PROLOG - Das wartende Mädchen / Durst nach Rache

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[Ein Einfamilienhaus, Leadworth, England, 11. Juli 1996, 20:10]
Kniehend saß Amy auf ihrem Bett, ihre Hände waren gefaltet. Sie hatte heute bereits ihre Hausaufgaben gemacht, zu Abend gegessen, gebadet, ihre Zähne geputzt und ihren Eltern einen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Jetzt fehlte nur noch eines, bevor sie endlich schlafen gehen konnte: Ein Gebet.
Sie überlegte noch einen Moment, was sie sagen sollte, dann schloss sie die Augen und begann zu sprechen. "Lieber Gott, danke für alles Schöne, was ich heute erleben durfte. Und danke für meine Eins im Englisch-Test. Bitte beschütze Mum, Dad, meine Tante Sharon, meine Freunde Mels und Rory und alle anderen, die mir etwas bedeuten. Und bitte hilf allen, die ein Problem haben und denen es schlechter geht als mir selbst. Schick ihnen jemanden, der helfen kann. Einen Polizisten vielleicht, oder-"
Ihr Gebet wurde von einem lauten Krachen unterbrochen, das klang, als ob etwas Riesiges vom Himmel auf die Erde gefallen wäre. Neugierig öffnete Amy ein Auge. Was war das denn?
"Ich bin gleich wieder da", sagte sie noch schnell zu Gott, dann stand sie vom Bett auf und ging zum offenen Fenster. Amy stellte sich auf die Zehenspitzen, denn sie war noch etwas zu klein, um aus dem Fenster zu schauen, was sie manchmal ziemlich ärgerte. Aber jetzt war sie auf etwas Anderes konzentiert, nämlich auf das seltsame Bild, dass sich ihr bot: Draußen in der Nacht, mitten im Garten vor dem Haus, lag eine blaue Polizei-Notrufzelle, die rauchte und seltsame Geräusche von sich gab. Sie musste wahrscheinlich von irgendwo runtergefallen sein, denn die Telefonzelle hatte einige Pflanzen bei ihrem Sturz umgerissen.
Amys Augen wurden groß. Eine Telefonzelle? Vor ihrem Haus?
Sie war sich schon ziemlich sicher, das dies ein Traum war, und zwickte sich sicherheitshalber in den rechten Oberarm. Das tat zwar weh, aber sie wachte nicht auf. Offenbar lag da tatsächlich eine blaue, rauchende Telefonzelle im Garten.
Sollte sie ihren Eltern davon erzählen? Amy wandte sich schon zum Gehen, aber dann hörte sie noch ein Geräusch. Eine Stimme.
Interessiert lehnte sich Amy vor, bis ihre Stupsnase das kühle Glas berührte.
In der Telefonzelle war jemand!
Sofort entfernte sie sich vom Fenster, griff eine Taschenlampe, zog sich Jacke und Hausschuhe an und tapste auf leisen Sohlen aus ihrem Zimmer.
Ihre Neugierde wurde mit jedem Schritt größer. Sie schlich mucksmäuschenstill am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbei- diese hatten von dem Lärm wohl nichts mitbekommen.
Amy erreichte die Eingangstür ihres Hauses, streifte sich flink die dicke Jacke über und schaltete die Taschenlampe an. Ein Kribbeln durchflutete ihren ganzen Körper mit den Gefühlen von Freude, Aufregung und leichter Angst. Mit geübten Händen sperrte sie die Tür auf und hüpfte Treppe für Treppe nach draußen in die kühle Sommernacht.
Die Telefonzelle rauchte noch immer stark und lag quer auf dem Gras, aber immerhin hatten die seltsamen Geräusche aufgehört. Die Person, die scheinbar in der Tür der Zelle eingeklemmt war, hatte es inzwischen geschafft, sich einigermaßen rauszuzwengen, lag aber trotzdem ein wenig hilflos da. Amy trat, mit großen Augen und angehaltenem Atem, in kleinen Schritten immer näher an die Zelle heran. Sie versuchte, einen besseren Blick auf die Person hinter den Gebüschen zu werfen.
Jetzt konnte Amy sie deutlicher sehen: Es war ein ziemlich großer, schlanker Mann mit schwarzem, strähnigem Haar, das nach links gekämmt war und ihm mitten ins Gesicht hing. Außerdem trug er ein kaffeebraunes Sakko, ein weißes Hemd, eine schwarze Hose mit Trägern, ebenso schwarze Schnürschuhe und als Krönung eine dunkelrote Fliege. Er sieht ein bisschen zerlumpt aus, dachte sie sich schmunzelnd.
"Ähm, Sir", fing Amy an und leuchtete mit der Taschenlampe direkt auf den Fremden. "Alles in Ordnung?"
Der Dunkelhaarige warf den Kopf hoch, nun konnte sie ihm endlich ins Gesicht schauen. Er hatte ein markantes Gesicht, jadegrüne Augen, feine Augenbrauen, ausgeprägte Wangenknochen, eine spitze Nase und ein ebenso spitzes Kinn. Als seine Augen Amy erhaschten, lächelte er breit. "JA!", antwortete er etwas zu laut, weshalb sie kurz zusammenzuckte. "Oh, Entschuldigung. Ich wollte nicht schreien oder deinen Garten zerstören. Aber meine TARDIS hatte einen Defekt, weil ich gegen einen Satelliten geprallt bin und hier notlanden musste. Der ganze Dampf kommt aus einem kaputten Triebwerk, aber das lässt sich schnell wieder reparieren." Er hatte sich während seiner schnellen und genauen Erklärung vollständig aus der Tür herausgezogen und stand nun, leicht wankend, auf beiden Beinen. "Mit etwas Klebeband..."
Der Mann blickte besorgt auf die Telefonzelle, dann sah er sich weiter um. "Schönes Haus. Gefällt mir. Diese menschliche Architektur überrascht mich immer wieder aufs Neue!" Er richtete unbeholfen seine verrutschte Fliege zurecht.
"Danke", gab Amy leicht irritiert zurück. "Was ist eine TARDIS?" Das würde sie jetzt wirklich gerne wissen.
"Oh!" Der zerstreute Fremde patschte leicht mit der Hand auf die Telefonzelle. "Das hier, meine Liebe, ist eine TARDIS. Abkürzung für 'Time And Relative Dimensios In Space'! Sie mag aussehen wie eine gewöhnliche Polizei-Notrufzelle, aber das ist sie gewiss nicht: Ich kann mit ihr durch die Zeit reisen, an jeden Ort und Moment in der Geschichte von allem!"
"Echt jetzt?", fragte Amy beeindruckt. Das klang zu unglaublich, um wahr zu sein!
"Echt jetzt", antwortete der Mann, beugte sich zu ihr runter, bis er auf Augenhöhe mit ihr stand. Lächelnd streckte er die Hand nach ihr aus. "Möchtest du mal sehen, wie sie von innen aussieht?"
Amy überlegte. Ihre Eltern hatten ihr verboten, Fremden zu folgen. Doch obwohl sie diesen Mann nicht kannte, war er doch irgendwie interessant. Und witzig. Und ziemlich verrückt. Und durch die Zeit reisen zu können wäre lustig... Sie hatte einfach das Gefühl, dass sie ihm vertrauen konnte.
"Das möchte ich gerne, aber... Wer sind Sie eigentlich?"
Der Fremde schmunzelte, als würde er diese Frage nur allzu gerne beantworten.
"Ich bin der Doctor."
"Doctor wer?"
"Das sagen viele, aber nur Doctor reicht auch."
Amy nahm seine ausgestreckte Hand und schüttelte sie.
"Ich bin Amelia Pond, aber nennen Sie mich Amy."
Der Doctor lächelte wieder herzlich.
"Amy Pond, ich verspreche dir, dass ich dich nicht enttäuschen werde. Wenn du nach Hause zurück möchtest, brauchst du mir das nur zu sagen- du wirst nirgendwo zu spät kommen."
Na, das war wirklich mal ein Angebot.
"Okay, dann lass uns durch die Zeit reisen!", antwortete Amy mit vor Spannung kribbelnden Fingern.
Aus dem Lächeln des Doctors wurde ein Lachen. "So was hör' ich gern! Auf geht's!"
Er ging zur TARDIS zurück und hob diese mit Mühe hoch, sodass sie wieder gerade stand. "Uff, schwer", schnaufte er danach und stützte seine Arme auf den Knien ab, um Luft zu holen. Amy musste sich ein Lachen verkneifen.
Anschließend stand er auf, öffnete die Tür und sah erwartungsvoll zu ihr hinüber. "Bereit fürs Abenteuer?"
Amy nickte aufgeregt. Sie konnte es kaum abwarten, einzusteigen. "Aber sowas von!"
"Geronimo!", rief der Doctor übermütig, bevor die beiden in die TARDIS hüpften.
Ein Teil von Amy war felsenfest überzeugt davon, dass dieser Mann, wer auch immer er sein mag, ihr Leben für immer verändern würde. Auf welche Art auch immer, sie wusste, dass genau hier und heute, eine nie endende Reise begann.

~

[Kommandozentrale des Raumschiffs der "Stille", Nebula-Galaxie]
Madame Kovarian saß versteift in der Komandozentrale auf ihrem Hauptsitz und kontrollierte gerade die aktuellem Flugdaten, als sie ein auffälliges Geräusch neben sich hörte. Sie drehte sich nur halb um und sah die menschenähnliche, außerirdische Kreatur mit dem furchterregenden riesigen Kopf, zwei tiefen, leeren Augen und den drei langen Fingern, die ein bisschen an die Scheren eines Hummers erinnerten. Zudem trug das Wesen einen schwarzen Maßanzug.
Ein Mönch des Ordens der Stille- die Organisation, die von Kovarian erneut ins Leben gerufen wurde.
Jeder, der bei dem Anblick dieser Wesen auch nur einen Moment wegschaute, würde sie sofort vergessen. Aber da Kovarian eine
speziell von ihr selbst entwickelte Augenklappe trug, konnte sie sich stets an die Mönche erinnern. Den abstoßenden Anblick dieser Wesen hatte sie sich schon lange zur Gewohnheit gemacht.
"Was gibt es? Ich bin beschäftigt", fuhr Kovarian ihn kühl an.
"Madame, der von Ihnen verlangte Befehl konnte nicht ausgeführt werden." Man musste sehr genau hinhören, wenn man die murrende, undeutliche Stimme des Mönches verstehen wollte. Diese Wesen redeten nämlich nicht gerne. "Melody Pond ist immer noch auf der Flucht."
Bei der Erwähnung dieses Namens begann Wut in ihrem Bauch zu Brodeln wie bei einem aktiven Vulkan.
Melody Pond.
Dieses kleine Miststück von Frau, dass Kovarian schon kannte, seit es geboren wurde. Der einzige Grund, weshalb sie Melody brauchte, war um den Mann zu vernichten, der für Chaos im ganzen Universum sorgte.
Für diesen Rachefeldzug würde Kovarian über Leichen gehen. Von ihr aus könnten sie Melody Pond durch den gesamten Kosmos jagen.
Der Mönch neben ihr sprach weiter. "Sie wurde zuletzt in der Großen Bibliothek gesichtet."
"Dann findet sie", befahl Kovarian mit Donnerstimme, "Lasst nichts unversucht, um diese verfluchte Ratte zu kriegen! Wir brauchen Sie für unseren Plan."
Das Wesen nickte langsam. "Sehr wohl, Madame."
Er wandte sich zum Gehen, und als er die Komandozentrale verlassen hatte, blickte Kovarian von Link nach Rechts, um sicher zu gehen, dass keiner im Raum war, der sie beobachten könnte. Dann öffnete sie eine geheime Schublade unter ihrem Tisch, indem sie ihren Daumen darauf legte und ihren Fingerabdruck scannen ließ. Sie fasste hinein und zog vorsichtig einen kleinen, niedlichen Stoffbären mit schwarzen Knopfaugen heraus. Der dunkelbraune Bär war schon ziemlich verfilzt und schmutzig, als hätte ihn jemand vor langer Zeit irgendwo zurückgelassen.
Kovarian starrte das Stofftier für einen Moment einfach an. Wie oft hatte sie den kleinen Rotschopf mit diesem lächerlichen Vieh herumspielen sehen- ein verängstigtes, hilfloses Mädchen, dass ständig versucht hatte, vor ihrem Schicksal zu flüchten.
"Arme Melody", sprach sie mit verachtendem Unterton, "Wenn du nicht solche Furcht hättest, dann müsstest du nicht immer davonrennen. Du hast eben gewollt, dass es so kommt. Aber ich schwöre dir..."
Ihre Stimme wurde lauter. "...der Tag, an dem ich dich endlich wiederfinden werde, ist nicht mehr weit entfernt."
Mit eisernem Griff nahm Kovarian den Stoffbären in beide Hände und riss ihm mit einer einzigen, heftigen Bewegung den Kopf ab. Dabei rissen die Nähte und die weiße Füllwatte fiel teilweise heraus.
"Und wenn ich dich erst habe, geht es danach deinem geliebten Doctor an den Kragen!"
Die Kommandantin des Ordens der Stille lachte, schrill, laut und böse, sodass es durch den gesamten Raum schallte. Achtlos warf sie die beiden Teile des Bärens auf den Boden, als seien sie Müll. Konzentriert rutschte Kovarian an das Pult heran und tippte mit der Hand auf die Schaltfläche, die daraufhin weiß aufleuchtete. "Aktiviert den Hyper-Raum-Zeitsprung und setzt Kurs auf das Sonnensystem!", befahl sie mit deutlicher Stimme.
Es dauerte nicht lange, und die Systeme waren bereit. Das Raumschiff raste mit Lichtgeschwindigkeit so schnell durch die Galaxie, dass man durch die riesigen Fenster der Zentrale die Sterne während des Fluges beobachten konnte, die so aussahen, als würden sie mit dem Rest des unendlich weiten Himmels verschmelzen.
Siegreich grinsend lehnte sich Kovarian zurück.
Rache war das, was sie wollte.
Und die würde sie sich um jeden Preis holen.
🐻

⏳} TIMELESS ADVENTURES - The Chronicles Of The 11th Doctor {⌛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt