1. Besuch der alten Heimat

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Drei Jahre später

Das Pfeifen der Dampflok hallte durch den Bahnhof von Dukatia. Tristan zwängte sich aus dem Abteil, eingequetscht zwischen fremden Menschen. Nur mit Tippelschritten kam er voran. Die Treppe aus dem Wagon hinaus war so steil, dass er beinahe hinabstürzte. Aus dem Schlot der Lokomotive stieg immer noch Rauch auf. Entsprechend stechend roch die Luft.
Tristan flüchtete von seinem Gleis und suchte den Bahnhofsausgang im Süden. Das Gebäude war aus grauem Stein neu gebaut worden. Er fragte sich, seit wann die von der Armee errichteten Eisenbahnschienen für den Personenverkehr genutzt wurden.
Ursprünglich war die Eisenbahn zum Transport von Kriegsmaterialien und Soldaten an den Stützpunkt kurz vor der Landesgrenze gedacht. Dort, in Johtos Osten, fielen die Kantonesen zumeist in das kriegsgebeutelte Land ein; irgendwo auf halben Weg zwischen Ebenholz im Norden und Borkia im Süden.
Auf diesem Schlachtfeld war den Soldaten der Anblick des Silberberges gewiss, der sich zwischen Johto und Kanto erhob. Hauptsächlich ging es im Krieg der beiden Nachbarländer um das Vorherrschaftsrecht an jenem mystischen Berg.

Endlich gelang Tristan nach draußen, wo er die salzige Meeresluft tief einatmete. Vom Bahnhof aus war sogar das Meer zu sehen. Dukatia war nicht nur die größte Stadt Johtos, sondern auch Hafen- und Küstenstadt. Einzig den Zugang zum Meer hatte die Hauptstadt mit Borkia, dem Küstenkaff, aus welchem Tristan gerade angereist war, gemeinsam. Ansonsten waren die beiden Ortschaften keineswegs vergleichbar.
Er trottete die Bahnhofsgasse entlang zur Hauptstraße, die den schnellsten Weg nach Süden und Norden bot. Kopfsteinpflaster ebnete die Wege durch die ganze Stadt. Die Häuser waren aus grauem Stein erbaut und die Hitze staute sich bei Sonnenschein in den Gassen.
Jetzt, nachdem er zwei Jahre in Borkia, einem kleinen windigen Nest mit nur 2000 Einwohnern verbracht hatte, fand er sich in seiner Heimatstadt kaum noch zurecht. Für ihn war es ein ungewöhnliches Gefühl wieder hier zu sein.
Welche Stadt Tristan lieber mochte? Das wollte er nicht beurteilen. In Dukatia war er zwar aufgewachsen, aber in den letzten Jahren lebte er ein schönes Leben in Borkia.
Nach einem Jahr als Fußsoldat im Militär wurde er in dem Küstenstädtchen postiert, wo er neben seinem eigenen Pokémon auch die Militärpokémon ausbildete und sie später einem Soldaten zuwies.
Viele dieser Pokémon waren seiner Ansicht nach jedoch noch lange nicht so weit, um in einer Schlacht zu kämpfen. Er brachte das wiederholt bei seinem Vorgesetzten an. Offizier Ethan versicherte ihm zwar, dies schon beim General vorgetragen zu haben. Doch auch Ethan selbst war auf taube Ohren gestoßen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit kehrte er also nach Dukatia zurück. An jenem Tag war der junge Mann auf Geheiß des Offiziers Ethan nach Dukatia in die größte Kaserne Johtos gekommen, welche er am südlichen Rand der Stadt erreichte.
Mit einem mulmigen Gefühl trat er in die kalten Gemäuer ein. Was der Offizier von ihm wollte?
Tristan stieg die Treppe hoch. Die Schritte hallten in den kahlen Wänden des Gebäudes. Im ersten Stock folgte er dem Flur nach Westen bis zu seinem Ende, wo sich das Büro des Offiziers befand. Zumindest vermutete der junge Mann, dass es immer noch Ethans Büro war. Der Offizier beharrte darauf, ein Zimmer mit Ausblick auf's Meer zu haben. Ein Namensschild neben dem Türrahmen ließ Tristan erkennen, dass er Recht hatte.
Ein nervöser Blick auf seine silberne Taschenuhr verriet dem jungen Feldwebel, dass er viel zu früh dran war. Er klappte den Deckel zu und stopfte die Uhr mit Gewalt zurück in seine Anzugtasche. Mit seinen schwarzen Handschuhen war er etwas ungeschickt. Dennoch legte er diese in der Öffentlichkeit niemals ab.
Der schwarzhaarige Kerl in seiner noch schwärzeren Uniform tigerte auf und ab. Er hatte keine Ahnung, weshalb er nach Dukatia gerufen worden war und wollte endlich eine Antwort. Vermutungen und Gedanken schossen ihm durch den Kopf; war er Ethan mit seiner Kritik an Johtos Vorgehen so sehr auf die Nerven gegangen, dass der General endlich Einsicht hatte und das Pokémontraining entsprechend verlängern würde? Oder würde man Tristan von dem Posten abziehen, damit er endlich Ruhe gab?

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt