45| Aufklärung

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Estrela

'Das war meine Mutter', hallen Kians Worte in meinen Ohren. Auch wenn ich diese Vermutung bereits gehabt habe, schockiert und verletzt es mich zutiefst. "Es tut mir leid ..."

"Nein! Mitleid ist das Letzte, was ich will." Er presst die Lippen aufeinander und schaut mich dabei nicht an. Gerade als ich ihm sagen will, dass es kein Mitleid ist, fährt er fort: "Diese Frau, die du gerade kennengelernt hast, war keine Mutter für mich und wird es auch nie sein können." Kian senkt den Kopf und atmet tief durch. Ich gebe ihm die Zeit, die er braucht, denn ich habe das Gefühl, dass er bereit ist, mehr zu erzählen. Und diesmal nicht nur mit Bruchstücken aus seiner Vergangenheit, womit ich wenig anfangen kann. "Sie ... Sie war eine Prostituierte", beginnt er und verzieht leicht das Gesicht. "Sie wurde ungewollt schwanger, von einem ihrer Kunden. Sie weiß nicht, wer mein Vater ist. Es könnte jeder gewesen sein, den sie in dieser Zeit gefickt hat ..." Traurig senke ich den Kopf. "Sie änderte sich auch nicht, nachdem ich zur Welt gekommen bin. Sie vögelte weiterhin Männer, für Geld", fährt er fort und sieht auf. Sein Gesicht, so wie sein Körper ist angespannt. Seine Augen spiegeln Wut auf, aber mir entgeht nicht die tiefe Verletzlichkeit darin.

"Deshalb bist du nicht so gut auf sie zu sprechen?", frage ich vorsichtig. Sein Blick schweift über den Parkplatz vor dem Krankenhaus, an dem wir uns immer noch befinden.

Er schnaubt auf. „Sie war zu sehr auf ihre Kunden und das Geld, das sie bekommen hat, fixiert, dass ich manchmal dachte, sie weiß nicht einmal, dass sie einen Sohn hat. Dass komische, was mich bis heute noch beschäftigt, ist, dass wir nicht einmal zu wenig Geld hatten. Wir hatten ein Haus – groß genug für uns beide und immer Essen auf den Tisch. Dennoch hat sie sich weiter mit wildfremden Männern getroffen und sich von ihnen ficken lassen – immer mit Bezahlung. Als ich älter wurde, lebte ich mit dem Gedanken, dass es ihr gefällt." Er verzieht angewidert das Gesicht. "Ich habe alles gehört. Das Gestöhne, habe manchmal die Männer gesehen, die zu uns nach Hause gekommen sind." Meine Trauer gegenüber Kians Mutter verwandelt sich in Hass. Sie hat allem Anschein nie Rücksicht auf Kian genommen – ihrem eigenen Sohn. "Dann kam dieser Mann ...", fährt er fort. "Er war wohl ein Dealer und hat sie stattdessen mit Drogen bezahlt. Sie hat es angenommen und wurde somit drogensüchtig. Ab da ging alles den Bach runter. Sie hat sich oft mit ihm getroffen – zu oft. Wodurch wir Geld verloren haben und sie das Haus nicht mehr bezahlen konnten. Ich musste mir vieles von ihren 'Gästen' gefallen lassen. Ich war zu jung und zu schwach, um mich wehren zu können. Sie hat immer nur weggesehen. Ihr war es scheißegal ... " Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Kian hat mir bereits einmal erzählt das ein 'Freund' seiner Mutter – der sich jetzt als Kunde herausstellt – ihn ein Aschenbecher gegen den Kopf geworfen hat, weil Kian etwas gesehen hat, dass er nicht hätte sehen sollte. Und seine Mutter hat nichts getan. Wie konnte sie nur bei so etwas wegsehen? Hat sie etwa kein Herz oder jemals Liebe für Kian übrig gehabt? Jetzt verstehe ich auch, warum sich Kian nicht binden oder jemand anderes lieben will. Denn er hat selbst nie erfahren, wie es ist, geliebt zu werden. Und wurde von dem Menschen, der ihn doch lieben sollte, am meisten enttäuscht und verletzt. "Mit fünfzehn habe ich einen Zufluchtsort gefunden – das Boxstudio deines Vaters." Er lächelt gequält auf. "Dein Dad war mein Held. Er hat mich trainiert und ich habe keine Angst mehr gehabt, vor den Männern, die meine Mutter nach Hause gebracht hat. Denn ich wusste, ich konnte mich endlich verteidigen."

"Wusste mein Vater, was bei dir damals Zuhause geschehen ist?"

"Nein, anfangs nicht. Doch ich glaube, er hat immer etwas geahnt. Als ich sechzehn war, hat er mich unangekündigt besucht. Als er geklingelt hat, und meine Mutter die Tür geöffnet hat, dachte sie, er wäre ein Kunde ... Tja, ab da wusste er, was wirklich ablief. Also habe ich mit ihm geredet und er hat mir tatsächlich angeboten, bei ihm zu wohnen, bis ich mein eigenes Geld verdiene. Und mit achtzehn war ich bereits so gut im Boxen, das ich damit Geld machte. Na ja, und den Rest kannst du dir wohl denken." Seine Lippen verziehen sich zu einem schwachen Lächeln.

FIGHT FOR YOU - Gefährliches VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt