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Die Abmachung war klar; Tristan widmete sich wieder seinen Pflichten als Leutnant, dafür war die Deserteurin auf freiem Fuß. Hätte er abgelehnt, wäre Elena möglicherweise im Kerker gelandet; zusammen mit ihm.
So trat der junge Mann wieder seinen Dienst im Militär an und alles war beim Alten - bis auf diesen unbeschreiblichen Drang, den er empfand; den Drang, Elena nach Hause zu bringen und selbst für ihre Sicherheit zu garantieren.
Wie es ihr jetzt wohl erginge, ganz allein auf weiter Flur? Ob sie den Weg nach Merbaum überhaupt finden würde? Zu Beginn ihrer Reise hatte die Jugendliche mal erwähnt, dass sich Tristan um die Reiseroute kümmern musste, da sie keinerlei geografische Kenntnisse über dieses Land hatte.
Der Magen wurde ihm flau bei diesem Gedanken. Der junge Mann machte sich Sorgen um das Mädchen. Sie würde den Weg nach Hause niemals finden. Und dann war sie auch noch ohne ihr Pokémon... Tristan wusste, dass er diesen Umstand nicht auf sich beruhen lassen konnte. Er musste Elena finden und ihr helfen! Doch dazu musste er erstmal Dragonir in seinen Besitz bringen, denn das war ihm nicht übergeben worden.
Eine erneute Desertion war aber nicht ohne Risiko. Lange Haftstrafen oder gar die Todesstrafe ließen auf sich warten. Aber Elena, sie brauchte doch seine Hilfe.
"Ach Schwester, dann folge ich dir halt nach", murmelte er mit wässrigen Augen. Wie egal ihm plötzlich sein Leben war? Oder wusste Tristan insgeheim, dass er immer noch auf die Unterstützung seines Vaters zählen konnte?
Isaak war schließlich der beste Freund des Generals - zumindest kam es so rüber.

Es war zum Haare raufen. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Die gemeinsame Reise lief bis Teak reibungslos. Aber dann wurden die beiden entdeckt. Der General hatte triumphierend verlauten lassen, dass Tristan von einem Reisebegleiter verraten wurde. Aber zum Zeitpunkt der Verhaftung hatte er nur Elena und Valentin im Schlepptau. Ob sein Untergebener ihn wirklich bei Hermann verpfiffen hatte?
Irgendwie traute Tristan seinem rothaarigen Kameraden eine solche Aktion nicht zu.
"Ich war zwar richtig von dir angepisst, als ich von Theo erfahren hab, dass du der geheime Angreifer warst, der Elena gerettet hat. Aber so im Nachhinein kann ich´s auch verstehen", meinte sein Untergebener mit strahlend blauen Augen.
Der junge Mann verzog eine Augenbraue in die Höhe: "Und weswegen kannst du das verstehen?"
Valentin antwortete mit einem verschmitzten Grinsen: "Na weil Elena ein echt hübsches Ding ist. Kein Wunder, dass du sie in Freiheit wissen willst. Hätt ich die Aussicht, dass da was geht, würd ich ihr auch helfen. Liebe vernebelt schließlich die Sinne."
Tristan klatschte sich eine Hand auf die Stirn: "Doch nicht deswegen..."
"Weswegen dann?", bohrte sein Kumpel nach.
"Na, nicht wegen Liebe, Ho-Oh nochmal", wehrte er sich und keifte: "Ich hab andere Beweggründe und ich denke nicht, dass die dich was angehen."
Weswegen unterstellte man ihm denn direkt Liebe, nur weil er einem Mädchen half?
"Ich will´s aber wissen", motzte der Dürre mit zwei Fäusten.
Der schwarzhaarige Kerl seufzte aus: "Okay, du hast Recht. Ich hab mich verliebt. Zufrieden?"

Nach der Rückkehr ins Militär wurden Tristan und Valentin nach Dukatia in die Hauptkaserne gebracht, wo sie seither trainierten. Die beiden verfügten weiterhin über ihre eigenen Pokémon.
Elenas Dragonir wurde einem pokémonlosen Soldaten zugewiesen, welcher damit überhaupt nicht zurecht kam. Beim Training konnte Tristan beobachten, wie sich die blaue Schlange zusammenrollte und schlief. Manchmal führte es eine Attacke aus, welche nicht die gerufene war, nur um dem Soldaten eins auszuwischen.
Der junge Soldat ballte die Fäuste und beschwerte sich: "Dieses Pokémon ist zu nichts zu gebrauchen!"
Mit einem Stock in der Hand mischte sich der Ausbilder ein: "Ach nicht? Sollen wir ihm die Leviten lesen?"
Er holte aus und setzte zum Schlag an.

"Moment!", rief Tristan aus und ging dazwischen: "Nur, weil er nicht mit Dragonir umgehen kann, heißt es nicht, dass es gespurt werden muss!"
Der junge Soldat schien wütend darüber, dass er als unfähig angesehen wurde: "Ach und du kannst das natürlich besser?"
Tristan nickte mit einem selbstgefälligen Lächeln und demonstrierte: "Dragonir; Eisstrahl auf die rechte Zielscheibe, Donnerblitz zur Mitte, Drachenwut auf links!"
Wie der schwarzhaarige Kerl befohlen hatte, führte das blaue Pokémon alle Attacken aus.
Mit offenem Mund blieb der junge Soldat stehen und kreischte: "Was? Wieso?"
"Weil Ihr keine Ahnung im Umgang mit Pokémon habt", antwortete der junge Leutnant und wandte sich dem Ausbilder zu: "Gebt Dragonir in meine Obhut. Ich kümmere mich solange um sein Training, bis Ihr jemanden findet, der damit umgehen kann."
Der Ausbilder zog beide Augenbrauen hoch und gab schlussendlich sein Einverständnis.
Der junge Mann wusste, dass in den nächsten drei Jahrzehnten niemand fähig sein würde, Dragonir Befehle zu erteilen. Es hörte nur auf Elena. Tristans Befehle hatte es nur befolgt, weil es gemerkt hatte, dass er helfen wollte.

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt