KAPITEL 20 - Auf leisen Sohlen [Teil 1]

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[St. Leonhard C of E Church, Coal Hill, Shoreditch, London, England, 27. Jänner 2015, 16:53]

Der raue Wind des frühen Abends zerrte an den vom Schnee befeuchteten Grashalmen und brachte die von Reif glitzernden Halme zum Zittern, als würden sie frieren. Nur wenige Menschen trieben sich um diese Uhrzeit an diesem Ort herum, und dennoch senkte die gedrückte Atmosphäre die allgemeine Stimmung erheblich. In wenigen Minuten würde in der Kirche die Glocke zur vollen Stunde läuten, dachte Clara sich abwesend, und behielt ihren Blick auf der tiefgrauen Kuppel des mächtigen Gotteshauses, während sie sich ihren Weg über den steinernen Asphalt bahnte. Die Schritte der Lehrerin waren schwer und träge, da sie einen turbulenten Arbeitstag voller Schülerstreiche und Papierflieger hinter sich gebracht und sich nun nach fast zwei Monaten erneut hierhergewagt hatte, obwohl sich ihr Inneres gegen diesen Besuch sträubte, weil es einfach zu sehr schmerzte. Ihre Kleidung hatte Clara heute bewusst im schwarzen Bereich gehalten, so trug sie eine Lederjacke, ein unauffälliges Wollkleid und Strumpfhose samt Stiefel - gerade noch genug Schichten, dass die winterliche Kälte nicht durch ihre Haut drang. Ein kurzer, unangenehmer Piekser machte sich auf der Hand der Brünetten bemerkbar, denn diese hielt sie um einen Strauß frisch gekaufter Wildrosen geklammert.
Ein qualvoller Stich ging durch Claras Herz, als ihr auf dem Friedhof der St. Leonhard's Kirche die vielen, mit Gewächsen und Puttenstatuen ausgeschmückten Grabsteine ins Sichtfeld traten. Eigentlich hegte sie sonst keine Ängste gegenüber des von Trauer und Melancholie beherrschtem letzten Ruhestätte, doch der bloße Gedanke, an ein ganz bestimmtes Grab zu treten, verursachte in ihr ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, Niederschmetterung und Dunkelheit. Verglichen damit erwies sich jede in ihrem Leben bisher bestandene Gefahr als ein belangloses Kinkerlitz.
Clara versank so in ihrer trostlosen Laune, dass sie ihre Umgebung kaum wahrnahm. Wäre sie also an einem bekannten Gesicht vorbeigegangen, hätte sie es wohl unwissentlich ignoriert. Aber am heutigen Tage kümmerte sie das nicht.
In ihr entfesselte sich ein Sturm aus Pein, als der Lehrerin ein verschnörkelter, steinerner Grabstein ins Auge fiel, und alles in ihr krampfte sich reflexartig zusammen. Am liebsten wollte sie nicht hier sein. Sie wollte nicht schon wieder an die vergangene Zeit erinnern, in der sie nicht jede zweite Nacht schweißgebadet aufgewacht war, weil die Schatten der düsteren Ereignisse sie verfolgten, die ihr das Wichtigste entrissen hatten.
Doch Clara wusste, dass es sich um den einzigen Zufluchtsort handelte, der ihr übrig blieb. Denn heute fühlte sie sich einsamer als je zuvor.
So machte die Brünette vor der Grabstätte Halt und verweilte dort einige Sekunden lang, bevor sie den Mut fasste, vom Boden aufzublicken. Obwohl sie vor genau einer Woche den Sarg einer antiken Persönlichkeit bestaunt hatte, konnte man dies nicht mit dem Frust gleichstellen, den sie über seinen Verlust empfand.
Nichts konnte man mit dem gleichstellen, das sie für Danny Pink emfunden hatte.

Liebes Tagebuch,
heute ist so wahnsinnig viel passiert, dass ich garnicht richtig weiß, wo oder wie ich anfangen soll. Doch da ich die Geschehnisse immer noch verarbeiten muss, glaube ich, es wäre das Beste, wenn ich es niederschreibe. Also:
Dass der heutige Tag mein Leben komplett verändern würde, hätte ich niemals für möglich gehalten (und man bedenke, wer mein bester Freund ist). Dabei hatte alles mit einer tieftraurigen Misere angefangen: Seitdem Professor River Song, die Frau des Doctors, durch Zufall bei mir hereingeschneit war, ist bis dato eine Woche vergangen. Und abgesehen von einer wilden Verfolgungsjagd mit Daleks, einem Kampf gegen eine monströse Riesenschlange aus dem All und einer flüchtigen Bekanntschaft mit dem "Räuberkönig" ist beim Rest ihrer Anwesenheit zu meiner Überraschung nichts Ungewöhnlicheres mehr passiert. Wir beide sind uns innerhalb von sieben Tagen näher gekommen, als ich irgendeiner Frau neben Mum je gestanden habe. Sie und ich haben uns ausgezeichnet amüsiert: Ich habe ihr die schicksten Läden in Shoreditch gezeigt, wir haben uns über das Essen in der Schulkantine aufgeregt, und ich habe sie sogar mit Angie und Artie bekannt gemacht - das sind die zwei Kinder eines guten Freundes, um die ich mich vor meinem Job als Lehrerin an der Coal Hill vorzeitlich gekümmert habe und die ich regelmäßig besuchen komme. Und auch River ist zu einer unverzichtbaren Freundin geworden, deren Präsenz ich trotz all unserer vielen Unterschiede durchaus genieße.
Nur war ich mir leider allzu bewusst, dass River nicht für immer bei mit bleiben würde. Denn sie wurde von einem unbekannten Fiesling gejagt, der ein enorm hohes Kopfgeld aus sie ausgesetzt hat, und nun wird im gesamten Universum nach ihr gefandet. Ihre Tarnung als Jessica Williams würde sie nur eine Woche lang auf der Erde aufrechterhalten, da sie weder mich noch irgendeinen anderen Menschen in Gefahr bringen möchte. Deshalb musste ich mich heute von ihr verabschieden, und würde somit auch all meine Erinnerungen an unsere gemeinsam verbrachte Zeit vergessen. Obwohl ich es natürlich nicht tun wollte, wusste ich, dass sich die sturköpfige River nicht zu einem längeren Aufenthalt überreden ließ. Darum habe ich mich von meinem zerissenem Herzen leiten lassen und bin bei Dannys Grab gelandet.
Der Abschied von ihm ist mir damals nämlich schwerer gefallen als alles andere auf der Welt.

⏳} TIMELESS ADVENTURES - The Chronicles Of The 11th Doctor {⌛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt