29. Der König des Tals

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Barbara bereitete ein reichhaltiges Frühstück für ihren jungen Schützling zu; gekochte Eier mit Speck, Brot, Sanana-Saft, Kuhmuh-Milch. Als Isabella dies sah, wurde ihr unwohl. Die alte Dame betrieb so viel Aufwand, um der jungen Lady einen Gefallen zu tun. Und das obwohl sich die beiden kaum kannten.
Aber die gutmütige Oma bestand darauf, dass sie ihren Gast nur mit genügend Kraft ins Gebirge lassen würde: "Du wirst ein paar Stunden unterwegs sein; wenn nicht sogar einen ganzen Tag lang! Nimm dir doch eine Brotzeit mit. Ich mache mir sonst Sorgen."
So wickelte Barbara ein Schinkenbrot mit Ei in Papier ein und drückte es der Jungen in die Hand.
Die Alte drückte die Daumen und verabschiedete sich: "Ich bin dann mal in der Apotheke. Viel Glück bei deiner Suche nach deinem Gedächtnis."

Isabella packte Barbaras Rucksack mit einem Schlafsack, einem Trinkschlauch und dem Brot. Ihr Rizeros hatte sie ohnehin immer bei sich. Endlich machte sie sich auf den Weg ins Gebirge. Der erste Abschnitt führte sie durch die Küstenstadt hin zum Palmenwald. Allerlei sonstige südliche Bäume wuchsen im Dickicht.
Der Trampelpfad war überwuchert mit Pflanzen. Isabella konnte nur erahnen, wo sie hin musste und folgte dabei den abgeknickten Ästen. Der Wald war das Zuhause von unzähligen Ledyba, Webarak und Myrapla. Sogar Giflor und Blubella konnte die Lady sichten.

An einer Gabelung entschied sie sich für die linke Abzweigung nach Westen. Danach stieg der Weg stetig an und führte sie weiter nach oben. Der Pfad war von den häufigen Regenfällen matschig. Bis auf ein Paar dreckiger Stiefel störte sich Isabella nicht daran. Sie rutschte zwar häufig aus, konnte aber immer ihr Gleichgewicht abfangen.
Umso höher sie hinauf stieg, umso lichter wurde die Aussicht; ungehindert konnte sie das Meer erblicken. Die schwarzhaarige Lady hielt für einen Moment inne und sah ruhig auf das Wasser. Obwohl sie nicht wusste, wer sie war, fühlte sie sich in diesem Augenblick vollkommen. Die Wildnis um sie herum, die Pokémon, der Wald und das Meer.
Ihr großes Problem der Gedächtnislosigkeit trat weit in den Hintergrund. Wenn sie nie herausfinden würde, wer sie war, würde sie einfach Isabella bleiben und in Anemonia ein neues Leben beginnen.
Insgeheim hoffte sie darauf, dass die Beere bei ihr keine Wirkung hätte.

Aber ein Pflichtgefühl trieb sie immer weiter. Natürlich musste sie versuchen, ihr Gedächtnis wieder zurückzuerlangen. Schwitzend erreichte sie das kahle Anemonia-Plateau, wo sich eine Wiese vor ihr erstreckte. In der Ferne bäumte sich ein Gebirge auf.
Auf der Ebene lebten zahlreiche Pokémon. Taubsi, Wiesor, Nidoran jeglichen Geschlechts. Sogar Rihorn konnte sie entdecken. Hier würde sich ihr Rizeros vielleicht sogar wohl fühlen, weshalb sie es aus dem Pokéball ließ und die Wanderung mit ihm fortführte.
"Ich suche hier nach einer rosafarbenen Beere, Rizeros. Also wenn du was siehst, kannst du mir gerne Bescheid geben. Du kannst dich hier aber auch austoben und Spaß haben", erlaubte sie ihrem Pokémon.

Auf der Grasfläche entdeckte die junge Lady aber keine Beerensträucher. Seite an Seite mit ihrem Rizeros marschierte sie weiter in Richtung des Gebirges, welches sehr viel kahler war.
Kritisch verzog Isabella das Gesicht: "Na ob dort was wächst..."
Aber sie musste es einfach versuchen. Rizeros schien zumindest seinen Spaß an der Wanderung mit seiner Trainerin zu haben. Regelmäßig stieß es seinen Ruf aus und verschreckte damit sämtliche Pokémon in der näheren Umgebung.
Die Trainerin konnte über ihr Pokémon nur schmunzeln: "Ja, manchmal müssen wir uns einfach beweisen, dass wir die Besten sind, nicht?"
Dass sie deswegen später noch Probleme bekommen würde, ahnte sie keineswegs. Schließlich lockten Rizeros Rufe die stärkeren Pokémon der Ebene auf die Bildfläche, welche sich im Kampf mit ihm messen wollten.

Zuerst war da nur ein Donphan, welches Rizeros direkt mit seinem Steinhagel verjagen konnte. Dann kam eine Horde von Rihorn an.
Müde verzog Isabella das Gesicht: "Ouh bitte, ihr wollt es doch nicht wirklich mit Rizeros aufnehmen?"
Rizeros verursachte ein Erdbeben und verscheuchte seine Basisversion.
Zum Ende kam der König des Tals, Nidoking, auf die beiden zu und forderte Rizeros zu einem Kampf heraus. Nidoking musste immerhin sein Revier gegen jegliche Eindringlinge verteidigen, welche sich hier aufmüpften. Das lilafarbene Pokémon hatte schon diverse Narben auf seinem Panzer. Es musste schon so einige Schlachten geschlagen und gewonnen haben.
Isabella gab eine Warnung an ihr Gesteinspokémon: "Bei dem müssen wir vorsichtig sein, Rizeros. Der ist mächtig."
Breitbeinig stellte sich Rizeros auf und war bereit zum Kampf. Nidoking kam auf seinen Gegner zu und setzte mit einem Hornbohrer zum ersten Schlag an. Das graue Pokémon wich aus und drückte Nidoking nach unten.
Die Trainerin gab den Befehl: "Bodyslam!"
Mit seinem gesamten Gewicht warf sich Rizeros auf seinen Gegner.

Nidoking wurde gegen den Boden gequetscht. Dann aber gelang es ihm, sich zu winden und mit einem Megahieb direkt in Rizeros Gesicht zu schlagen. Das Gesteinspokémon wurde zurückgeworfen und landete benommen auf dem Boden.
Der König des Tals nutzte die Zeit und griff mit Giftstachel an.
Rizeros zeigte Vergiftungsanzeichen. Zusätzlich zu seiner Benommenheit hatte es einen Schwächeanfall.
Die junge Trainerin holte ihren Pokéball hervor, um Rizeros zurückzusenden und vor weiteren Schäden zu beschützen.
Doch das Gesteinspokémon entwickelte einen plötzlichen Ehrgeiz und sprang auf. Es bäumte sich ein letztes Mal auf und attackierte mit Steinkante. Nidoking bekam einen Volltreffer ab und landete auf dem Boden, ohne sich weiter zu bewegen.

Isabella zeigte sich beeindruckt von ihrem Pokémon und sprach ein Lob aus: "Respekt Rizeros, das hätte ich nicht gedacht. Komm zurück, ich besorge dir ein paar Pirsifbeeren." Welch Glück, dass die junge Lady zuvor mit Barbara alle Beeren und deren Wirkung besprochen hatte.
Sie holte ihr Pokémon in den Ball zurück und rannte weiter zum Gebirge. Dort mussten irgendwo Pirsifbeeren sein. Die Suche nach Persimbeeren rückte in den Hintergrund. Der Boden wurde kahler und sie gelangte zum Fuß des Gebirges.
Vereinzelte Sträucher trotzten den Felsen und Isabella überprüfte die Früchte genau. Persimbeeren erkannte sie bereits. Dennoch suchte sie erst weiter nach Pirsifbeeren, um die Vergiftung ihres Rizeros behandeln zu können.
Hinter einem großen Felsen entdeckte sie einen Strauch voll mit Pirsifbeeren. Die Lady holte ihr Rizeros aus dem Pokéball, welches sich in einem desaströsen Zustand befand. Sofort krachte es zu Boden. Nur mit Gewalt konnte die Trainerin das Maul des Pokémons öffnen und stopfte ihm die Pirsifbeeren hinein.
Mit strenger Stimme befahl sie: "Schluck das, Rizeros. Das wird dir helfen!"
Gehorsam schluckte Rizeros die Beeren hinunter. Augenblicklich ging es ihm besser. Dennoch holte Isabella ihr geschwächtes Pokémon wieder in den Ball zurück. Selbst für sie war es verwunderlich, wie schnell das Gegengift der Beeren wirkte.

Danach kehrte die schwarzhaarige Lady zum Persimstrauch zurück.
Roh verzehren, erinnerte sie sich. Sie pflückte eine Hand voll und stopfte sie sich in den Mund.
"Komm schon, ich muss doch jetzt mein Gedächtnis wieder bekommen", sagte sie vor sich hin und schob noch ein paar mehr Persimbeeren hinter her. "Los, Gedächtnis, komm zurück!"

1134 Wörter für dieses kurze Kapitel - wie meinen drei treuen Lesern versprochen gibt's gleich noch den nächsten Teil hinterher :)

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt