„Willst du ihn nicht einmal kennenlernen? Wenigstens telefonieren?“, flüstert Jule, als wir gemeinsam im Hörsaal sitzen und die Füße gelangweilt in den Gang baumeln lassen. Der Tag geht nur quälend langsam rum und ich habe einen riesigen Hunger.
In der Mittagspause traf sich meine Projekt Gruppe, sodass ich nicht mehr als eine Banane gegessen habe.
Und ja, auch 87 Kilo brauchen Nahrung. Irgendwo schräg vor mir kann ich Henry ausmachen, der gespannt dem Vortrag lauscht.
Wow. Wie macht er das?
Ich kann dem nichts abgewinnen, was auf der einen Seite in mein Ohr fließt und auf der anderen Seite wieder raus.„Auf keinen Fall! Dann weiß er ja, dass ich ihn anlüge.“
Jule kaut auf der Kappe ihres Stiftes herum und eine Weile lang herrscht Stille, ehe sie mich wieder mit dem 1A Thema Tinder nervt.
„Und telefonieren? Mann, Lilac, er hat dir ein GEDICHT geschrieben! Und einen Song geschickt! Du lebst die Liebesgeschichte schlecht hin!“
Neugierig dreht sich die Studentin vor uns zu uns um und ich sinke in meinem Stuhl zusammen. Jule senkt die Stimme.
„Willst du nichts von ihm?“
„Jule, es ist eine Studie. Mehr nicht. Du weißt genau, wie er reagieren wird, wenn er weiß, wer ich bin.“
„So tief bist du gesunken? So leicht gibst du auf? Was ist denn dabei, wenn du deine ganze Meinung etwas überdenkst?“
„Und dann? Sollen wir etwa eine Telefonbeziehung führen?“
Jule kichert und holt ihren Collegeblock aus dem Rucksack, der voller Mangapins ist, um sich den Aufschrieb am Beamer zu notieren.
„Kann man sich überhaupt übers Telefon verlieben?“
Jule runzelt die Stirn. „Wenn er sich nicht längst in dich verliebt hat. Du hast nichts zu verlieren, Lilac!“
So langsam verfliegen auch meine Zweifel und ich beginne, darüber nachzudenken, wie seine Stimme klingt. Wie er lacht. Wie er Worte formuliert, ohne sie zu schreiben.
Und dann? Was kommt nach dem Reden? Will er sich nicht irgendwann mit mir treffen? Will nicht ich irgendwann wissen, wer er ist?
Ich kann mich nicht ewig hinter meinem Bildschirm verstecken.
Seufzend versuche ich, nicht an Spaghetti, Salat oder Pizza zu denken, um meinen hungrigen Magen zu beruhigen, und konzentriere mich auf den Vortrag. Doch der Gedanke an Jules Idee geht mir nicht aus dem Kopf. Was, wenn ich es schaffe, bis zum ersten Treffen abzunehmen?
Wenn ich jeden Freitag jogge, kriege ich bestimmt noch mehr als nur drei Kilo runter. Und ein paar Monate werden reichen. Das klingt doch nach einem Plan!
Als Jule und ich unsere Sachen zusammenpacken und den Hörsaal verlassen wollen, um unseren Abend in der Pizzeria am Marktplatz ausklingen zu lassen, bleibt Professorin Ribbeck vor mir stehen.
„Lilac? Kommen Sie mal bitte?“
Zögernd schicke ich Jule schon einmal nach draußen, die sich prompt bei Henry einhakt, der an uns vorbeiläuft und sich zu mir umdreht.
Seine Augen streifen kurz meine und ich muss an meinen Ausrutscher heute Morgen denken. Schnell senke ich den Blick, ehe er noch auf die Idee kommt, dass ich irgendwie darüber nachdenke. Wahrscheinlich jedoch steht es mir auf die Stirn tätowiert.„Also“, holt Frau Ribbeck mich mental zurück in den leeren Hörsaal und setzt sich auf das Dozentenpult.
„Wie sieht Ihr Projekt aus? Die Studie. Abgabeschluss ist bald und ich würde gerne wissen, wie Sie vorankommen.“
Ausgerechnet jetzt, wo ich es selbst nicht weiß? Wie peinlich! Meine Hände beginnen zu schwitzen und ich reibe sie heimlich an meiner Jeans ab.
„Naja, gut. Ich... bin mitten in den Beobachtungen“, suche ich mir eine passable Antwort aus, bei der ich wenigstens nicht lügen muss, da ich gerne immer ehrlich bin.
Frau Ribbeck lächelt erleichtert und nimmt mir offenbar alles ab. „Das ist gut zu hören. Wissen Sie, Ihre Idee ist wirklich unglaublich gut und zeigt große Stärke. Ich würde Ihnen gerne anbieten, Ihre Arbeit, insofern sie so überzeugend ist wie Ihre bisherigen Arbeiten, als Empfehlung für naja... Ein Auslandssemester in Stockholm einzusenden. Sie hätten großartige Chancen und ich sehe in Ihnen großes Potenzial.“
Ich spüre den dringenden Impuls, mich sofort an der Tischplatte abzustützen und nach Luft zu schnappen. Was? Ich spüre, wie die Worte mich nur schwer erreichen.
Stockholm? Auslandssemester?
Niemals hätte ich mit so einer Chance gerechnet! Die noch sehr junge Professorin sieht mich durch ihre goldene nerdige Brille abwartend an.„Ähm... Ja! Gerne! Bitte! Unbedingt... Ich... Meinen Sie das ernst?“
„Natürlich!“, lächelt sie mich fröhlich und erleichtert an, „das einzige, was Sie tun müssen, ist Ihre Arbeit zufriedenstellend abzugeben. Das dürfte doch kein Problem sein!“
Bis jetzt nicht, nein. Solange ich es endlich hinkriege, überhaupt einen ersten Satz zu formulieren. Wow, Lilac. Echt der Wahnsinn, dieser Tatendrang. Aber Stockholm klingt so aufregend, dass ich fest entschlossen bin, aus dieser Chance alles zu machen. Auch wenn das bedeutet, mich Mr. Darcy zu stellen.
Denn um ein Stipendium zu bekommen, muss meine Arbeit gut werden. Und dazu muss ich ein Ergebnis haben. Besser gesagt, beweisen, ob Männer oberflächlich sind. Und dazu... Mir wird fast schlecht bei dem Gedanken, als ich den Raum verlasse, muss ich Mr. Darcy die Wahrheit sagen...
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Lilac #freeyourbody ✔️
Romance« Du kannst 130 Kilo wiegen, Haare auf den Zähnen haben oder reden wie ein Lexikon auf zwei Beinen und ich würde trotzdem hier mit dir in der Herbstsonne sitzen und nichts lieber wollen als das. » ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ ✨ Die 19-Jährige Lilac ist fr...