KAPITEL 8 - In den Tiefen der Grabstätte

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[West-Theben, Tal der Könige, Luxor, Ägypten, 4. November 1922, 13:21]
"Ich glaube, sie kommt wieder zu sich!"
"Sind Sie sich da ganz sicher, Amir?"
"Natürlich bin ich das, George. Sehen Sie doch, ihre Augen öffnen sich!"
Der Klang der beiden fremden Männerstimmen erweckte Clara aus ihrem unruhigen Schlaf. Langsam blinzelte sie die schwindelnde Benommenheit weg, dann versuchte die Lehrerin, ihre Augen zu öffnen. Das gießende, weiße Licht der Sonne blendete ihren Blick, weshalb sie eine Hand auf die Stirn legte, um die drei Personen zu erkennen, die direkt vor ihr standen.
Nach einem Moment der Erholung konnte Clara einen Schatten als eine ihr vertraute Frau identifizieren. Sie trug- anders, als sie es in Erinnerung hatte- eine Art Uniform, bestehend aus einem feldbraunen, kurzärmligen Hemd mit zwei Taschen an der Brust, darunter ebenso braune, kurze Hosen, die jedem einen guten Blick auf ihre schlanken Beine gaben, deren sanfte Kurven sich im Sonnenlicht abzeichneten. Um ihre Hüften war ein brauner Gürtel gebunden und an ihren Füßen befanden sich dunkelgraue, leicht schmutzige Stiefel. Über ihrer rechten Schulter hing eine graubraune Umhängetasche. Zwar erlaubte die blendende Sonne ihr nicht, in das Gesicht der Frau zu blicken, aber Clara erkannte ihre Stimme auf Anhieb.
"Danke für Ihre Hilfe, Gentlemen, ich werde mich ab jetzt um die junge Dame kümmern."
River Song.
Eine Welle von Erinnerungen riss Claras Verstand aus den Fugen: Die Frau des Doctors, die Flucht vor den Cybermen, der unerwartete Zeitsprung... die Wüste!
Endlich kam sie wieder völlig zu Bewusstsein und konnte ihre Umgebung wahrnehmen: Sie selbst lag auf einer weißen, etwas unbequemen Liege, die unter dem Schatten eines auf Holzsperen gespannten, cremefarbenen Laken ruhte. Ihr Kopf war auf einem gemütlichen Kissen gebettet. Am hellblauen Himmelszelt schwebte keine einzige Wolke, die Sonne strahlte mit solch einer Kraft herab, dass Clara sich fast wie in einem Backofen fühlte- die Wärme durchdrang ihre Haut und ließ sie unaufhörlich schwitzen. Die Lehrerin war der Sonne bestimmt noch nie so nah gewesen... Naja, außer einmal vielleicht, aber nur mit dem Doctor, und es war nicht auf der Erde.
Vorsichtig ergriff Clara die Lehnen der Liege und zog sich in eine sitzende Position. Jetzt konnte sie auch den goldbraunen Sand sehen, der sich hier am Wüstenboden so gut wie überall befand. Die beiden Männer, die vorhin über sie gesprochen hatten, entfernten sich, und River trat zu ihr. Das lockige Haar der Archäologin war zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, zudem trug sie weniger Make-up als vorher. Sie lächelte freundlich und kniete sich behutsam neben sie.
"Wie geht es Ihnen?", fragte River ruhig.
Sie sieht ein wenig besorgt aus, dachte Clara sich, Hatte sie etwa Angst um mich?
"Ich bin verwirrt", antwortete die Lehrerin wahrheitsgemäß, "Und mir ist ziemlich heiß. Aber sonst ist alles in Ordnung."
"Gut", meinte River dann, "Die Hitze hier ist normal, daran gewöhnt man sich nach einiger Zeit. Wissen Sie noch, warum wir hier sind?"
"Das weiß ich noch sehr gut", erwiderte Clara und wollte aufstehen, indem sie sich zur Seite schwang. Beim Versuch, sich auf beide Beine zu stellen, erinnerte die Lehrerin sich daran, dass man sich auf dem rutschenden Wüstensand kaum gerade halten konnte.
Ein wenig unbeholfen schaute Clara zu River, die ihr die Hand vorhielt.
"Vielleicht sollten Sie sich lieber umziehen", riet sie ihr lächelnd, "In Kairo sollte man lieber nicht in einem Kleid unterwegs sein- Vertrauen Sie mir, ich weiß, wovon ich rede."
Sie nickte leicht während ihren Worten, dann zwinkerte sie verwegen.
Die Lehrerin musste sich eingestehen, dass River recht hatte- sie konnte die enorme Hitze in ihrem schwarz-weißem Pünktchenkleid, ihrer dunkelroten Strumpfhose und ihren schwarzen Stiefeletten einfach nicht mehr aushalten.
Clara seufzte geschlagen. "Okay."

River hatte Clara zu einem Zelt in der Nähe geführt, wo sie sich ungestört umziehen konnte. Nun trug sie das exakt gleiche Outfit wie River- allerdings mit dem Unterschied, dass sie ihre zahlreichen Armbänder und ihre Glückskette anbehielt. Ihr schulterlanges, kastanienbraunes Haar hatte sie zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden.
Während ihres schnellen Kleidungswechsels hatte sie kein Wort mit River gewechselt, obwohl Clara am liebsten über tausend Sachen reden wollte. So viele Fragen lagen der Lehrerin auf dem Herzen, doch sie wusste einfach nicht, wo sie anfangen sollte...
Clara versuchte, ihr Unbehagen gegenüber der Archäologin beiseite zu schieben und sich auf ihre Situation zu konzentrieren: Sie befand sich in einem Land, in welchem sie noch nie gewesen war und indem vermutlich jeden Tag im Jahr durchgehend die Sonne schien. Einfach alles hier war anders als in England.
Die beiden Frauen kehrten zu dem Platz zurück, wo Clara aufgewacht war- eine Art Zeltlager, wo sich ein paar Dutzend Menschen geschäftig umher trieben.
Die Lehrerin folgte River zu einer Gruppe Leute, die sich mitten in einer riesigen, von Sand überzogenen Senke befand. An einigen der steilen Erhebungen gab es Öffnungen, die von hölzernen Speren eingezäunt wurden. Die Personen schienen gerade in ein Gespräch vertieft zu sein, denn sie bemerkten nicht einmal, wie Clara fast im Sand ausrutschte, als sie versuchte, in die Grube zu steigen.
River- die sich dabei viel geschickter angestellt hatte als sie- trat zu der Truppe und fragte: "Und, Mr Carter? Wie weit sind wir heute mit Ihrer größten Entdeckung?"
Nachdem Clara sich den warmen Wüstensand, der in ihre Stiefel gelangt war, ausgeschüttelt hatte, richtete sie sich auf und betrachtete die Leute, zu denen River gerade sprach.
Überrascht hielt sie inne.
Einer der vier Personen war ein recht großer, schlaksiger Mann mittleren Alters, dessen dunkles Haar von einem abgenutzten, braunem Hut bedeckt wurde. Das Kinn, das von einem Grübchen durchteilt wurde, vollendete das eckige Gesicht des Mannes. Seine helle Haut war sonnengebräunt, über seiner Oberlippe befand sich ein markanter, voller Schnurbart und sein leicht schmächtiger Körper wurde von einem weißen, kurzärmligen Hemd mit schmutzbraunen Erdeflecken, einer knielangen, grauen Hose und ebenso grauen Stiefeln bedeckt.
War das nicht Howard Carter? Der berühmte, britische Archäologe, der das Grab von Tutanchamun entdeckt hatte?
Langsam konnte Clara erahnen, weshalb River diesen Ort so sehr mochte.
Die Lehrerin betrachtete den Mann eingehend. Bis zu diesem Moment hatte sie sich Howard Carter immer als einen dickeren, strengen Herren mit vornehmen Attitüden vorgestellt. Aber die Person vor ihr wirkte lebendig und voller Tatendrang- und sah auch irgendwie ziemlich anziehend aus...
Als der Blick des Mannes River erhaschte, verzogen seine Lippen sich zu einem verwunderten, aber erfreuten Lächeln.
"Ah, Dr. Kingston!", meinte er, "Welch Freude, Sie heute hierzuhaben. Sie kommen wie gerufen!"
Clara schaute River verwirrt an.
Dr. Kingston?, dachte sie irritiert und musste schmunzeln, River hat wohl eine besondere Vorliebe für Decknamen...
"Um auf Ihre Frage zu antworten", fuhr Howard fort, "Ich und Señor Gonzalès haben das Kammersystem, von dem wir vor einigen Tagen Spuren ausfindig machen konnten, endlich an unserem Ausgrabungspunkt gefunden. Wir haben gerade besprochen, wer mich bei der Erkundung der Höhlen begleiten wird."
Clara hob die Augenbrauen. River hatte sie beide wohl in das Jahr gebracht, in dem der Archäologe den legendären Fund der Grabstätte von Tutanchamun machte!
Ob die Frau des Doctors ihm wohl dabei auf die Sprünge geholfen hatte? Howard sprach so vertraut mit ihr, als würden sie sich schon länger als ein paar Tage kennen...
Ein weiterer Mann- auch ein Mann mittleren Alters, dessen dunklere Haut zu einem Großteil von einem weißen Overall bedeckt wurde- wandte sich zu ihnen. Genau wie die meisten anderen trug er graue Stiefel, sein schwarzes Haar war am Ansatz leicht gewellt und streng nach hinten gekämmt und auf seinem Kinn befanden sich zersauste Bartstoppeln. Sein zweifellos auffälligstes Merkmal war eine V-förmige Narbe auf der rechten Schläfe seines ovalen Gesichtes.
"Mr Carter hatte Sie dafür vorgeschlagen, da Sie sich am besten für solch eine wichtige Angelegenheit qualifizieren", erklärte er, und an seinem ausgesprägten Akzent erkannte Clara, dass er vermutlich aus einer spanisch-sprachigen Gegend stammte.
Der Mann reichte River eine Karte, die in etwa die Größe einer Tischplatte besaß. Die Archäologin musterte den Plan genauestens, und Clara versuchte, einen Blick darauf zu werfen: Auf der Karte waren parallele Linien, Striche und Notizen skizziert, von denen Clara allerdings keine so richtig entziffern konnte.
Nachdem River sich den Plan angesehen hatte,
lächelte die Archäologin Howard verwegen an.
"Ein neues System, sagen Sie?", fragte sie in einem kecken Tonfall, "Höchst interessant... Ich bestehe darauf, Sie begleiten zu dürfen."
Das fromme Lächeln von Howard sah nach Rivers Worten noch ein wenig verzückter aus als vorher.
"Das freut mich wirklich zutiefst, vielen Dank. Mit einer so erfahrenen Archäologin meinen Lebenstraum zu verwirklichen, ist mir wahrhaftig eine Ehre."
River faltete die Karte, gab sie dem anderen Herren mit einer galanten Bewegung zurück und erwiderte: "Ich muss Ihnen danken, Howard."
Clara beobachtete, wie Howard und River miteinander umgingen, und bemerkte ein Funkeln in den braunen Augen des Archäologen. Bildete sie sich das nur ein, oder empfand er etwas für die Frau des Doctors?
Der Mann mit dem spanischem Akzent schien Clara erst jetzt zu entdecken, denn er deutete mit dem Zeigefinger auf die Lehrerin.
"Und... Wer sind Sie, wenn Sie mir diese Frage gestatten, Señorita?", fragte er neugierig, und somit zog Clara die Blicke aller Beteiligten auf sich.
Ein wenig überfragt starrte sie ihnen entgegen. Was sollte sie nun antworten?
"Ähm, ich bin...", fing Clara zögernd an und schaute Hilfe suchend zu River.
Diese zwinkerte der Lehrerin beruhigend zu und drehte sich zu der Gruppe.
"Sie ist meine Praktikantin, Jenna Coleman. Vor einigen Tagen hat sie sich für die Stelle als Archäologin bei mir beworben, und ich muss sagen, ich bin begeistert von ihren weltlichen Kentnissen. Sie mag manchmal etwas unerfahren wirken, aber nehmen Sie es ihr bitte nicht übel- dies ist ihre erste Exkursion, deshalb ist sie sehr aufgeregt. Außerdem war sie vor ein paar Minuten noch bewusstlos von der Hitze."
Völlig verblüfft sah Clara die Archäologin an. Sie hatte gerade einem der größten Wissenschaftler der britischen Geschichte eine blanke Lüge erzählt.
Doch da erinnerte sie sich an Rivers Worte: Es braucht lange, um eine Tarnung aufzubauen.
Beim Reisen mit den Doctor brauchte sie nur selten einen falschen Namen, aber da River nun mal nicht der Doctor war und Clara schon immer ein Fan von Schauspielen gewesen ist, beschloss sie kurzerhand, sich ihrem Schicksal zu fügen und eine Rolle zu erschaffen.
Clara blickte wieder zur Gruppe.
"Ich freue mich, sie kennenzulernen. Nennen Sie mich bitte einfach Jenna."
Sie streckte freundlich ihre Hand aus, die der überraschte Howard entgegen nahm. Er hatte einen ganz schön starken Händedruck...
"Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Jenna. Sie können sich glücklich schätzen, bei einer solch hervorragenden Professorin wie Dr. Kingston das Handwerk der Archäologie zu erlernen. Um mich ordnungsgemäß vorzustellen: Mein Name ist Howard Carter, ich leite die Ausgrabungen hier in West-Theben. Das hier-"
Er wandte sich zu dem dunkelhaarigen Mann in dem Overall, "-ist Señor Carlos Gonzalès, ein ausgezeichneter Wissenschaftler, der im Dienste der Spanischen Krone arbeitet."
Clara löste sich von Howard und reichte Carlos die Hand, der daraufhin charmant lächelte.
"Buenos días", begrüßte er sie auf Spanisch.
"Guten Tag", erwiderte Clara höflich.
Howard deutete auf die Frau, welche direkt neben ihm stand. Sie hatte ein schmales Gesicht, strahlend grüne Augen und glatt gekämmtes, dunkles, kinnlanges Haar. Sie trug dieselbe Kleidung wie Clara und River. "Diese Dame ist meine bedeutendste Kollegin: Lady Elizabeth Farris, ebenfalls eine überaus erfolgreiche Wissenschaftlerin, aus meinem Heimatland."
Freundlich schüttelte Elizabeth Claras Hand. "Schönen guten Tag!"
"Hallo", meinte die Lehrerin. Sie mochte diese Frau auf Anhieb.
"Und zu guter Letzt, Amir Muhammed", sprach Howard weiter, "Ein einheimischer Krankenpfleger. Elizabeth hat mir berichtet, er habe sie versorgt, nachdem sie zusammengebrochen waren."
Der letzte Mann im Bunde, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte, trat nach vorne. Er trug den gleichen Overall wie Carlos und hatte von allen Beteiligten die dunkelste Haut. Sein Gesicht war eckig, er hatte pechschwarzes Haar, tiefbraune Augen und breite Lippen. Er nickte Clara nur zu und murmelte ein leises "Ähla sabah."
"Leider beherrscht er unsere Sprache nicht", entgegnete Howard bedauernd, "Wenn Sie etwas von ihm benötigen, wenden Sie sich bitte an Lady Farris, Sie spricht fließend ägyptisch und übersetzt Ihnen gerne."
"Er hat 'Guten Tag' gesagt", fügte Elizabeth lächelnd hinzu.
Clara nickte ihr dankend zu.
"So", meinte Carlos und rieb sich unternehmungsfreudig die Hände, "Da wir uns unserem neuesten Mitglied vorgestellt haben, würde ich vorschlagen, dass wir uns wieder auf unser eigentliches Vorhaben konzentrieren."
Howard nickte zustimmend. "Ganz recht, Señor Gonzalès- wir werden das Kammersystem umgehend betreten." Der Archäologe sah zu Clara. "Was halten Sie davon, wenn Sie uns begleiten, Miss Jenna?"
Überrascht blinzelte sie ihn an. In einer altägyptischen Grabstätte war sie noch nie gewesen, selbst mit dem Doctor nicht. Außerdem erinnerte sich die Lehrerin noch gut an die Zeit, als sie noch ein kleines Mädchen war und ihre Eltern noch gelebt haben. Damals hatte ihr Vater mit ihr im Sandkasten gespielt und so getan, als würden sie in der Wüste nach Schätzen suchen...
"Das wäre eine tolle Gelegenheit, Erfahrungen für den Beruf als Archäologin zu sammeln!", meinte Elizabeth, die inzwischen vor Howard getreten war. "Was meinen Sie?"
Clara musste nicht mehr länger darüber nachdenken: "Ich bin dabei! Ich meine, ich würde mich geehrt fühlen."
Sie schaute zu River, über deren Gesicht sich eine stolze Miene ausbreitete- ob es sich nur eine Fassade oder eine echte Emotion handelte, konnte Clara im Moment nicht einschätzen. "Gut. Dann gehen wir."
Die Gruppe murmelte Zustimmung, und schon schritten alle Sechs durch den Wüstensand.
In der Kuhle befand sich ein ziemlich kleine Öffnung, welche Clara erst auf dem zweiten Blick entdeckte.
Das muss der Eingang zu diesem Kammersystem sein, dachte die Lehrerin und lugte neugierig hinein.
Amir, der neben ihr stand, reichte ihr plötzlich eine kleine, graue Gaslampe, die sie freundlich dankend entgegen nahm. Doch da er sie vermutlich nicht verstand, erwiderte er nichts.
Claras Blick fiel auf River, die Howard in die Höhle folgte.
"Ich und Mr Carter gehen voraus", ordnete sie an und schaute zur Lehrerin, "Jenna, weichen Sie mir nicht von der Seite."
Gehorsam nickte Clara und eilte mit schnellen Schritten zu River- dabei versuchte sie, nicht erneut auf dem tückischen Sand auszurutschen. Sie atmete tief ein, bevor sie gemeinsam mit dem Team aus Wissenschaftlern die geheimnisvolle Höhle betrat.
Ein wenig unbeholfen versuchte Clara, die verstaubte, leicht mitgenommene Gaslampe einzuschalten. Ihr entfuhr ein leiser Laut der Triumphes, als das Licht hinter dem Glas zu flackernd begann, nachdem sie an einem schraubenartigen Objektiv gedreht hatte. Trotzdem versuchte sie, professionell zu wirken, um nicht die unnötige Aufmerksamkeit der Anderen zu erregen.
Der Chemie-Unterricht hatte sich doch gelohnt, jubelte sie in Gedanken und hielt die Lampe nach oben, sodass sie ihr den Weg erhellte.
In der Höhle war es dunkel und überraschend kühl, im Vergleich zu der brennenden Hitze draußen. Clara spürte, wie sich ihr erwärmter Körper über die Abwechslung freute, in ihrem Inneren fühlte sie sich jedoch aufgeregter denn je. Schließlich war die Lehrerin zum allerersten Mal Teil eines historischen Ereignisses in einer völlig anderen Zeit- und das ohne den Doctor! Obwohl sie sich insgeheim wünschte, ihr außerirdischer Freund würde bei diesem Abenteuer dabei sein, genoss sie dieses Erlebnis in vollen Zügen.
Dennoch gab es noch so viele Fragen, die sie sich nicht beantworten konnte. Und alle diese Fragen drehten sich um River.
Bei ihrer Flucht aus der Coal Hill School hatte diese Frau drei Daleks- die hasserfülltesten Kreaturen in diesem Universum- mit einer Leichtigkeit erledigt, die der Lehrerin den Atem geraubt hatte.
Mittlerweile konnte sie sich denken, was der Time Lord an dieser Frau fand.
Völlig gedankenversunken stakste Clara durch die Höhle, plötzlich ertönte direkt neben ihr ein Geräusch. Erschrickt zuckte sie zur Seite: An den sandbraunen, schroffen Wänden der Höhle bröckelten plötzlich einzelne, winzige Steine ab, die beängstigend schnell auf den Boden rollten.
Die Lehrerin blickte hastig zu River, die sich gerade noch mit Howard unterhalten hatte und nun zu Clara sah. Sie lächelte verständnisvoll.
"Keine Angst", flüsterte die Archäologin behutsam, "So etwas passiert hier öfter, ist nichts Ungewöhnliches."
Ihre Stimme beruhigte Clara tatsächlich etwas, dennoch schämte sie sich für ihre schlechte Eigenschaft, dass man sie leicht erschrecken konnte.
Um sich abzulenken, hielt sie sich an River und versuchte, Interesse an der Expedition zu zeigen. Es war schließlich ihr erster Ausflug in eine Höhle in der Wüste.
Die Lehrerin konnte River hören, die in ein Gespräch mit Howard vertieft war. Ihre gedämpften Stimmen verrieten, dass es um etwas Wichtiges gehen musste.
"Ich muss zugeben, ich bin etwas aufgeregt", gestand der Archäologe besonnen, "Schon seit mehreren Jahren suche ich nach dem Grab eines altägyptischen Herrschers, dessen Diener ihm hier einen Ort der letzten Ruhe errichtet haben."
Clara wurde neugierig und schritt während des Marsches ein wenig näher an Howard heran. "Darf ich Ihnen eine Frage stellen?"
Er blickte sie über die Schulter an.
"Selbstverständlich."
"Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten", begann Clara vorsichtig, "Aber ist es nicht ein wenig taktlos, einfach in das Grab eines Verstorbenen einzufallen?"
Fast fürchtete die Lehrerin schon, Howard würde sie für ihre Indiskretion verurteilen, aber stattdessen antwortete er offen: "Ich möchte gewiss nicht ein Grab plündern- ich möchte nur mein Puzzle vom Leben der alten Ägypter vervollständigen. Ich will sie studieren, ihre Sprache erlernen, ihre Lebensweise verstehen! Der Ruhm als Archäologe ist dabei eher nebensächlich für mich."
Verwundert über sein Argument starrte Clara ihn an. Bisher hatte sie immer den Eindruck gehabt, Archäologen würde Gräber nur ausbeuten und sich an den Kostbarkeiten berreichern, aber durch Howards Worte hatte sie nun eine völlig andere Sicht auf die Dinge.
Sie hörte Carlos, der sich langsam an die Front der Gruppe drängte und dabei den Blick strikt nach vorne gerichtet hatte.
"Trotzdem wäre es höchst interessant, die Schätze eines Königs zu bewundern, die für Ewigkeiten als verschollen galten!", murmelte er vor sich hin, das Flackern seiner nach oben gehaltenen Gaslampe spiegelte sich dabei in seinen braunen Augen.
Ein anderes, merkwürdiges Geräusch ertönte, das diesmal nicht nur Clara zusammenzucken ließ. Es klang wie ein lang gezogenes Zischen, welches sich aber leicht gedämpft anhörte- fast so, als wäre es ein weit entferntes Echo.
Verwirrt schaute sich die Lehrerin um.
"Haben Sie das auch gehört?", fragte sie ihre Mitstreiter, die mittlerweile auch stehen geblieben waren.
Elizabeth nickte langsam, in ihren grünen Augen schimmerte Angst. "Ja, was war das?"
Carlos, der es offenbar sehr eilig hatte, überspielte die Situation mit einer abwertenden Handbewegung.
"Bestimmt nur eine Natter", meinte der Spanier, "In der Wüste wimmelt es nur so von Schlangen!"
Clara hatte nicht das Gefühl, dass es sich um ein einfaches Reptil handelte. Eine einzige Schlange konnte unmöglich so einen Lärm fabrizieren!
"Machen Sie sich keine Sorgen", beruhigte River die Gruppe und blickte dabei vor allem zu Clara und Elizabeth, "Ich kümmere mich um jegliche Gefahren, denen wir begegnen."
Im Kopf der Lehrerin spielte sich wieder die Szene ab, welcher River drei Daleks auf einmal innerhalb von Sekundenbruchteilen in die Flucht geschlagen hatte.
Vielleicht sollte sie sich wirklich ein wenig entspannen.
Langsam setzten sie ihre Erkundung fort. Währenddessen sah Howard River mir leuchtenden Augen an.
"Deshalb bewundere ich Sie so, Dr. Kingston", meinte er lobend, "Ihr Mut ist grenzenlos, und Ihr Einsatz als Archäologin mehr als einzigartig."
River schenkte ihm ein kleines, dankendes Lächeln.
"Dieses Kompliment gebe ich gerne an Sie zurück, mein Guter", erwiderte sie charmant und schaute wieder fokusiert nach vorne.
Clara beobachtete die beiden mit wachsendem Interesse. Der Blick in seinen braunen Augen sprach von tiefer Faszination.
Also doch- er hat Gefühle für sie!, dachte die Lehrerin schließlich.
Nachdem die Gruppe stetig weiterschritt, beschloss Clara, sich ein wenig mit Elizabeth zu unterhalten, die ihre Augen an Howard geheftet hatte und ihn durchgehend anstarrte. So viel Sehnsucht lag in diesem Blick...
Die Lehrerin trat zu ihr. "Wie lange kennen Sie beide sich schon?", fragte Clara sie leise und schaute sie neugierig an.
Elizabeth wandte sich ihr zu. "Oh, Sie meinen mich und Howard? Eine ganze Weile", antwortete sie und schien über eine Ablenkung erfreut zu sein, "Seit wir Jugendliche waren, um es genau zu sagen. Schon zu diesen Zeiten hatte er immer von einem ganz besonderen Fund geträumt."
Clara behielt im Hinterkopf, dass Howard Carter eines Tages als Archäologe in die Weltgeschichte eingehen würde, sprach es aber nicht laut aus, um nicht die Vergangenheit durcheinander zu bringen.
Allerdings gab es noch eine Sache, die sie brennend interessierte.
"Sind Sie zwei..." Sie machte eine Handbewegung, die ihr Anliegen verdeutlichen sollte.
Elizabeth starrte sie verwirrt an, doch dann verstand den Wink. "Ach, Sie denken, ich und er seien..." Die Frau ahmte ihre Handbewegung nach, und Clara nickte.
"Nein, nein, wir sind nur sehr gute Freunde und Arbeitskollegen", erklärte sie schnell und schaute wieder nach vorne zu Howard, "Trotzdem liegt er mir wirklich sehr am Herzen."
Clara blinzelte schweigend. Das erinnerte sie daran, dass sie und Danny auch nur als gewöhnliche Arbeitskollegen angefangen hatten, bis sie sich später ineinander verliebt hatten. Vehement verdrängte sie die schmerzhaften Erinnerungen daran und dachte stattdessen an Adrian, für welchen sie seit kurzer Zeit aufkeimende Gefühle empfand. Falls River sie je wieder ins England des 21. Jahrhunderts bringen würde, wird sie Adrian bei Gelegenheit nach einer Verabredung fragen.
"Und Sie?" Elizabeths Stimme holte sie aus ihren Gedanken in die Wirklichkeit zurück. "Wie lange kennen Sie schon Dr. Kingston?"
Diese Frage überfordete Clara ein wenig, weshalb sie einfach hastig dahin redete. "Puh, nicht sehr lange. Man könnte sogar behaupten, erst seit ein paar Stunden. Aber bis jetzt habe ich einen eher positiven Eindruck von ihr."
Elizabeth nickte zustimmend. "Ja, sie ist wirklich beeindruckend. Und noch dazu eine fantastische Professorin."
Mit einem leichten Seufzen strich sie sich mit ihrer freien Hand durch ihr glattes Haar. "Irgendwie beneide ich sie für die Tatsache, dass sie und Howard sich so gut verstehen."
In ihren Augen glänzte wieder diese unendlich große Sehnsucht.
Vermutlich bin ich nicht die Einzige, die an Liebeskummer leidet, dachte Clara grübelnd und wollte versuchen, Elizabeth aufzuheitern.
"Also, ich weiß nicht viel über Dr. Kingston", fing sie an, "Aber ich habe gehört, dass sie bereits glücklich verheiratet sein soll."
Mit großen Augen schaute die Frau sie an. "Sind Sie sich da sicher?", fragte sie, und Clara gefiel der hoffnungsvolle Ton in ihrer Stimme.
Die Lehrerin nickte entschlossen. "Mein Gefühl ist sich immer sehr sicher."
Auf Elizabeths Lippen zeigte sich ein glückliches, breites Lächeln.
Clara war froh, dass sie die Wissenschaftlerin ein wenig aufheitern konnte.
"Ich möchte die werten Damen nicht bei ihrem Gespräch stören", mischte sich Carlos ein, der vor den beiden in der Reihe ging und den Kopf zu ihnen gewandt hatte, "aber wir erreichen gleich ein häupriges Gebiet."
Elizabeth nickte gehorsam. "Natürlich, Mr Gonzalès. Ähm, perdón, Señor Gonzalès", korrigierte sie sich eilig.
Nach und nach wurde es schwieriger, die Höhle zu durchqueren, den der Boden wurde mit jedem Schritt unebener und hügeliger. Clara achtete für einen kurzen Moment nicht auf den Weg, da hob sie den Fuß nicht hoch genug, stolperte über eine Erhebung und wäre beinahe auf die harte Erde gestürtzt, hätte Amir sie nicht rechtzeitig am Arm gepackt.
"Alles in Ordnung?", fragte er sie, nachdem sich die Lehrerin wieder aufrichtete.
"Mir ist nichts passiert, danke-" Mitten im Satz brach Clara ab und starrte zu ihm auf. Hatte er gerade etwas Englisches zu ihr gesagt?
"Moment mal- ich dachte, Sie sprechen unsere Sprache nicht!", meinte sie überrascht.
Amir zuckte ein wenig ertappt zusammen, offenbar hatte sie ihn in eine unangenehme Lage versetzt.
Er blickte kurz nach vorne, dann begann er, langsamer zu gehen, sodass zwischen ihnen und den anderen Vieren eine sichere Entfernung entstand, und beugte sich zu ihr hinab.
"Verraten Sie es niemanden", flüsterte der Krankenpfleger ihr ins Ohr, "aber ich spreche britisch."
Verwundert zog Clara die Stirn in Falten. "Englisch, meinen Sie?"
"Äh, ja, genau, englisch", verbesserte Amir sich schnell.
"Aber wieso soll ich es niemandem erzählen?", fragte die Lehrerin irritiert. Sie verstand nicht, warum er ein Geheimnis aus dieser Tatsache machte.
"Es ist so", erklärte er und warf einen Blick nach vorne, "Ich traue Señor Gonzalès nicht über den Weg."
Clara beobachtete während seiner Worte den Spanier, der direkt neben Howard schritt und sich mit großen Augen in der Höhle umsah.
"Es liegt nicht daran, dass ich ein Einheimischer bin, aber die Spanische Krone interessiert sich schon sehr lange für die Ausgrabungen in Kairo. Einmal habe ich ihn dabei erwischt, wie er in Mr Carters Unterlagen herum geschnüffelt hat. Ich habe so getan, als ob ich nicht seine Sprache spreche, und das muss sich wohl herumgesprochen haben..."
"Sie denken also, er ist eine Art Spion?", wisperte Clara entsetzt und schaute den Krankenpfleger mit geweiteten Augen an.
Amir nickte ernst. "Ich denke schon- ich habe zuffällig einen Brief abgefangen, in dem auf Spanisch geschrieben stand, dass er das Grab- falls er irgendwelche Schätze dort findet- sie sofort an die Spanische Königsfamilie aushändigen wird."
Claras Kinnlade fiel runter.
"Er möchte das Grab ausrauben?!", entfuhr es ihr leise.
"Es scheint so", murmelte Amir bedenklich, und der folgende Satz gleichte einer Warnung, "Geben Sie Acht, ich werde ihn weiter beobachten."
Die Lehrerin konnte sich nicht ausmalen, auf welche Art und Weise der spanische Archäologe das Grab für sich beanspruchen möchte. Wenn Amir mit seiner Vermutung richtig lag, dann wäre Howards Ruf als zukünftige Legende in Gefahr!
"Amir, Jenna!", ertönte Carlos' scharfe Stimme, der sich weiter vorne befand und die beiden streng aus der Ferne betrachtete, "Ven aquí, muy pronto!"
Clara blickte von ihm zu Amir, der ihr einen bedauernden Blick zuwarf. "Passen Sie auf sich auf."
Vorsichtig nickte die Lehrerin, dann liefen die beiden hastig zu der Gruppe zurück, die sich bei der nächsten Kurve vor einer Abzweigung versammelt hatten, bei welcher der Tunnel in drei verschiedene Richtungen führte. River lächelte erfreut, als Clara wieder neben sie trat.
Howard kratzte sich nachdenklich am Kinn, während er die Karte von vorhin eingehend musterte.
"Hier spalten sich die Wege des Kammersystems", murmelte der Achäologe, "Ich schlage vor, dass wir uns in Zweiergruppen aufteilen, jede durchsucht je in einen Gang."
"Ich und Jenna werden nach links gehen", beschloss River kurzerhand und zwinkerte Clara zu, "das ist meine Glücksrichtung."
Die Lehrerin nickte zustimmend, sie war einverstanden mit ihrer Wahl.
"Gut, dann werde ich mit Señor Gonzalès den mittleren Weg erkunden", meinte Howard und drehte sich zu Amir, "Sie, Amir, werden Elizabeth auf dem verbleibenden Pfad begleiten."
Clara konnte leichte Enttäuschung in Elizabeths Augen erkennen. Bestimmt hätte sie am liebsten zusammen mit Howard denselben Tunnel bestritten.
"Ich bitte Sie alle, achten Sie gut aufeinander", sagte Howard noch, bevor er Carlos in den dunklen Gang folgte, "Falls jemand etwas gefunden haben, kehren Sie zum Lager zurück und warten Sie, bis ich wiederkomme." Er nickte jedem Mitglied einmal zu. "Ich wünsche jedem von Ihnen viel Glück."
Danach verschwand er, in den schaurigen Schatten des breiten Tunnels.
Gerade wollte Clara sich an River wenden, als der Ausruf ihres Namens ihre Aufmerksamkeit erweckte.
"Jenna!"
Jenna- ähm, Clara drehte sich zu Elizabeth um.
"Ja?"
Der Blick der Wissenschaftlerin wurde ernst.
"Bevor wir ins Ungewisse aufbrechen, muss ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen. Sie dürfen es keinem erzählen, auch nicht Howard oder Dr. Kingston."
Clara blinzelte, dann nickte sie. "Ist gut."
Elizabeth beugte sich leicht nach vorne und senkte ihre Stimme.
"Wenn Howard etwas zustoßen würde, könnte ich es mir selbst niemals verzeihen. Er bedeutet mir mehr als alles auf dieser Welt. Ich dachte mir, wenigstens eine Person sollte dies wissen, nur für alle Fälle."
Die Lehrerin schaute Elizabeth verwundert an. Dieser Ausdruck in ihren grünen Augen rührte sie zutiefst.
Was sie für Howard empfand, war ganz klar mehr als Freundschaft.
"Ich werde Ihr Geheimnis bewahren, versprochen."
Elizabeth lächelte erleichtert. "Ich danke Ihnen."
Schließlich ging sie zu Amir, der schon geduldig auf sie wartete, und gemeinsam schritten die beiden in den rechten Tunnel.
Clara wollte gerade zu River gehen, als sie plötzlich etwas hörte. Stocksteif blieb sie stehen. Es war das gleiche Geräusch wie vorhin: Dieses klappernde, schallende Zischen über ihren Kopf, dass ihr so weit entfernt und doch so nah erschien. Was, um Himmels Willen, war das bloß?
"Jenna! Alles klar?"
Rivers Stimme holte die Lehrerin ins Geschehen zurück. Sie drehte sich um: Die Archäologin stand schon am Eingang des linken Tunnels und lächelte sie freundlich an.
"Ja, alles gut. Ich komme!", antwortete sie und eilte zu ihr. Sie versuchte, das Verlangen zu ignorieren, dem mysteriösen Geräsuch auf dem Grund zu gehen.
Obwohl der Doctor es sofort getan hätte.
Clara holte tief Luft, atmete in einem Zug durch den Mund aus und folgte River mit hochgehaltener Gaslampe und pochendem Herzen in den dunklen Gang.

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⏳} TIMELESS ADVENTURES - The Chronicles Of The 11th Doctor {⌛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt