KAPITEL 19 - Zurückgedreht [Teil 1]

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[Erinnerungsstrom des Doctors, Gedankenzentrum der TARDIS]

"In die Freiheit, Tritzi!", gellte der Doctor euphorisch, während er auf dem Rücken des riesigen Triceratopsmädchens nach Halt suchte. Doch als er sich mit den Händen an ihrem dickhäutigen Hals festzuklammern versuchte, setzte sich der Dinosaurier bereits in Bewegung und polterte den Golfbällen von Rorys Vater hinter, welche den Korridor der Raumschiffarche entlangrollten. Hinter ihm japsten Rory und Brian entsetzt auf, als die drei Pond-Männer auf einem waschechten, auf der Erde bereits ausgestorbene Reptil reiteten.
Auf der von Silurianern erschaffenen Arche hatte sich der skrupellose Weltraumpirat Solomon eingenistet, der für seine dubiosen Pläne nicht einmal vor Mord zurückschrecken würde. In jedem anderen Fall hätte der Doctor alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Machenschaften des grausamen, verkrüppelten Greises ein Ende zu bereiten.
Doch diesmal war er leider nicht in der Lage dazu, weil dieser Tag längst geschehen war.
Im Unterbewusstsein des Time Lords hatte sich nämlich die Erkenntnis verankert, dass er mitten in seinem eigenen Erinnerungsstrom gefangen war. Dies hatte er einem gewissen Dieb zu verdanken, der sich kühn den "Räuberkönig" nannte, und ihm seinen wertvollsten Besitz- die TARDIS - einfach so vor der Nase wegschnappte. In seiner Verzweiflung hatte das Trio um den Fliegenträger und die beiden Ponds die Hilfe eines zwielichtigen Kerles erbitten müssen, den man in seiner Gegend namentlich nur als "Trixter" kannte. (Herrje, all diese großspurigen Titel! Da genoss er mit seinem simplen "Doctor" doch ein recht bescheidenes Dasein.) Der hinterhältigen Attitüde des Räuberkönigs ebenbürtig, ließ Trixter ihnen einen defekten Zeit-Vortex-Manipulator durch seinen wunderbaren Schallschraubenzieher eintauschen. Dieses Gerät hatte die Drei, anstatt in die Sicherheit des Konsolenraums der TARDIS, geradewegs in eine Gedankenebene der Zeitmaschine teleportiert, welche -  wie sich recht schnell herausstellte - ihre eigenen Gesetze der Physik besaß. Der Doctor erkannte, dass der einzige Ausweg aus dieser nur mental existenten Welt jener war, seinen persönlichen Erinnerungsstrang vollständig zu absorbieren. Dies musste sich so immens schmerzhaft auf ihn ausgewirkt ihn ausgewirkt haben, dass Amy (trotz strikter Warnung seinerseits) geradewegs den Kontakt gestört hatte, und seitdem herrschte pures Chaos in den Synapsen des Time Lords. Sein Ärger über das überstürzte Verhalten der Schottin wurde von der enormen Sorge überlagert, dass ihr und Rory etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte.
Und das nur meinetwegen, warf er sich voller Reue vor, Nur, weil ich mich selbst wegen meiner Einsamkeit bemitleide und sie wieder mitnehmen wollte...
Kaum zu Ende gedacht, riss es ihm im nächsten Augenblick aus seinem Körper und sein Geist glitt in ein älteres Ich von ihm, doch hoffentlich nicht in seine kommende Regeneration-
Zapp!

Ihm wummerte es im Hinterkopf, als er sich in einem warmen Raum voll modrigem Geruch wiederfand, anstelle eines kühlem Raumschiffs voller blinkender Lichter. Dank seines Time-Lord-Verstandes konnten sich seine Gehirnströme nur schwer mit den erdrückenden Atom-Verknüpfungen synchronisieren, andernfalls würde er nämlich mit jener Ausgabe seiner Selbst für immer und ewig verschmelzen. Doch aus diesem Grund sorgte der Doctor sich umso mehr um das Wohlergehen seiner Freunde. Der Time Lord betete darum, dass sie sich an ihn erinnerten, egal, wo sich die Ponds momentan aufhielten.
Also gut, dachte er sich und blinzelte hartnäckig im Halblicht des Zimmers, Wohin hat es mich diesmal verschlagen, Oberstübchen?
In diesem Raum gab es ein kleines Fenster, aus welchem man schließen konnte, dass der Doctor im Winter des viktorianischen Zeitalters gelandet war. Also musste dieser Augenblick nach seinem zerschmetternden Verlust von Amy und Rory an die Weinenden Engel geschehen sein, als sich die Paternoster Gang in jenen dunklen Stunden um ihn gesorgt hatte. Die drei Mitglieder des Detektivtrios standen ebenfalls im Zimmer, und Strax, der starrköpfige, als Krankenschwester geschulte Sontaraner, der fiebrig auf seinem Scanner herumtippte, während er sich über eine Art Altar lehnte, auf dem eine halb bewusstlose Person gebettet war-
Seine beiden Herzen krampften peinvoll zusammen. Nein. Bitte, zeig mir das nicht.
Auf dem Altar ruhte Clara - nicht jene, mit der er vor Trenzalore und seinem unerwarteten Erwachen das Universum durchquert hatte, sondern ihr Vergangenheit-Echo, welches einen tapferen Tod starb, um ihm das Leben vor der Großen Intelligenz alias Dr. Simeon zu retten. Gekleidet in einer hochtaillierten Gouvernanten-Uniform, lag sie mit friedlich geschlossenen Augen da, und nur das schwache Heben und Senken ihrer Brust verriet ihren lebendigen Zustand.
Er wollte weder, dass sie so zugrunde ging, noch, dass sie sich in dieser Situation allein gelassen fühlte - jene Gedanken obliegten in seinem Kopf, so erinnerte sich der Doctor. Obwohl es sich nur um eine Vision handelte und dieser Moment aus seiner Perspektive schon Jahrhunderte zurücklag, spürte der Time Lord all diese Emotionen so hautnah, dass der Kloß in seinem Hals wuchs.
Trotzdem fasste er sich am Riemen und näherte sich vorsichtig dem Altar der jungen Frau, die zu Sterben drohte. Langsam ließ sich der Doctor neben ihr nieder, und berührte so sachte wie möglich ihre Hand und ihre Stirn. Durch seine Anwesenheit wurde Clara aufgeweckt, und blinzelte ihn erschöpft an. Ihre halb geöffneten, tiefbraunen Augen blickten ihn rätselnd an, als ob sie nicht erkannte, wer da über ihr stand.
"Hallo?", flüsterte der Time Lord freundlich, in der Hoffnung, sie würde ihn dadurch identifizieren können.
Clara sammelte Luft zum Sprechen, offenbar kostete sie das große Anstrengung. "Sie denken alle, ich werd' sterben, nicht wahr?", wisperte sie kraftlos. Die ruhige, angespannte Atmosphäre des Raumes und das gedämpfte Schluchzen von Captain Latimers Kindern mussten ihr wohl diesen Eindruck verschafft haben.
"Und ich weiß, du wirst überleben", versicherte der Doctor ihr leise und voller Zuversicht.
Verwirrung glitzerte in ihren Augen. "Wie?"
"Ich weiß nie warum", entgegnete er lächelnd und holte indessen einen seiner TARDIS-Schlüssel aus seinem Mantel, den er einen Kuss gab. Sanft drückte er ihr den Schlüssel in die Hand, und küsste zärtlich den Rücken ihrer kleinen Hand. "Ich weiß nur wer."
Schmerz bildete sich in seiner Seele bei der Kenntnis, dass die gegenwärtige Clara, das winzige Kindermädchen mit der spitzen Nase, das er so in beide Herzen geschlossen hatte, wahrscheinlich nun mit seinem Nachfolger wilde Abenteuer in Raum und Zeit erlebte. Noch trauriger stimmte ihn der Gedanke, dass diese Clara vor ihm niemals die Sterne sehen würde.
Menschen, die mir etwas bedeuten, fallen wie Schneeflocken.
Zapp!

⏳} TIMELESS ADVENTURES - The Chronicles Of The 11th Doctor {⌛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt