben endgültig auf den Müll zu schmeißen. Das war einfach so ein Punkt wo ich den Scheideweg richtig bemerkt habe. Ich wusste, das würde Konsequenzen haben und das für immer und... da bin ich einfach gegangen."

Nachdenklich musterte ich Vernon und summte überlegend. "Einfach so?" Er zuckte unschlüssig mit den Schultern. "Ich bin in eine andere Stadt und hab mich da dann bei einer Stelle der Jugendhilfe gemeldet und mein Leben selbst in die Hand genommen. Ich hab alles hinter mir gelassen. Die Drogen, meine sogenannten Freunde, meine ständig betrunkene Mutter, alles. Hab meine Schulbildung durchgezogen, hatte einen kleinen Job nebenbei, hab Freunde gefunden, die sich nicht gehen lassen und einfach alles um gekrempelt und bin dann jetzt zum Studieren hier hergekommen", erzählte er weiter und ich nickte leicht. "Und dann sitze ich in der Vorlesung und alles ist wieder da", meinte ich und ich wusste nicht, ob ich Mitleid haben oder mich einfach meiner Schadenfreude hingeben sollte. Vielleicht beides ein bisschen.

Er zuckte mit den Schultern und stieß ein Lachen aus, doch es klang nicht wirklich fröhlich. "Ganz genau", meinte er, "endlich alles im Griff und dann kommt die Vergangenheit und slappt einen. Ich war einfach so ... angepisst deswegen und irgendwie war mir auch klar, dass du alles kaputt machen könntest und dann drohst du mir auch noch genau damit, wovor ich Angst hatte." Er verwarf die Arme. "Und irgendwie ging es dann Berg ab, ohne dass ich gewusst hätte wie ich es aufhalten sollte und darin meine Klappe zu halten bin ich auch schlecht." Ich schnaubte. Das einte uns wohl. "Jaja, ich weiß", meinte ich beschwingt, "ich war dabei." Vernon nickte nur wieder.

"Hör zu, ich weiß, dass nach allem, was du meinetwegen durch hattest, hätte von vor herein ich derjenige sein müssen, der sich mit dir Mühe gibt. Und mir hätte auch klar sein müssen, dass ich auch dann nicht das Recht hätte zu erwarten, dass du dir dann auch Mühe mit mir gibst, nur weil ich versuche irgendwas zu richten, aber irgendwie..." Er suchte nach Worten. "Bist du ein Vollidiot?", half ich ihm auf die Sprünge. Er nickte nüchtern. "Joa", bestätigte er. "Wie auch immer, es tut mir leid, Seungkwan. Das alles. Alles, was ich in der Mittelschule verrissen habe und genauso auch, dass ich mich gleich wieder danebenbenommen habe, als wir feststellen mussten, dass wir dasselbe studieren."

Es geschahen auch noch Zeichen und Wunder. Eine Entschuldigung von Vernon. Wobei. Irgendwie nicht von Vernon, denn mir schien, den hatte er an seinem Wendepunkt genauso zurückgelassen wie alles andere. Ein verblassendes, unerreichbares Bild aus der Vergangenheit. Ich hatte meine Entschuldigung wohl eher grade von Hansol bekommen, aber ich war okay damit. Er hatte sich in den letzten Jahren wirklich verändert.

Ich lächelte zufrieden und zog dann die Nase kraus. "Ich werde dir nie verzeihen", verkündete ich und er schnaubte amüsiert. "Na, sicher, Seungkwan. Du bist der von uns beiden, der dem Albtraum seiner Mittelschule kostenlose Stylingberatungen und Chemienachhilfe gibt, was willst du mir erzählen?", äußerte er und ich hob die Hände. "Erwischt." Was auch immer gewesen war, es wurde Zeit es ruhen zu lassen, denn offensichtlich waren wir beide darüber hinweg.

"Weißt du", fügte ich an, "das mit der Vergangenheit und einem Selbst das ist so eine Sache und es gibt einen bestimmten Punkt, den du erreichen musst." Vernon setzte sich ein bisschen bequemer hin. "Schieß los", meinte er. Ich nickte würdevoll. "Sicher gab es auch in deinem Leben so Momente, den du über Sachen von deinem früheren Ich gestolpert bist. Meistens Bilder. Und dein 12-jähriges Ich sieht so ein Kinderfoto und ist so 'omg, war er kindisch, wie peinlich, Alter' und dein 15-jähriges Ich sieht den 12er und ist nur so: 'ach du Scheiße, er mochte Pokémon, uraks' und dann kommt der 18-Jährige und mustert den 15er und er ist nur so: 'Sieh sich einer dieses Opfer an, das ist ja eklig' und man muss einfach an den Punkt kommen, wo man alle von diesen Bildern sieht und sagt 'ach, ich liebe ihn' und nostalgisch über vergangene Dummheiten lächelt."

Vernon wirkte mindblown und ich lachte ihn lowkey aus. "Hast du den Punkt erreicht?", wollte er von mir wissen. Ich machte eine abwägende Handbewegung. "Werktags", meinte ich. Meistens eben, aber nicht immer. "Du?", fragte ich zurück und er zuckte mit den Schultern. "Eher so immer am Wochenende." Ich lachte leise. Er hatte auch noch einen Weg zu gehen, wie es aussah. Ich musterte ihn wieder und für ein paar Momente legte sich schweigen über uns. Zumindest, bis ich mich räusperte.

"Aber eine Sache frage ich mich dann doch noch", begann ich, "warum Vernon?" Er blinzelte und lachte schließlich. "Ich mein... das ist der böse Onkel von Harry Potter", machte ich weiter, "wer nennt sich denn freiwillig so, wenn er noch einen Zweitnamen hat?" Vernon zuckte belustigt mit den Schultern. "Vernon ist international, also cooooool", meinte er gedehnt, "Hansol ist doch so! Normal!" Er schüttelte den Kopf. "Ich hab inzwischen eingesehen, dass ich Koreaner bin", sagte er dann, doch ich konnte mir denken, dass das auch nicht alles war. Sicher war es irgendwo auch ein Neuanfang gewesen, da sagte mir schon allein die Tatsache, dass er sich die Mühe gemacht hatte mich zu verbessern, als ich ihn das erste Mal wiedergesehen hatte. Ich seufzte leise und kippelte ein bisschen.

"Ich denke, aus dir ist ein ganz guter Hansol geworden."

The Weed ThingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt