22. Ein Tanz auf der Klinge

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Seit geschlagenen drei Tagen war Julius bei den Rebellen. Er fand keine Möglichkeit, aus Azalea zu fliehen. Zwar hatte er von Albert sein Hundemon zurück bekommen; als Zeichen des guten Willens, wie der Alte sagte.
Aber man legte dem Teaker eiserne Fußfesseln an, die er weder selbst noch mit Hilfe des Dämonpokémons entfernen konnte. Selbst wenn Julius unbeobachtet aus der Stadt hätte abhauen können; wo sollte er denn hin? In den Steineichenwald? In den Einheitstunnel? An beiden Orten hätte er sich heillos verlaufen.
Wenigstens gönnte man dem Teaker mehr Komfort und er musste nicht mehr im Erdloch hausen. Albert hatte ihm ein Zimmer in seinem Haus zur Verfügung gestellt, streng bewacht von Scherox. Eine Flucht war undenkbar.
Neben seiner Sorge um Cecilia plagte ihn auch noch die Angst um sein Aerodactyl. Dieses war, seit es mit dem König auf dem Rücken davongeflogen war, nicht wieder aufgetaucht.

Am Morgen betrat Albert ungefragt Julius Zimmer.
Da der junge Kollege noch schlief, rüttelte ihn der Azaleaner unsanft: "Hey Kleiner. Aufstehen, wir müssen los."
"Hmm", murrte der dunkelblonde Kerl und kniff die Augen zusammen. Ein Gähnen überkam ihn und als er Albert vor sich stehen sah, richtete er sich auf: "Was ist denn los?"
"Auf nach Dukatia, los", befahl der Alte und warf Mantel und Hemd auf das Bett.
Julius hielt sich den Kopf und betrachtete die Kleidung: "Was wollen wir in Dukatia?"
"Na was wohl? Ich hab veranlasst, dass wir Bürgermeister uns heute im Regierungspalast treffen und über die politische Zukunft Johtos reden. Immerhin versinkt das Land bald im Chaos!"
Albert wandte seinem jungen Kollegen den Rücken zu und verschwand.
Ein Blick aus dem Fenster verriet, dass es noch mitten in der Nacht war. Wie furchtbar unedel das Leben ohne ein Flugpokémon ist, dachte der junge Teaker. Umso mehr vermisste er sein Aerodactyl.

Der dunkelblonde Mann legte sich die Kleidung an und ging in den Flur.
Sofort kam ihm ein hektischer Albert entgegen, der ihn ermahnte: "Frühstück gibt's keins. Und sei still. Ich will nicht, dass du meine Frau aufweckst." 
Auf leisen Sohlen wandte sich der junge Bürgermeister zur Tür. Er war es nicht, der durch die Gegend plärrte. Und überhaupt; Albert hatte eine Frau? Wer hat den denn geheiratet?
Kalter Morgentau lag über dem Land. Die Morgendämmerung war eingetreten.
Der Alte ging zielsicher voran. Julius konnte nicht mit ihm Schritt halten und fiel zurück.
"Was ist denn mit dir los?", fragte Albert genervt.
Der Teaker gab keine Antwort. Stattdessen zog er seine Hosenbeine in die Höhe und zeigte den Grund seiner Verlahmung.
Mürrisch verzog der weißhaarige Alte sein Gesicht: "Hast du mit deiner Hose gepennt?"
Sein junges Gegenüber gab nur ein Nicken von sich.
"Seit drei Tagen?"
Wieder nickte Julius: "Du hast dir eingebildet, dass ich die tragen muss."
Albert senkte seinen Blick, als würde er gestehen, es vergessen zu haben: "So wie du das letzte Mal über mich hergefallen bist, muss man dich ja in Fesseln legen. Komm her."
Er zückte einen Schlüssel vom Gürtel und beugte sich zu Julius Füßen, um ihn von den Fußfesseln zu befreien: "Reiten musst du immerhin auch noch können."

Auf zwei Ponita machten sich die beiden auf den Weg nach Dukatia, der sie durch den dicht bewachsenen Steineichenwald führte. Es musste Stunden dauern, hier durchzukommen. Sonnenstrahlen schafften es nicht durch das Dickicht, und das obwohl ein Großteil der Bäume seine goldenen Blätter bereits verloren hatte.
Mit jeden Schritt, den die Ponita taten, raschelte das Laub. Die wilden Pokémon wurden aufgescheucht. Raupy verkrochen sich in die Sträucher und Hoothoot stießen einen schrillen Schrei aus, um die vermeintlichen Eindringlinge zu vertreiben.

Mitten im Wald stand gut sichtbar ein Schrein, der zu Ehren des Waldpatrons aufgestellt wurde; die einzige Huldigungsstätte für ihn überhaupt.
Albert machte keinen Hehl daraus, dass er diesen Patron verehrte. Mit seinem Ponita blieb er vor dem Schrein stehen und verneigte sich tief.
"Oh Celebi, hilf", sprach der Alte.
Mit großen Augen fragte Julius: "Cele-wer?"
Albert leitete Ponita zurück auf den Weg und antwortete: "Celebi. Das war ja wieder klar, dass ihr Ho-Oh-Anbeter noch nicht mal den Namen unseres Patrons kennt."
Der junge Bürgermeister musste sich zwei Eingeständnisse machen: Verehrung kann minimalistisch sein, so wie hier. Und er hatte noch nie den Namen des Waldpatrons gehört.
"Ich habe noch nie den Namen Celebi irgendwo gelesen", gab er bekannt.
Albert grunzte: "Das ist auch kein Name, der euch Ho-Oh-Verehrern gelehrt wird. Aber wir in Azalea, wir halten das Wissen um unser Celebi am Leben."

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt