6. Eine plötzliche Erkenntnis

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Tristan warf einen Blick auf die Kante des Abgrunds: "Hier also, Kini?"
Fleißig schnüffelte sein Pokémon am Boden und bewegte sich nicht mehr von der Stelle. Er stieg von Arkani ab und ging auf den Abgrund zu.
Der junge Leutnant war Theo gefolgt. Der Junge war dumm genug um zu glauben, unbeobachtet nach Elena suchen zu können. Doch Tristan hatte schnell Verdacht geschöpft; er ließ die Schwester der Deserteurin überwachen. Den Berichten seiner Soldaten zufolge wurde sie oft mit den beiden Bolca-Brüdern gesehen. Für ihn war klar, dass Theo bald die Deserteurin aufsuchen würde.

Arkani gab ein Winseln von sich und zog den Schwanz ein. Kurz bevor sich der Trainer hinunter knien und in die Klamm blicken konnte, packte sein Hundepokémon ihn am Ärmel und schleifte Tristan weg von dort.
Der junge Mann konnte sich kaum noch auf seinen Beinen halten und stolperte seinem Vierbeiner hinterher: "Was soll das denn werden, Kini?"
Das Feuerpokémon ließ sich von den strengen Worten nicht beirren und zerrte ihn immer weiter vom Fluss weg.
Nachdem Tristan wieder vom sabbernden Maul seines Pokémons befreit war, stierte er auf Arkani: "Was sollte das? Ich muss sie finden, kapierst du das? Kapierst du, dass mein ganzer Status von dieser einen Verhaftung abhängt, du Mistviech?"
Mit unbeirrtem Blick sah sein Arkani auf ihn. Die Probleme, die Tristan mit dem General bekommen würde, schienen das Pokémon nicht zu interessieren. Es sah sich eindeutig im Recht.

Sein Trainer wusste nicht, woher Arkani plötzlich diese Anwandlungen hatte. Ihm gegenüber hatte es sich noch nie so verhalten.
Der junge Leutnant gab einen Wink, als wollte er sagen: was kümmerst du mich?
Er setzte an, wieder zurück zum Fluss zu gehen, doch sprang ihm sein Feuerhund vor die Füße und blockierte den Weg.
Tristan erhob direkt vor Arkanis Schnauze einen Zeigefinger: "Aus dem Weg, ich warne dich!"
Das Feuerpokémon gab nur noch Gequike von sich, als wollte es sich bei seinem Trainer entschuldigen. Vorbei ließ es Tristan dennoch nicht.
Der junge Leutnant stampfte auf den Boden.
"Was ist nur in dich gefahren?", rief er; so laut, dass im Anschluss das Davonflattern von Taubsi zu hören war.
Der Hund hingegen warf sich vor Tristan auf den Rücken und wälzte sich genüsslich im Dreck. Der Trainer erkannte, dass er gegen sein Pokémon nicht ankommen würde.
Er klatschte sich eine Hand auf die Stirn und seufzte: "Na schön, wenn du unbedingt willst, bitte. Dann lassen wir es dabei bewenden. Aber glaub nicht, dass ich dich noch einmal für eine Suchaktion mitnehme. Böser Hund!"
Arkani ließ seine Ohren samt Kopf hängen und sah unschuldig auf sein Herrchen.

Der junge Leutnant glaubte ernsthaft, ohne Arkani bessere Karten bei der Suche nach der Deserteurin zu haben. Mit einer Hand voll Soldaten, die nach eigenen Angaben schon mal geritten waren, wollte er in den folgenden Tagen mehrere Suchaktionen starten. Zu Tristans Entsetzen konnten viele von den Freiwilligen eben nicht reiten.
Die Ponita unter ihnen verhielten sich wie aufgescheuchte Hühner und ließen sich nicht in Zaum halten.
Bei dem Anblick verzog Tristan müde eine Augenbraue in die Höhe: "Es ist schon ein Unterschied, ob ihr halbtote Miltank geritten seid oder junge energiegeladene Ponita."
Solche Kommentare waren wohl der Grund dafür, dass er jetzt, drei Wochen nach Dienstantritt in Ebenholz, bei seinen Soldaten nicht den besten Ruf hatte.
Zur großen Verwunderung des jungen Leutnants waren es ausgerechnet Kasimir und Valentin, die mit den Feuerpferden am besten umgehen konnten und sich mühelos im Sattel hielten.
Vor den Stallungen der Kaserne bestimmte der junge Leutnant: "Okay Leute, runter mit euch. Außer ihr zwei. Wir reiten zu dritt."
Valentin und Kasimir überkam ein breites Grinsen, welches nicht mehr aus ihren Gesichtern herauszubekommen war. Scheinbar feierten sie sich selbst dafür, dass sie endlich mal was besser konnten als ihre Kameraden. Zumindest kam es dem jungen Leutnant so vor.
Tristan verabschiedete sich von den Daheimbleibern: "Reitunterricht setzen wir auch noch auf die Liste eurer Folgeausbildung. Es kann nicht sein, dass ihr das nicht beherrscht."

Ein paar Gewissensbisse hatte der schwarzhaarige Kerl schon, als er sich ohne Arkani auf den Weg machte. Er hatte das Pokémon im Ball in seiner Stube zurückgelassen, damit es ihn nicht wieder bei seiner Suche sabotieren konnte.
Zu dritt hintereinander trabten Tristan, Valentin und Kasimir über das klappernde Kopfsteinpflaster quer durch Ebenholz; beobachtet von kritischen Blicken der Einwohner, die in den Gassen zur Seite gingen.
Nach dem Verschwinden der Deserteurin blieb das südliche Stadttor auch tagsüber geschlossen. So war gewährleistet worden, dass es keine Desertions-Nachahmer gab. Schon nach einer Woche war sich das Militär aber sicher, kein Pokémon vergessen zu haben. So wurde auch das Tor wieder geöffnet.
Vor der Stadt konnten sich die Ponita kurz austoben und zum Waldrand galoppieren.
In einer ruhigen Moment fasste Valentin seinen Mut zusammen: "Wi- Wisst Ihr eigentlich, wo wir suchen müssen?"
Tristan wusste, dass die Frage kommen würde: "Genau weiß ich es nicht, aber sie ist bestimmt im Wald am Fluss. Zumindest hat Arkani dort beim letzten Mal angeschlagen."
Den rothaarigen Dürren packte die Neugier: "Und warum habt Ihr sie dann nicht gleich verhaftet?"
Danach hielt er sich eine Hand vor den Mund, als wollte er seine Worte wieder zurücknehmen.
Bin ich denn wirklich so beängstigend, fragte sich Tristan. Es war nur eine ganz normale und sogar gute Frage, die sein dürrer Untergebener stellte.
Die Antwort darauf; weil Arkani nicht gespurt hat. Aber mussten seine Untergebenen das wirklich wissen?
Schnell erfand der junge Leutnant eine passende Lüge und verpackte sie mit einem freundlichen Gesicht: "Sie war nicht mehr da. Wahrscheinlich war sie wenige Augenblicke zuvor noch dort und ist dann im Fluss abgetaucht, als ich aufgetaucht bin."
Keinesfalls durfte Tristan sein Gesicht vor den Soldaten verlieren. Dass er die Deserteurin immer noch nicht gefunden hatte, trug nicht zu einem guten Bild bei.
Tristan lenkte vom Thema ab: "Wo habt ihr zwei eigentlich reiten gelernt, wenn ich fragen darf?"
Kasimir, der eigentlich Schweigsamere von beiden, gab zuerst eine Antwort: "Wir haben daheim ´nen Bauernhof. Da hab ich das schnell lernen müssen."
"Gut. Wo ist dein daheim?", bohrte der schwarzhaarige Kerl nach. 
In wenigen Worten klärte der Dicke auf: "In der Nähe von Mahagonia."
Da Kasimir offenbar nicht mehr von sich erzählen wollte, wandte sich der Leutnant Valentin zu: "Und von wo kommst du her?"
Verschüchtert und an bessere Zeiten denkend sah der Dürre auf den Boden: "Ich-, ich bin aus Azalea. Bei uns kann eigentlich jeder reiten, weil die Wege in jegliche Richtung, ob Dukatia oder Viola, so unendlich weit sind. Und wo kommt Ihr her?"
Tristan blieb mit seinem Ponita einen Moment stehen und sah verdutzt auf Valentin.
Der war sofort wieder verunsichert und entschuldigte sich: "Verzeihung, Sir, ich wollte nicht... Ich meine, Ihr müsst natürlich nicht antworten."
Der junge Leutnant winkte ab und lächelte: "Ursprünglich aus Teak, aber dann Dukatia."
Wusste Valentin wirklich nicht, wer sein Vorgesetzter war?
Er wollte seinen Untergebenen nicht in Unkenntnis lassen: "Ich bin Erbe der Avila-Schmiede. Es wundert mich nur, dass du das nicht weißt. Immerhin wird viel geredet unter euch Fußsoldaten."
Unbeholfen gestand der rothaarige Dürre: "Doch, das wusste ich schon, ehrlich gesagt. Aber ich wusste trotzdem nicht, aus welcher Stadt Ihr seid."

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt