38. Wiedersehensfreude

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Drei Tage nachdem die beiden Mahagonia passiert hatten, fragte sich Elena so langsam, ob Tristan wirklich wusste, wo sie hin mussten: "Wir sind schon im Norden, oder nicht? Mahagonia haben wir auch schon hinter uns gelassen."
Aber Tristan war nicht zu beirren: "Valentin hat erwähnt, dass es schwer zu finden sei."
"Und wenn wir sie nie finden?", seufzte das Mädchen.
"Ich glaube, an einem Dorf mit 600 Einwohnern kann man nicht so leicht vorbei laufen."
Hämisch meinte Elena: "Dann kannst du jetzt ausfindig machen, wo sie sind, oder nicht?"
Hinter ihr raschelten Fußtritte im Laub.
Der junge Mann deutete hinter die Jugendliche: "Schon geschehen."

Beide wurden von hinten zu Boden gestoßen und gefesselt. Elena, die schließlich auch im Dreck lag und dem Leutnant direkt in die Augen blickte, verzog das Gesicht: "Sicher, dass das meine Leute sind? Die sind so unfreundlich."
Er antwortete lapidar: "Typisch für euch."

Bevor sie ihm widersprechen konnte, wurden beide geknebelt. Warum sollten ihre eigenen Leute sie fesseln? Aber da sich Tristan nicht gegen den Angriff wehrte - die Möglichkeiten hätten sie mit Arkani und Dragonir an ihrer Seite ohne Weiteres gehabt - ließ Elena sich ohne Gegenwehr fesseln.
Ob der junge Mann richtig lag? Sie konnte nur hoffen, dass es Ebenholzer waren, zu welchen sie gebracht wurden. Ansonsten würden sie sinnloserweise in irgendeinem Kerker festsitzen. Mal wieder.

In der Dämmerung wurden Tristan und Elena immer tiefer in den dichter werdenden Wald geführt. Die Sträucher kratzen Arme und Beine des Mädchens auf. Wo sollte dieser nicht vorhandene Weg denn hinführen?
Im dasigen Licht erkannte Elena kaum die schwindsüchtige Stadtmauer, die sich vor ihr aufbäumte. Nach vorne gebeugt und über rutschigen Schlamm stapfend wurde sie mit Tristan in die Stadt geführt. Dort stand sie nun gefesselt und geknebelt. So konnte die Jugendliche nicht mal klarstellen, dass sie kein Feind war.
Zwischen den dunstigen Gassen trat eine schlacksige Gestalt hervor. Elena blickte in sein Gesicht; es war ein Mann Mitte 50 mit grauem Haar und braunen Augen. Ihre Augen weiteten sich, als sie ihn als einen ehemaligen Ebenholzer identifizierte.

"Ihr Idioten! Warum fesselt ihr sie denn?", fragte er monoton, wie immer äußerst gelangweilt. Seinen Zorn brachte er nur über die von ihm gewählten Worte zum Ausdruck.
Die Männer, die eigentlich nur Kinder waren, stammelten: "Wir wissen ja nicht, wer die beiden sind... Wir mussten doch sicher gehen."
Der Alte klatschte sich auf die Stirn: "Ihr seid so peinlich. Seht sie euch an. Das ist Elena."
Das Mädchen hauchte ihren Atem aus, den sie in den letzten Sekunden angehalten hatte.
Die Jungen blickten den grauhaarigen Alten fragend an, welcher mit pseudo entgeisterter Miene erklärte: "Die Deserteurin? Lebt ihr hinter dem Mondberg? In Ebenholz ist sie doch eigentlich eine Ikone, ihr Pfeifen. Und jetzt schneidet ihr die Fesseln durch."

Sie spuckte den Stofffetzen aus und rief zittrig: "Lorenz! Danke! Ich bin so froh, dich zu sehen!"
"Ja ja, ich auch", meinte er und nickte auf ihren Begleiter: "Wer ist der Kerl bei dir? Soll er in den Kerker?"
Die Jugendliche rümpfte die Nase und rief entsetzt: "Was? Nein! Der hat mir geholfen! Lass ihn frei!"
"War ja nur Spaß, nicht gleich panisch werden. Nur weil es um deinen Geliebten geht", winkte Lorenz ab.
Seine Worte ließen Elena rot anlaufen und sie stampfte auf den Boden: "Er ist nicht mein Geliebter!"
Noch gelangweilter denn je zuckte der Alte mit den Schultern: "Ach echt nicht? Ich hätte schwören können, aber was soll´s. Wo kommst du jetzt eigentlich her? Jeder hier dachte, du wärst tot."

Die Jugendliche blickte zu Tristan, als ihm die Fesseln entfernt wurden. Nur dank seiner Hilfe hat sie überlebt und es nach Hause geschafft.
"Ich hab mich ´n halbes Jahr im Wald versteckt. Nach dem Angriff auf die Stadt ist er gekommen, um mich abzuholen und zu euch zu bringen."
Lorenz wandte sich ab: "Hm. Ist bestimmt interessant, aber ihr seht aus, als könntet ihr ein Bad vertragen. Und was zu Essen wohl auch... Kannst mir ja später alles erzählen."
Hektisch rief Elena hinterher: "Lorenz! Was ist mit Doro und Theo und allen? Sind sie auch hier?"
Er blickte auf sie, nickte kurz und grinste.

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt