8. Leben mit dem Sinneswandel

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Seit seiner ersten Begegnung mit Elena wollte Tristan ihre Verhaftung verhindern. Am heutigen Tage startete jedoch die Suche nach der Deserteurin mit den Fukano. Der junge Mann war seinen Leuten gefolgt, um im Ernstfall eingreifen zu können; der Ernstfall, der tatsächlich eingetreten war.
Nach seiner Tat hetzte Tristan auf Arkanis Rücken zurück nach Ebenholz. Niemand durfte ihn erwischen; weder seine Soldaten im Wald noch seine Wachen in der Stadt. Keinesfalls durfte jemand Verdacht schöpfen können, dass er Elenas Helfer war.
Was er seinen Leuten damit antat? Was er sich selbst damit zumutete? Zurechtweisungen des Generals und kritisches Hinterfragen des Offiziers.
Zweifel stiegen in Tristan hoch, ob er wirklich das Richtige getan hatte. Aber jemand musste das Mädchen doch beschützen. Sonst würde es auch keiner tun. 
Dass die ohnmächtigen Soldaten vor ihm in Ebenholz sein würden, war dank Arkanis Tempo ausgeschlossen. Dazu war der Feuerhund ein Kletterkünstler, der mit den steilen Felsen rund um Ebenholz kein Problem hatte.

Tristan wählte den Weg über eine Kletterpartie im Osten der Stadt. Keine Wachen in diesem Bereich, stellte er fest. Ein Stein fiel ihm vom Herzen.
Über die Stadtmauer flog Arkani hinüber und landete sanft auf seinen vier Pfoten auf der Innenseite der Stadtmauer. Hektisch zückte der Trainer seinen Pokéball, welchen er beinahe hätte fallen lassen und holte sein Pokémon zurück.
Sanftmütig blickte der junge Leutnant auf seinen Pokéball: "Danke Kumpel."
Er richtete sich auf, zupfte seine Uniform zurecht und machte sich, als hätte er nie etwas anderes vorgehabt, auf den Weg zu seinem Büro am Marktplatz. Immerhin erwartete er dort den Bericht seiner Leute; offiziell.

Vor seinem geistigen Auge stellte sich Tristan vor, wie er Überraschung vorspielen könnte;
beide Hände ins Gesicht schlagen und den Mund offen stehen lassen? Das wäre wohl etwas übertrieben.
Eine Hand auf die Stirn knallen und einen Wutausbruch vorgaukeln? Das hätten seine Soldaten nicht verdient.
Tja, blöd, wenn man genau weiß, was geschehen war, dachte der junge Leutnant. Blieb nur zu hoffen, dass niemandem Tristans ausbleibende Fassungslosigkeit auffiel. Aber daran sollte es nicht scheitern.
Vielleicht würde er aber doch auffliegen. Das wäre wohl ausgleichende Gerechtigkeit dafür, was er Valentin und den anderen angetan hatte. Immerhin hatten sich die Jungs zu fähigen Soldaten entwickelt, die ihren Auftrag sogar erfüllt hatten. Für diesen Erfolg hätten sie sicherlich die Anerkennung des Generals geerntet. Die Anerkennung, die sie wegen Tristan jetzt nicht mehr erhalten würden. Nur wegen ihm...

Welches Bild der junge Leutnant in der Sache abgab, war ihm mittlerweile völlig egal. Zwar war es in den letzten Wochen sein oberstes Ziel, die Deserteurin zu schnappen. Aber verzichtete er lieber auf den Ruhm und schadete seiner Karriere, wenn er dafür das Mädchen in Freiheit wusste. Ganz gleich, was für eine Zurechtweisung er aus Dukatia erfahren musste.
Solange niemand wusste, dass er Elenas Helfer war, würde er zumindest nicht in den Kerker wandern und könnte weiterhin für ihre Sicherheit sorgen.

Es dauerte vielleicht zwei Stunden, bis der Trupp aus den acht abgesandten Leuten wieder in Ebenholz war. Valentin als Berichterstatter und Kasimir als vorgeschobenen Beistand tauchten mit hängenden Köpfen in Tristans Büro auf.
Der Dürre kaute auf seinen Lippen und gab mit zittirger Stimme seine Meldung ab: "Leutnant Avila, ich berichte hiermit, dass wir die Flüchtige gefunden haben, aber sie entkommen konnte."
Tristan blickte aus dem Fenster hinaus und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Laut hörbar schnaubte er aus um zu signalisieren, dass er genervt über das Ergebnis war. So war er dem Moment, der ihn hätte verraten können, entkommen. Der junge Leutnant hatte allerlei Mühen seine Gesichtsmuskeln im Zaum zu halten. Erst als er sich sicher war, nicht mehr lachen zu müssen, wandte er sich zu seinen beiden Untergebenen.
Automatisch ließ Valentin seinen Kopf noch tiefer hängen und starrte schon auf seine Zehenspitzen.

Ein leichtes Zucken fühlte Tristan schon in seinen Mundwinkeln, das sich gerade zu einem Grinsen verformen wollte, doch konnte er es gerade noch unterdrücken.
Er antwortete mit einer Härte in der Stimme: "Und jetzt steht ihr wieder genauso hier wie vor vier Wochen."
"Wir, wir, äh - können überhaupt nichts dafür, wir hatten sie ja bereits gefesselt", gab der Untergebene als Rechtfertigung ab.
Dass das kein guter Ansatz war, bemerkte er, nachdem er die Worte bereits gesprochen hatte. Tristan klatschte seine Hand auf die Stirn und schüttelte leicht den Kopf.
Theatralisch ließ er einige Sekunden verstreichen und fasste dann noch einmal fragend  das zusammen, was Valentin ihm bislang erzählt hatte: "Ihr hattet sie bereits ... gefesselt?"
Der Dürre nickte beschämt.

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt