19~ Herz über Kopf

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Zuhause trinke ich einen Schluck von dem heißen Kamillentee, was gut tut. Ich dümpele auf dem Sofa herum, lese und denke über den vergangenen Tag nach. Ich bin jemand, der viel nachdenkt, den Tag tausend mal Revue passieren lässt und alles hin und herdreht, in der Frage, was wäre wenn. Es ist wie ein Irrgarten ohne Ausgang. Irgendwann halte ich die Gedanken, die in meinem Kopf eine Art Tanzball veranstalten, nicht mehr aus und hole meinen Laptop hervor.

Ich gebe den Namen der Uni in Stockholm ein und staune nicht schlecht. Allein die Vorstellung - Die Uni ist ein absoluter Traum.
Auf der Unterlippe herumkauend tippe ich die Telefonnummer meiner Mutter in mein Handy ein, um sie um Rat zu fragen... Auch wenn das heißt, dass ich ihr alles erzählen werde.

Aber in einer Sache sind meine Mutter und ich uns ähnlich. Wir sind ein stilles Wasser- Wenn wir wollen.

Was bedeutet, dass es niemand von ihr erfahren wird, wenn ich sie darum bitte. Nicht einmal Taylor.

„Oh, Lilac! Wie geht's dir?", nimmt Mum fröhlich ab.

„Hey, Mum. Kann ich mit dir reden?"

„Klar", sagt sie und ich lasse mich in das Sofakissen sinken. „Also. Versprichst du mir, dass du mit niemandem darüber redest?"

„Natürlich!"

Ich hole tief Luft und beginne, zu erzählen. Angefangen mit dem Blind Date mit Maxim. Über die Schnapsidee für mein Projekt. Die Anmeldung auf Tinder. Mr. Darcy und die vielen Nachrichten. Das Gedicht. Die Begegnung mit Henry.
Jules Idee mit dem Treffen.
Frau Ribbecks Angebot.
Als ich schweren Atems ende, herrscht erst einmal Schweigen am Ende der Leitung. „Mum?", hake ich nach. Sie ist doch nicht etwa eingeschlafen?

Doch dann höre ich... Das Weinen? Völlig überrumpelt stelle ich fest, dass meine Mutter tatsächlich weint.
„Mum? Alles klar?"

„Lilac... Ist es dir nicht klar? Du erkennst endlich, wie besonders du bist! Du... All die schweren Zeiten zahlen sich irgendwie aus. Endlich bemerkst du, wie toll du bist!"

„Danke, Mum. Vielleicht finde ich mich nicht mehr ganz so schlimm wie am Anfang."

„Und da liegt die Lösung! Wer sagt denn, dass deine Hausarbeit so sein muss, wie man erwartet? Wenn du doch selbst feststellst, dass du Gefühle für Mr. Darcy hast, dann rede mit ihm. Sag ihm die Wahrheit. Vielleicht am Telefon? Aber riskiere dein Glück."

„Und was, wenn ich nicht den Mut dazu habe?"

„Wenn du den Mut dazu hattest, dieses Thema als Projekt auszuwählen, dann hast du auch den Mut, dich ihm zu stellen."

„Und die Uni in Schweden?"

„Du musst in der Arbeit doch nicht beweisen, dass deine These stimmt. Ich meine... Wenn sie falsch ist? Wenn du in Mr. Darcy die Liebe findest? Wenn er nicht oberflächlich ist?
Dann schreibe es genau so. Schreibe, wie du zu dir gefunden hast.
Dadurch. Lilac, ich höre deiner Stimme doch an, wie du dich verändert hast. Du bist selbstbewusster geworden. Wenn das nicht die perfekte Arbeit für ein Stipendium ist, weiß ich auch nicht weiter."

Erst daran, wie auch meine Augen feucht werden, als sie geendet hat, merke ich, wie Recht sie hat.

„Danke, Mum. Danke auch für all die letzten Jahre. Danke, dass du an mich glaubst."

„Wie könnte ich das nicht? Du warst schon immer wie eine Lilie. Du blühst von innen heraus. Und das... "

„Ist mehr wert als jede rote Rose", beende ich ihren Spruch und lächele breit. Zum ersten Mal bin ich mir dem Sinn dahinter bewusst.

Als sie auflegt, um mit Taylor Pizza essen zu gehen, regnet es draußen in Strömen. Ich stelle mich auf den Balkon und fange die Tropfen mit der Zunge auf. Dann schaue ich über die Straßen und sehe, wie die Sonne untergeht. Unter mir hupen Autos und suchen Leute Schutz vor der Nässe, während ich fast schon im Regen tanze. Endlich fühle ich mich mutig genug, um Mr. Darcy eventuell zu sagen, dass ich ihn treffen will.
Ohne davor extra abzunehmen.
Ohne extra ein Sportprogramm aufzustellen. Er soll mich so sehen, wie ich bin. Ich schaffe es sogar, mich am Abend mit einem Teller Salat Caprese und einem Glas Punsch an den Tisch zu setzen und mit dem Projekt anzufangen. Erst spät gehe ich ins Bett und nehme mir vor, ab jetzt nur noch auf mein Herz zu hören und mutig zu sein.

Lilac #freeyourbody ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt