29~ Dirty Dancing

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Jule quietscht so laut, dass sich fast der gesamte Campus zu uns umdreht.
Ich komme fast nicht mehr aus dem Strahlen heraus. Es ist Montagmorgen und Jule und ich haben eine Freistunde, die wir draußen verbringen. Da es bald auf den November zugeht, wollen wir jeden Sonnenstrahl einfangen, den wir bekommen können. In dem Moment erzähle ich ihr von meinem Wochenende mit Henry, insbesondere dem Kuss. Sie umarmt mich heftig, so, dass ich mich fangen muss, um nicht umzufallen. Sie mag zierlich und klein sein, doch hat eine enorme Wucht. „Das ist so schön, Lilac. Du verdienst es wirklich! Ich kann es echt kaum fassen..."
Wir setzen uns auf eine der alten Tischtennisplatten, die total verrostet sind. „Das verrückteste daran ist, dass ich wirklich glaube, dass er der Richtige sein könnte. Ich weiß nicht, aber ich habe das Gefühl, dass ich ihn viel besser kenne als ich dachte. Er weiß sogar, dass ich Zimtkaffee liebe." Jule hält inne und reißt die Augen auf. Verwirrt frage ich sie, was los ist, als sie aufspringt. "Warte mal. Er hat schon ziemlich viele Ähnlichkeiten mit Mr. Darcy, alias Linus." 

"Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er Mr. Darcy sein könnte?" Die Frage hört sich aus meinem Mund total albern und unrealistisch an. Doch Jule sieht immer noch so aus, als würde sie das wirklich glauben. "Komm schon, Lilac. Er bringt die Zimtkaffee mit. Mr. Darcy schenkt dir ebenfalls welchen. Zweitens, er hört Walking on the moon. Das hat dir Mr. Darcy auch geschickt. Er und Mr. Darcy gehen beide hier auf die Uni. Mr. Darcy hat doch mit dir geschrieben, als würde er dich längst kennen. Das tut er. Als Henry." 

Perplex schüttele ich den Kopf. Das würde Henry nicht tun. Ich meine, wie könnte er mich so hinters Licht führen? Jule muss einfach totalen Schwachsinn reden! Ich ziehe mein Handy aus der Jeanstasche und entsperre es, logge mich in Tinder ein und suche den Chatverlauf. Doch da, wo der Chat war, ist die Benachrichtigung: "Noch keine Chats vorhanden." Auch seinen Account finde ich nicht mehr. Da sind andere Mr. Darcys, doch nicht er. Mein Herz klopft immer schneller, als ich wie verrückt nach dem Account suche. Jule linst mir über die Schulter und zuckt mit den Achseln. "Siehst du? Er hat sich ausgeloggt. Sobald ihr zusammen seid." 

"Wir sind nicht zusammen!", sage ich entrüstet, "Er ist nicht Mr. Darcy. das wäre doch verrückt. Er hätte es mir doch gesagt, oder?" 

"Natürlich sagt er es dir nicht!", sagt Jule und starrt auf den Campus, der sich allmählich füllt. Wir müssen zur nächsten Vorlesung bei Herrn Brändle in Literaturgeschichte. "Wieso sollte er es mir nicht sagen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!"

"Natürlich", seufzt Jule, "Er ist genauso unsicher wie du und will dich nicht verletzen."

Henry und ich schwänzen Kunstgeschichte. Stattdessen gehen wir gemeinsam mit seinen Freunden in die Innenstadt und setzen uns neben den Eisbach. Erst habe ich Angst, dass mich seine Freunde nicht akzeptieren werden, doch als wir dort ankommen, sehe ich nur neugierige und lächelnde Gesichter. Ein Mädchen erhebt sich und umarmt mich spontan. "Hey, ich bin Sophia. Du bist Lilac, oder?" Verdutzt nicke ich, zur Erklärung grinst die Blonde Henry an. "Er hat unsere Ohren zum Bluten gebracht. Er redet nur von dir!" 

Die Wärme kriecht meine Wangen hinauf und auch Henry sieht zu Boden. Die drei Jungs, Julian, Simon und Gale, schlagen mit mir ein und das stillere Mädchen etwas weiter abseits umarmt mich ebenfalls. "Hey, ich bin Lisa." Tatsächlich sind alle super nett und wir unterhalten uns, die Jungs studieren Kunst, Lisa Theater und Sophia Germanistik. Den halben Vormittag verbringen wir am Eisbach und genießen das Wetter, bis uns der Hintern abfriert. Henry wirft mir einen Seitenblick zu und schmunzelt, ehe er seine Jacke auszieht und mir um die Schultern legt. Sophia und Lisa kichern und die Jungs rollen mit den Augen. 

"Sind wir hier in Dirty Dancing oder was?" 

Henry legt den Arm um mich und streckt seinen Freunden die Zunge heraus. In dem Moment merke ich, dass ich ihn gar nicht mehr fragen muss, ob wir zusammen sind. Wir sind es. Er und ich sind ein Paar. Und diese Tatsache macht mich verdammt glücklich... Ich spreche ihn nicht auf das Gespräch mit Jule an, weil ich immer noch versuche, zu glauben, dass sie Unrecht hat. 

Ich bin so glücklich mit Henry, dass ich keine Probleme oder Konflikte mehr haben will, daher gehe ich dem auch aus dem Weg. Den restlichen Tag liegt meine Hand in der von Henry und ich fühle mich weder unwohl, noch unbehaglich. Es fühlt sich so an, als würden unsere Hände genau ineinander passen. 

"Salzig oder süß?", ruft Henry aus der Küche, als ich auf seinem Sofa herumdümpele. Ich rufe: "Süß!" und krame weiter in seinen DVDs. Als er hereinkommt, habe ich alle Filme vor mir ausgebreitet, die ich sehen will. Gequält geht Henry neben mir auf dem Teppich in die Hocke und hebt eine Augenbraue. "Are you serious? Dirty Dancing? La Boum? Titanic? Nein, Lilac! Das sind die Filme meiner Schwester! Bitte nicht!" 

Grinsend suche ich Dirty Dancing heraus. "Cool! Dann den hier!" Henry protestiert und wirft ein Popcorn nach mir, worauf ich mich nur räche. Das Popcorn fliegt nur so durchs Zimmer, ehe er sich ergibt. "Ist ja gut! Mach es schon an!" Grinsend schiebe ich die DVD in den Player und setze mich zaghaft auf die Sofakante. Ich habe Angst, mich zu sehr auszubreiten oder so etwas, was total albern ist. Als der Vorspann läuft, wird es unbequem. "Wieso legst du dich nicht einfach neben mich?", fragt Henry und mustert mich wie einer komplizierte Matheaufgabe. Vorsichtig schiebe ich mich aufs Sofa und bilde mir fast ein, dass ich das Kissen dabei herunterdrücke. Henry zieht mich sanft zu sich heran und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. 

"Wie wäre es damit? das machen Freund und Freundin eigentlich so", nuschelt er in mein Haar. 

Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, als er mich immer wieder küsst, bis ich von dem Film fast nichts mehr mitkriege... 

Lilac #freeyourbody ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt