5~ Schlank in nur einer Ewigkeit

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Mit sechzehn fing ich an, weniger zu essen. Ich schaute mir nächtelang Videos auf Youtube an, wie man abnimmt. Ich machte wieder Ballett, vor dem Spiegel in meinem Zimmer.
Ich fing an, in kleinen Portionen Nahrung wegzulassen.
Anstatt Schokolade gab es Magerjoghurt. Anstatt Chicken Wings gab es Salatblätter. Mum bemerkte relativ schnell, wie wenig ich aß.
Zunächst beobachtete sie es nur und sagte kein Wort.
Ich nahm es als Bestätigung, dass ich wirklich dick war.

Monatelang hasste ich es, die Anderen zu Burger King oder Pizza Hut gehen zu lassen und nicht mitzugehen.
Ich stellte die Waage in mein Zimmer unter mein Bett und wog mich jeden Tag morgens und abends.

Ich ging am Samstagmorgen joggen. Es war zunächst ätzend, dann jedoch genoss ich die frische Luft und die Bewegung. Ich tat alles, um abzunehmen. Für Eric. Dafür, dass er seinen ersten Kuss an mich verlieren wollte. Monatelang, bis kurz vor meinen siebzehnten Geburtstag verlor ich ganz schön viele Kilos.

Es fiel sogar den Mädchen aus meiner Klasse auf, sie sagten, ich sehe super aus. Ich begann, süchtig danach zu werden, Anerkennung zu bekommen.

Ich wollte dazugehören. Vor allem wollte ich Eric. Und wie.
Ich war so verliebt, dass es wehtat.
Mein einziges Ziel war es, schlank zu werden. Irgendwann frühstückte ich nicht mehr. Mum bekam es nicht mit, weil sie morgens vor mir zur Arbeit musste.

Es ging total gut. Ich nahm fünf Kilo ab, dann sieben. Dann zehn.

Es fiel auch Eric auf. Ich wusste es, weil er mich ansah, wenn ich so tat, als würde ich es nicht mitbekommen.

Es waren kleine, flüchtige Blicke, aber sie beflügelten mich, machten mich süchtig danach, noch mehr zu bekommen. Ich war kurz davor.

Doch irgendwann fing ich an, gereizt zu werden. Mum bestellte Pizza. Ich wurde sauer, weil ich nicht konnte.
Pizza gehörte nicht mehr zu meinem Ernährungsplan. Sie wurde hellhörig und fing an, mich zu zwingen, vernünftig zu werden.

Ich rannte in mein Zimmer und knallte die Türen. Ich weinte. Ich wurde immer unglücklicher, weil sie mich nicht verstand. Weil sie mich zwingen wollte, ein Stück davon zu essen.

Eines Morgens im Dezember kam Eric dann auf mich zu. Er fragte mich endlich, ich konnte es nicht glauben, ob ich abgenommen hätte.

„Ja“, sagte ich und mein Herz schlug einen Salto. Er aß ein Stück Croissant.
Mein Magen war so leer, dass es wehtat. Ich hatte wieder nichts gefrühstückt.

Aber das war es wert!

Eric schaute mich lange an und sagte, dass ich wirklich super aussehen würde. Ich fiel um, doch nicht vor Entzücken, sondern vor niedrigem Blutzucker. Vor seinen Augen.

Nach zwei Wochen im Krankenhaus musste ich mich meinem Schicksal stellen und, obwohl ich noch lange nicht schlank war, wieder mehr essen.

Ich wechselte die Schule.

Als ich siebzehn war, postete Eric auf Instagram ein Bild mit Merle.

Er küsste sie und hatte den Arm um meine ehemals beste Freundin gelegt.

Ich hätte keine Chance gehabt.

Niemals eine gegen Merle. Sie wusste es wohl auch, sonst hätte sie mir das nicht angetan. Nein, falsch. Es war ihr egal. Weil sie bekommen hatte, was sie wollte. Mädchen wie Lucia oder Merle bekamen immer, was sie wollten.

Die Tränen versiegen erst spät in der Nacht und ich musste feststellen, dass das Leben beschissen ist, wenn man dick ist. Ich konnte nicht sein wie alle anderen. Ich war ein Walross und würde es immer bleiben...

Lilac #freeyourbody ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt