KAPITEL 7 - Der Beginn einer neuen Reise

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[Old Queen Street, Westminster, England, 27. Juni 2013, 11:29]
Wiederholt überprüfte Rory die Atmung von Tabetha, seiner Schwiegermutter, indem er vorsichtig sein Ohr über ihre Nase legte. Beruhigt seufzte er, als ein sanfter Luftzug seine Wange kitzelte.
Nachdem sie von den Weinenden Engeln angegriffen wurde, war sie vor Schock sofort ohnmächtig geworden- dasselbe war auch Augustus geschehen. Mit der Hilfe des Doctors hatten Rory und Amy das Ehepaar in ihr Schlafzimmer gebracht und gewartet, bis sie wieder zu sich gekommen waren. Danach musste seine Frau ihnen erklären, was genau passiert war- binnen Minuten waren Tabetha und Augustus vor Erschöpfung eingeschlafen.
Nachdem Rory die Decke, die über seine schlummernden Schwiegereltern gelegt war, noch etwas zurecht gezogen hatte, stand er von der Bettkante auf und ging mit schweren Schritten aus dem Schlafzimmer. Schnaufend fuhr der Krankenpfleger sich mit der linken Hand durch sein verwuscheltes Haar. Erst jetzt fiel ihm auf, wie ausgelaugt er sich fühlte. Sein aufgewühltes Herz musste sich noch von der unendlich großen Angst um Amy erholen. Eigentlich war das nicht die erste, gefährliche Situation, in der sein Puls gelegentlich mal aussetzte, aber immer, wenn seiner Frau irgendetwas Schlimmes zu passieren drohte, aktivierten sich seine innersten Beschützer-Instinkte. Bei dem Gedanken, dass Amy um ein Haar von dieser wütenden Engelsstatue erwürgt wurde, zog sich alles in ihm zusammen. Der Anblick seiner zu Tode verängstigten Frau war einfach unerträglich für ihn gewesen. Rory hatte auch schon ihre Wunden versorgt- ein paar Kratzer am Hals, die sich leicht behandeln ließen. Er war noch nie so froh über seine Arbeit als Krankenpfleger gewesen wie heute.
Als Rory das Wohnzimmer erreichte, sah er, wie der Doctor und Amy nebeneinander auf der weißgrauen Couch saßen- seine Frau auf der linken Seite und der Doctor rechts von ihr. Auf dem hölzernen Couchtisch vor ihnen standen zwei frisch servierte Tassen Tee. Schweigend hielt der Doctor seine Tasse in der Hand und betrachtete das Getränk, als würden seine Gedanken darin schwimmen. Amy schaute ihn ununterbrochen an- immer noch ein wenig mitgenommen von den heutigen Ereignissen, das merkte Rory sofort.
Als der Krankenpfleger den Raum betrat, fiel Amys Blick auf ihn und sie lächelte leicht. Er lächelte zurück.
"Wie geht es Mum und Dad?", fragte seine Frau ihn und schien froh zu sein, dass er sich zu den beiden gesellte.
"Es geht ihnen besser", beruhigte Rory sie sanft und ging zu ihr, "Sie ruhen sich gerade aus. Ein paar Stunden Erholung, und sie sind wieder auf den Beinen."
Erleichtert atmete Amy aus und lehnte sich zurück.
"Zum Glück", meinte der Doctor, der endlich von seinem Tee aufblickte. Auch er war noch sehr ermattet, das erkannte Rory schon an seinen glasigen, grünen Augen.
Er nahm Platz auf dem gemütlichen, mausgrauen Sessel neben dem Couchtisch und musterte Amy, auf deren Hals ein Pflaster klebte.
"Wie geht es deinem Hals?", fragte Rory und nahm seine Frau behutsam beim Arm.
Die Rothaarige schaute ihn an und nickte. "Es wird besser", meinte sie knapp und schenkte ihm ein müdes Lächeln. Das reichte allerdings nicht aus, um Rory vollständig davon zu überzeugen, dass Amy nichts fehlte. Vor einer Stunde war sie noch ohnmächtig in der Küche zusammengebrochen, weil die Erinnerungen an den Doctor sie völlig überwältigt hatten. Als Rory und Augustus den Schrei von Tabetha vernommen hatten, waren die beiden Männer ohne zu Zögern in die Küche gerannt. Später war ihm das Gleiche geschehen: Eine Flut aus Erinnerungen hatte ihn während Amys Zustandes überrumpelt und er wäre beinahe auch bewusstlos geworden- aber die Sorge um seine Frau hatte ihn wach gehalten.
Der Moment des Schweigens zog sich in die Länge, und Rory begann, unruhig mit seinen Fingern zu spielen und an seinem Ehering zu drehen.
Offenbar habe ich zwischen den beiden nichts verpasst, dachte der Krankenpfleger und hob die Augenbrauen.
Er beschloss, die Stille mit einer Frage zu brechen, die ihm auf dem Herzen lag.
"Also, die Engel", fing Rory an und zog damit die Blicke beider auf sich, "Warum sind sie verschwunden?"
Der Doctor antwortete sogleich: "Die Engel waren nur ein Nachhallen aus Manhattan, eine Art Vision, die ihre Rachsucht an Ihnen ausüben wollte. Ich konnte sie mit dem Schallschraubenzieher in das Paradoxon zurückdrängen, aus welchem sie gekommen sind."
"Aber ich dachte, wir hätten das Paradoxon zerstört", entgegnete Amy verwirrt und blickte den Doctor konfus an, "Weil wir uns an sie erinnert haben, oder?"
Der Time Lord zog seine feinen, kaum sichtbaren Augenbrauen zusammen. "Nein, ein Paradoxon lässt sich nicht zerstören, sondern nur verändern. Ihre Erinnerungen haben die Verbindung zu den Engeln wiederhergestellt, ich konnte diese Verbindung aber gerade noch schließen, bevor etwas Schlimmeres geschehen konnte."
Nach dem letzten Satz nahm er einen zügigen Schluck von seinem Tee.
"Sie haben uns gerettet", murmelte Amy leise, "Danke."
Der Doctor erwiderte ihre Worte mit einem zaghaften Lächeln.
Das gleiche, angespannte Schweigen trat wieder ein. Wortlos lehnte sich Rory zurück. Diese Situation war für alle drei Beteiligten sehr schwer zu begreifen- immerhin hatten sich der Krankenpfleger und seine Frau an ein ganzes Leben erinnert, und das in nur einer Stunde! Trotzdem gab es so viel, über dass Rory reden wollte- Amy und dem Doctor ging es bestimmt nicht anders.
Ganze zwei Minuten verstrichen, bis endlich wieder jemand das Wort ergriff.
"Mir gefällt Ihr Haus", kommentierte der Doctor und betrachtete das Wohnzimmer. Seinem Tonfall nach zu urteilen, war es ein ehrlich gemeintes Kompliment. "Alles schön restauriert- besonders nett finde ich die Eingangstür."
Der Time Lord zwinkerte. Rory musste leicht schmunzeln, und Amy entfuhr sogar ein kleines Lachen. Seine Bemerkung hatte die unsichere Atmosphäre ein wenig aufgelockert.
"Danke", meinte Rory dann, "Obwohl wir natürlich nicht ahnen konnten, dass sie die gleiche Farbe haben würde wie die TARDIS."
Der Doctor erhob seine Mundwinkel zu einem verschmitzten Lächeln. Rory nahm sich eine der beiden Teetassen vom Tisch, als sein Schwiegersohn fragte: "Ist es in Westminster eigentlich aufregender als in Leadworth?"
"Nicht wirklich", entgegnete Amy und blickte von ihrem Mann zum Doctor, "Wir sind hauptsächlich wegen unserer Arbeiten hierher gezogen- sonst ist unser Leben bis jetzt gleich verlaufen." Ihr Gesicht verzog sich zu ihrer neugierigen Miene. "Und wie geht es Ihnen so?"
Der entspannte Blick des Doctors wurde plötzlich gedankenvoller, er biss sich auf die Lippen und seine Augen starrten steif gerade aus. Rory kannte diesen Gesichtsausdruck- es bedeutete, dass es viel zu erzählen gab.
"Ich bin ein wenig verwirrt", erklärte der Time Lord, jedes Wort war mit Bedacht ausgesprochen, "Aber das wird sich wieder legen. Seit Ihrem Sturz in Manhattan ist bei mir wirklich eine Menge passiert. Eine Menge klingt untertrieben- es sind tausend Dinge geschehen. Vieles bedaure ich, vieles irritiert mich, und vieles begreife ich bis jetzt nicht..." Aufgewühlt stellte er seine Tasse auf den Tisch zurück. Eine Welle von Mitgefühl erfasste Rory- so hatte er seinen Schwiegersohn noch nie erlebt. Der Time Lord wirkte tatsächlich ziemlich verwirrt, als wäre er morgens mit dem falschen Fuß aufgestanden.
"Erzählen Sie uns ruhig alles", ermutigte Amy ihn und legte ihre Hand auf seine Schulter. "Lassen Sie sich Zeit."
Rory beugte sich auf seinem Stuhl vor. "Sind Sie seit unserem Abschied alleine weiter gereist?", versuchte er, den Time Lord zu bestärken.
Der Doctor setzte sich kerzengerade auf, strich sein Sacko glatt, räusperte sich ein, zwei Mal und schien zu überlegen, wo er anfangen sollte. Dann begann er, zu erzählen, während Rory ihm gebannt und aufmerksam zuhörte.
"Nachdem wir Drei getrennt wurden, habe ich mich für eine Zeit lang ins viktorianische London zurückgezogen, um der Paternoster Gang bei einem Fall zu helfen."
Der Krankenpfleger kannte das Trio der Gerechtigkeit aus dem 19. Jahrhundert bereits- er hatte Madame Vastra, Jenny Flint und Commander Strax bei einem Notfall auf Demons Run kennengelernt. Rory dachte nur ungern an diesen Tag zurück- ihm und Amy wurde ihre gemeinsame, neugeborene Tochter Melody vom Orden der Stille entrissen. Bei dem Gedanken brach es ihm immer wieder das Herz...
"Jedenfalls", berichtete der Doctor weiter, "bin ich nach einigen Tagen einer Frau begegnet, die mich auf meinen späteren Reisen begleitet hat- ihr Name ist Clara Oswald."
Dieser Name kam Rory bekannt vor.
"Clara Oswald", wiederholte er und versuchte somit, seinen grauen Zellen damit auf die Sprünge zu helfen.
"Clara Oswin Oswald", verbesserte der Time Lord ihn, und da fiel es Rory wie Schuppen von den Augen.
Das Soufflé-Girl, das in einen Dalek verwandelt wurde!
"Diese Frau, die die Daleks gejagt haben?", fragte Amy mit verwirrtem Gesichtsausdruck, "Aber ich dachte, sie wäre ums Leben gekommen!"
Rory nickte zustimmend. Damals waren sie zu Dritt von den bösartigen Panzerwesen vom Planeten Skaro in ein Asyl gebracht worden, in welches kranke oder fehlerhafte Daleks eingewiesen wurden. Eine junge Frau namens Oswin hatte ihnen geholfen, vor den zerstörerischen Kriegsrobotern zu fliehen- dabei wurde sie leider selbst zu deren Opfer. Weder der Doctor noch Rory oder Amy hatten ihre Retterin persönlich gesehen, sondern nur ihre Stimme per Funk gehört.
"Das ist sie auch", erwiderte der Schwiegersohn der beiden. Nach seiner Bemerkung erntete er irritierte Blicke von beiden Seiten.
"Das ist aber eine längere Geschichte", erläuterte der Doctor und gestikulierte mit seinen Händen in der Luft, was für Rory stets so aussah, als würde er unsichtbare Bienen verscheuchen wollen, "Voller Überraschungen, Abenteuer und missglückter Soufflés."
"Ich kann's kaum erwarten, sie zu hören", meinte Amy grinsend und rückte neugierig an ihn heran.
"Ich auch nicht", stimmte Rory seiner Frau zu und schaute den Time Lord an.
Der Doctor lächelte stumm und sah von ihm zu seiner Frau, dabei kamen seine breiten Grübchen zum Vorschein. An seiner Miene erkannte der Krankenpfleger, dass er ihn und Amy unendlich vermisst haben musste- Rory konnte nicht bezweifeln, dass es ihm selbst anders ging.
"Sie sehen hungrig aus", merkte Amy an, stand von der Couch auf und schritt aus dem Wohnzimmer, ein vielsagendes Lächeln umspielte ihre Lippen, "Ich gehe in die Küche und mach uns Dreien Fischstäbchen in Vanillesoße."
Dem Doctor entglitten jegliche Gesichtszüge und er machte eine erfreute, überschwengliche Bewegung mit seinen langen Armen. "Oh, ja!", rief er aus, "Ich habe seit Äonen keine Fischstäbchen mehr gegessen- ich vergesse schon ihren Geschmack!"
Rory lachte amüsiert über die Reaktion des Time Lords und folgte seiner Frau. Tief in seiner Seele hatte er die verrückte Art seines Schwiegersohnes furchtbar vermisst.

⏳} TIMELESS ADVENTURES - The Chronicles Of The 11th Doctor {⌛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt