KAPITEL 18 - Das Kind der TARDIS [Teil 2]

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"Kater!!", jaulte River hitzig, als sie auf dem endlos langen Flur einen Fetzen königsrotem Ledermantels entdeckte, welcher leichtfüßig um die Ecke bog, als wärem ihm unsichtbare Flügel gewachsen. Grollend rollte die Professorin die Augen. Ausgerechnet jetzt zeigten sich die Hybriden-Fähigkeiten ihres ehemaligen Freundes von ihrer hervorragendsten Seite: Niemand, den sie je kennengelernt hatte, konnte so schnell rennen wie Murray Myshondar.
Und dafür verfluchte sie ihn auf alle Götter.
Clara neben ihr hielt tüchtig Schritt, während sie die zahlreichen Korridore und Flure des limitlosen Raumschiffs durchquerten. Noch nie hatte sich River so sehr über den Umstand gefreut, TARDIS-DNA in ihrem genetischen Code zu tragen, da ihr das gute, alte Mädchen nämlich stets einen taktischen Vorteil verschaffte, egal ob bei Versteckspielen oder Rosenkriegen.
Du würdest nicht zulassen, dass er damit durchkommt, dachte die Archäologin stolz und sandte ein stilles Dankgebet an die vertraute Zeitmaschine, Du würdest mich nie im Stich lassen.
"Ich glaube, er ist Richtung Bibliothek verschwunden, so eilig, wie er es hat", schnaufte Clara emsig und legte ein beachtliches Tempo hin, barfuß und im hochtallierten Chiffonkleid, "Dort könnten wir ihn abfangen."
"Die Bibliothek mit Pool oder ohne?"
"Die mit dem Pool, denn die befindet sich irgendwo in der Nähe."
River nahm sich einen Moment und warf ihr einen anerkennenden Blick zu. "Du kennst dich aus."
Clara erwiderte die Geste mit einem bescheidenen Lächeln. "Während deiner Abwesenheit bin ich auch schon mal in diesen Gängen verloren gegangen."
"Die Geschichte würde ich gerne hören", meinte die Archäologin keuchend, ihre Füße trommelten stetig über den glatten Boden, "Hat er darin noch die Fliege getragen?"
"Jep."
"Dachte ich mir."
Das feminine Duo bremste vor dem Eingang der Bibliothek ab, aus welcher die klarblaue Oberfläche des Poolwassers herausschimmerte, in der sich das Lichtspiel der Beleuchtung reflektierte. Unerwartet zog sich Rivers Magen zusammen. Der Gedanke, diese ihr sonst so geläufige Bibliothek zu betreten, bereitete ihr eine plötzliche, unerklärliche Angst, die sich wie ein Zementriegel vor ihren Tatendrang schob. Bilder von schmerzlichen Erinnerungen flackerten in ihrem Inneren auf und sie drohte fast, daran zu ersticken...
Verdrossen vernichtete River all diese Zweifel und fokusierte sich stattdessen auf Murray, welcher über den Marmorboden pirschte wie ein Jaguar auf der Jagd. Jetzt war nicht der richtige Moment, um über alte Wunden zu grübeln - wenn der Räuberkönig die TARDIS übernahm, würdw das Gleichgewicht der Realität den Bach untergehen, und das durfte sie auf keinen Fall geschehen lassen!
Wie ein Laufpferd stürmte die Archäologin los, doch der Hybride reagierte reflexartig, vollführte einen meisterlichen Flick-Flack-Salto nach hinten und hielt dabei drohend die drei Schlüssel in die Luft.
"Zu langsam", neckte er verschmitzt und schleuderte einen der Schlüssel in den Swimmingpool, wo er platschend versank. Rivers Herz setzte einen Schlag lang aus. "Versuch's beim nächsten Mal!"
"Nein!", gellte sie und vergaß einen Augenblick lang die ruckartige Flucht Murrays, um sich in Windeseile den Blazer auszuziehen und ihre High Heels wegzukicken. Bei TARDIS-Schlüsseln handelte es sich um Unikate, bei denen man nicht im Handumdrehen Kopien anfertigen lassen konnte. Das Einzige, was ihre Materie vollkommen zerstörte, war Vulkanlava - würde dieser eine Schlüssel jedoch im breiten Poolfilter stecken bleiben, wäre er für immer verloren.
Tief atmete River ein und machte blindlings einen Kopfsprung ins kalte Nass, das Gewicht ihrer übrigen Kleidung erschwerte ihr das Schwimmen. Trotzdem kraulte der Lockenkopf regelmäßig weiter in die Tiefe, die Augen stur auf den Grund des Pools gerichtet. Wo befand sich nur der Schlüssel?
Schließlich wurde sie von einem Glitzern geblendet, und erhaschte das bronze schillernde Objekt, wie es langsam Richtung Poolfilter sank.
Entsetzt sammelte River die gesamte Kraft in ihren Gliedern und tauchte ab, um eine Hand nach dem Schlüssel auszustrecken, der den Poolfilter schon beängstigend näher kam. Bloß einen halben Zentimeter vor der sich gleichmäßig rotierenden Gerätschaft gelang es ihr, den daumengroßen Gegenstand mit ihren Fingern aufzufangen und ihn in die Sicherheit ihrer Faust zu drängen. Geschafft!
Aber der Räuberkönig war immer noch im Besitz zweier anderer Schlüssel, und er könnte sich Gott wusste wo in der unendlichen Raumauswahl der TARDIS verkriechen.
Angestrengt stieß sich River wieder nach oben und bließ ein wenig Luft durch ihre Nasenlöcher aus, um den restlichen Sauerstoff in ihren Lungen zu sparen. Mit einer letzten, kräftigen Schwimmbewegung kämpfte sich die Archäologin an die Oberfläche zurück und sog krächzend die Luft ein. Sie winkte Clara, welche besorgt am Poolrand weilte, zu und hielt ihr den Schlüssel entgegen. Erleichtert seufzte die Brünette.
"Wohin hat sich der Teufel verzogen?", hustete River fragend und hechtete ans Land, und nahm dabei die sehr willkommene Hilfe der Lehrerin an, welche sie an den Poolrand hievte.
"Er ist links abgebogen, vorbei an der Sauna", erklärte Clara eilig, "Vermutlich will er zurück zur Steuerkonsole. Kommst du klar?"
Die Archäologin nickte fröstelnd und erholte sich von der geistesgegenwärtigen Kurzschlussreaktion. "Ich komme sofort nach. Geh und such ihn!"
Die Brünette warf einen letzten, überprüfenden Blick auf ihre schnaufende Freundin, dann nickte sie und verließ die Bibliothek. River lächelte und wunderte sich ein wenig über das gewaltige Vertrauen, das sie in die kleine, resolute Dame setzte.
Nachdem sie sich die tropfnassen Locken aus dem Gesicht gestrichen und den Schlüssel sicher in ihrer Jeanstasche verwahrt hatte, erhob sich River auf die Beine und war ausgesprochen froh, aus der Bibliothek zu rennen, mit dem Gewissen, von keinen Vashta Nerada verfolgt zu werden.
Die in ein warmes, apfelgrünes Licht getauchten Korridore teilten sich hier in mehrere Richtungen auf, und die Archäologin - deren durchnässtes Hemd und Jeans eine Spur aus Wassertropfen auf dem Boden hinterließen - suchte mühsam nach einem Anzeichen, wohin Clara dem flüchtigen Räuberkönig gefolgt sein könnte.
Sie sagte, an der Sauna vorbei, überlegte sie rasch und spähte dabei in jeden einzelnen Flur, Das heißt, Murray muss sich in einem der Schlafzimmer befinden!
Schritte, so leise und federleicht wie Schmetterlingsflügel ertönten aus einer unbestimmten Seite, und ehe River es sich versah, sauste der Räuberkönig an ihr vorbei, der abendrote Mantel flatterte beim Laufen durch die Luft wie ein Tanz in der Dämmerung. Der Versuch, ihm am Arm zu packen, scheiterte kläglich, und River stürzte den Hybriden taumelnd hinterher.
"Wart's ab-" Aprupt brach sie den Satz ab, als ihr plötzlich ein Gewicht gegen die Hinterseite prallte und sie sich in der nächsten Sekunde auf dem Boden befand. "Uff!"
"Entschuldige", piepste eine Stimme über ihr - es war Clara, welche auf ihren Schulterplatten lag. "Ich dachte, du wärst er..."
"Schon gut", erwiderte River gepresst und die zwei Frauen halfen sich gegenseitig beim Aufstehen - die aufwändige Hochsteckfrisur der Lehrerin hatte sich in ein heilloses Durcheinander aus Stecknadeln, Maschen und braunen Haarsträhnen verwandelt. Die Archäologin verkniff sich ein belustigtes Grinsen. "Und ich habe immer geglaubt, meine Frisur könnte man mit dem Struwwelpeter vergleichen..."
Beleidigt kräuselte Clara die Nase. "Sehr witzig", kommentierte sie trocken.
"Ich will nur die Stimmung etwas heben", entgegnete River schulternzuckend.
Die Brünette klopfte sich den Rock ihres Kleides ab. "Wo ist er denn jetzt schon wieder hin?"
"Er befindet sich an seinem Lieblingsort", murmelte der Lockenkopf wissend, "In einem Schlafzimmer."
Die wild entschlossenen Damen rasten wie Staffelläufer an mehreren, teilweise ulkigen Räumen vorbei, und die Farbkaskade der Beleuchtung nahm die verschiedensten Töne an: Von einem aquamarinblauen Cyan bis zu einem warmen, goldgelben Orange wurde jeder Korridor von einer anderen, wohlig vertrauten Atmosphäre eingehüllt, die River nur allzu gerne genossen hätte. Jedoch spürte sie die innere Aufruhr der TARDIS, welche ihre eigenen Gefühle zu teilen schien, in den tiefsten Winkeln ihrer Seele.
Schließlich betraten sie einen Raum, den die Archäologin in ihren Lebensjahren bisher am Häufigsten betreten hatte: Das gemeinsame, persönliche Schlafzimmer von ihr und dem Doctor. Angenehme, allerdings auch schmerzlich weit entfernte Erinnerungen strömten auf River ein, während sie die rosa- und fliederfarbenen Tapeten im Blumenmuster und das alte, verstaubte Bücherregal mit all den Bilderrahmen und Kleinigkeiten darin selig betrachtete.
Oh Gott, ich bitte dich, betete sie inständig, denn in diesem ganz besonderen Zimmer hatten sich auch einige viele, unanständige Szenen abgespielt, Bitte, mach nicht, dass der Kater meine geheime Schublade in der Kommode geöffnet hat!
Da entdeckte die Archäologin an der Wandmitte auf ihrem breiten Ehebett mit der kuscheligsten Matratze im Universum und den frischen, weißen Laken samt Kissen und Decke den Räuberkönig, welcher in einer höchst aufreizenden Posistion darauf lag und eine seiner Haarspitzen gelangweilt um seinen Finger wickelte.
"Diese Maschinerie hält wahrlich einige Überraschung bereit", stellte er fest und River konnte die zwei fehlenden Schlüssel in seiner Hand aufblitzen sehen, "Ich kann gut verstehen, warum Tweedy und seine Crew es mir nicht so leicht gemacht haben, sie abzuluchsen."
"Kein Wunder, bei deinen sogenannten Prinzipien", gab Clara ohne Staunen von sich und näherte sich dem Bett von der einen Seite, schleichend wie ein Fuchs auf Beutezug; River gegenüber tat es ihr gleich, "So jemanden wie dir muss man einfach misstrauen."
Murray richtete seinen Oberkörper auf und deutete mit den Finger auf sie. "Exakt mit dieser Aussage würde ich meine Biographie beginnen, falls ich mein Leben mal auf Buch veröffentliche, um meine geschätzte Wenigkeit für die Nachwelt zu erhalten."
Rivers Schienbein stieß gegen die hölzerne Bettkante. "Dann wird diese Biographie wohl damit enden, dass der Räuberkönig von zwei wütenden Frauen in einem Ehebett zur Strecke gebracht und danach nie mehr gesehen wurde."
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Schmunzeln. "Klingt ebenbürtig genug für mich. Willst du es darauf anlegen?"
Wie auf ein stilles Signal warfen sich Clara und River gleichzeitig auf ihn, jedoch schlängelte er sich so ruckartig nach oben, dass sich die beiden gegenseitig vor die Stirn donnerten. Obwohl der Schwindel sie benommen machte, schafften es die Archäologin und die Lehrerin geistesgegenwärtig jeweils eines seiner Beine zu packen. Doch der Hybride, welcher sich schneller und geschmeidiger bewegte als ein Zitteraal, sprang kurzerhand aus seinem Schuhwerk und nun lagen die zwei Damen auf dem Bauch, mit je einem der abgewetzten, braunen Lederstiefel in der Hand.
"Nette Taktik", lobte Murray gewitzt und hob angeberisch die Faust, "Um mich zu fangen, sollte man mir allerdings immer einen Schritt voraus sein."
Dem Lockenkopf entfloh ein verärgerter Laut: Der Räuberkönig hielt nun wieder alle drei Schlüssel in den Fingern, was bedeutete, dass er ihn ihr irgendwie aus der Jeanstasche stibitzen konnte.
Dreckiger, verlogener Wicht!, fluchte River in Gedanken, während der Dieb erneut aus ihrem Sichtfeld verschwand und seinen Weg Richtung Steuerkonsole fortsetzte, Grins nur so lange weiter, bis ich dich erwische!
"Ich glaube, dass ich ihn hasse", murmelte Clara ihr zu, bevor sie aus dem Bett hüpfte und das Schlafzimmer verließ.
"Das nehme ich dir nicht übel", meinte River leise, wissend, dass die Lehrerin das nicht mehr hörte. Ein letztes Mal ließ die Archäologin ihre Finger sehnsüchtig über den weichen, weißen Bezug der Matratze streichen, um ihre zerschmetternden Erinnerungen an des Doctors wärmenden Hände und seine tiefgründigen, jadegrünen Augen zu verdrängen und wie einen Schatz in ihrem Herzen zu verwahren.
Danach verwelkte der Moment, und sie folgte Clara in die Gänge der TARDIS, die ohne ihren Ehemann auf einmal viel verlassener und trostloser wirkten.

⏳} TIMELESS ADVENTURES - The Chronicles Of The 11th Doctor {⌛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt