~29~

64 7 0
                                    

In der darauf folgenden Nacht schlief ich erst um etwa fünf Uhr ein. Ich wusste, dass es wichtig war, den anderen von Ella zu erzählen, aber zu viele Gedanken rasten durch meinen Kopf, von denen ich keinen klar fassen konnte, sodass es für mich unmöglich war, zu schlafen. Um acht Uhr wachte ich nach drei Stunden Halbschlaf schon wieder auf. Ich war immer noch müde, an mehr Ruhe war jedoch nicht zu denken. Seufzend stand ich auf und zog mich an. Ich frühstückte um neun mit meiner ganzen Familie und setzte mich dann an meinen Schreibtisch und versuchte, mich auf meine Hausaufgaben zu konzentrieren. 15 Minuten später gab ich auf und warf meinen Füller auf die fast leere Seite meines Französischhefts. Das einzige, was dort stand, war ,,4.5." und ,,P.57/6". Jetzt kam jedoch noch ein großer Tintenfleck dazu.
,,Verdammt.", fluchte ich und zog den Füllerdeckel hinter meinem Federmäppchen hervor. Ich machte meinen Füller wieder zu, ließ den Tintenfleck jedoch, wo er war.
Ich stand auf und ging aus meinem Zimmer und die Treppe herunter. Mum übte im Klavierzimmer irgendetwas. Ich öffnete vorsichtig die Tür und wartete, bis sie geendet hatte.
,,Was gibt's, Diana Spätzchen?", fragte sie und drehte sich zu mir um.
,,Kann ich zu Ella ins Krankenhaus fahren?", fragte ich sie. Ich hatte ihr gestern erzählt, dass Ella genauso eingeschlafen war wie Paula. Sie verstand immerhin, dass es etwas ernstes war und dass ich mir deshalb Sorgen machte.
,,Natürlich.", sagte sie deshalb auch sofort. ,,Soll ich dich fahren oder fährst du mit dem Bus? Sie ist in dem in der Hiddlestone Straße, oder?"
,,Wo sonst? Ich kann mit dem Bus fahren. Um fünf nach Zehn fährt einer, oder?"
,,Ja. Brauchst du Geld für die Karte? Nehm dir einfach was, okay?"
,,Gut, Danke.", sagte ich und verließ den Raum. Mum begann sofort wieder zu spielen, diesmal erkannte ich das Stück sogar. Es war irgendwas von Bach, was genau konnte ich jedoch nicht sagen.
Ich nahm mir fünf Euro für die Buskarte und zog dann Schuhe an. Ich warf einen Blick nach draußen und stellte fest, dass die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel schien. Ich würde also keine Jacke brauchen.

Um halb elf kam ich im Krankenhaus an. Hinter dem Empfang saß eine freundliche ältere Dame, die mir erklärte, dass Ella Klee im zweiten Stock in Zimmer 209 lag. Ich entschied, die Treppen und nicht den Aufzug zu nehmen und als vor dem Raum 209 stand klopfte ich an, bevor mir klar wurde, dass ich keine Antwort bekommen würde. Dann öffnete ich die Tür vorsichtig. Ella lag in einem der beiden Betten. Im anderen lag zu meiner Überraschung Frau Bohne. Wir hatten mit unserer Vermutung also Recht gehabt. Allerdings ignorierte ich diese Tatsache und nahm mir einen Stuhl und setzte mich zu Ella. Ich saß einfach nur da und tat nichts. Vor fünf Wochen war ich auch hier in der Gegend gewesen. Ich war mit Ella an dem Krankenhaus vorbei zur Pestsäule gefahren. Ella war davor aufgefallen, dass Josefa schlief. Wieso war sie überhaupt eingeschlafen? Wir waren bisher davon ausgegangen, dass Arthur schlafende Leute brauchte, um sie zum längeren Schlafen zu bringen. Doch warum war Josefa überhaupt auf dem Trampolin eingeschlafen? Das ergab doch keinen Sinn! Plötzlich kam mir ein weiterer Gedanke. Hatte Frau Blume in unserem Gespräch am Donnerstag nicht erwähnt, dass die Schläfer nach fünf Wochen wieder aufwachen würden? Demnach wäre Josefa jetzt so weit. Ich dachte kurz nach. Ella und ich waren damals aufgewacht und hatten gefrühstückt. Dann hatte Ella ihr Zeug zusammengepackt. Um Viertel nach Zehn sind wir dann zu Herrn Plött gegangen. Nachdem wir eine Viertelstunde mit ihm gesprochen hatten, hatte Ella gemerkt, dass Josefa auf dem Trampolin schlief. Angenommen, unsere bisherige Theorie würde stimmen, und sie wäre wirklich auf natürliche Weise eingeschlafen, müsste Arthur sie dann ungefähr um zwanzig vor elf in den langen Schlaf versetzt haben. Ich schaute auf die Wanduhr und sprang auf. Das war jetzt vor exakt fünf Wochen! Wenn Frau Blume die Wahrheit gesagt hatte, müsste Josefa genau in diesem Moment irgendwo in diesem Krankenhaus aufwachen! Genau jetzt wunderten sich vielleicht keine zehn Meter von mir ein paar Ärzte über äußerst ungewöhnliche Ereignisse. Ich musste zu Josefa! Jetzt, gleich.
,,Tschüss, Ella.", murmelte ich und lief wieder auf den Gang zurück.
Ich lief die Treppe herunter zu der netten Empfangsdame.
,,Ähm, ich würde jetzt gerne noch Josefa Plött besuchen.", sagte ich.
,,Auch eine Freundin von dir?", fragte sie lächelnd während sie in ihrem Computer nach Josefa suchte. Ich nickte.
,,Sie liegt im Raum 124. Das ist im ersten Stock. Gerade ist ihr Vater bei ihr. Klopfe also lieber an, nicht, dass du ihn störst."
,,Mach ich.", versprach ich. ,,Danke für die Auskunft."
Dann ging ich in möglichst normaler Geschwindigkeit zur Treppe und in den ersten Stock, obwohl ich am liebsten gesprintet wäre.
Bei Raum 124 hielt ich an und klopfte.
,,Herein.", erkannte ich die Stimme von Herrn Plött. Ich trat ein und fand Josefa noch schlafen vor. Aber sie würde gleich aufwachen. Wahrscheinlich. Ich wollte nicht daran denken was wäre, wenn nicht. Das würde nämlich bedeuten, dass Frau Blume gelogen hätte und die Schläfer möglicherweise nie aufwachen würden.
,,Oh, Diana, Hallo.", sagte Herr Plött überrascht. ,,Was machst du denn hier?"
,,Ella, meine beste Freundin, ist auch eingeschlafen.", erwiederte ich. ,,Und wo ich schon hier war dachte ich, ich könnte Josefa auch gleich mal besuchen. Ich kann aber auch gehen, wenn ich Sie störe."
,,Nein, nein, du störst nicht."
Herr Plött schaute zurück zu Josefa.
Ich trat näher. Ich hatte Josefa seit fünf Wochen nicht mehr gesehen und mir wurde erst jetzt bewusst, wie sehr ich sie manchmal vermisste. Ihre fröhliche Art, ihre Grundschulsorglosigkeit, ihre ganzen bescheuerten Trampolinspiele. Das alles hatte mir in letzter Zeit unheimlich gefehlt. Ich nahm mir fest vor, netter zu ihr zu sein, falls sie je wieder aufwachte. In diesem Moment regte sich plötzlich etwas in ihrem Bett. Herr Plött hatte es auch bemerkt. Wir starrten beide zu Josefa. Und dann schlug sie ihre Augen auf. Sie schaute erst an die Decke des Raumes.
,,Josefa!", rief Herr Plött. Ihr Blick wanderte zu ihm und sie lächelte ihn an. Dann sah sie mich und ihr Lächeln erstarrte. Herr Plött bekam davon jedoch nichts mit sonder schaute sich freudestrahlend um.
,,Diana, bleibst du kurz hier? Ich hole einen Arzt!"
Er ging aus dem Zimmer und schien dabei fast zu tanzen.
Als die Tür hinter ihm zufiel, sah Josefa mich mit großen Augen an.
,,Diana.", sagte sie. ,,Du bist..." Sie brach ab.
,,Was bin ich?", fragte ich, Josefa schwieg jedoch.
Gerade als ich nachhaken wollte öffnete sich die Tür und Herr Plött erschien wieder, gefolgt von einem Arzt im Weißen Kittel.
,,Das gibt es nicht... Das ist doch... aber wie...", murmelte er vor sich hin. Dann wandte er sich an mich und Herrn Plött. ,,Bitte gehen Sie kurz raus. Ich muss sie untersuchen und dann entscheiden, wann sie nach Hause kann."
Herr Plött nickte und verließ den Raum. Ich folgte ihm nach draußen.
,,Ein Wunder...", murmelte er glückselig, während er sich auf einen der Stühle auf den Gang saß. Eher ein Werk von Arthur, dachte ich und setzte mich neben ihn.
,,Also Diana, je nach dem wie das jetzt ist, ob Josefa noch länger bleiben muss und so. Soll ich dich vielleicht mit nach Hause nehmen, oder bist du eh mit deinen Eltern hier?", sagte er dann.
,,Oh, das wäre nett, Danke.", antworte ich. Dann warteten wir auf Neuigkeiten von Josefa.

,,Ähm, Herr Plött?", begann ich, als wir im Auto saßen. Die Ärzte hatten entschieden, dass es besser wäre, wenn Josefa noch ein bisschen im Krankenhaus blieb. Für Nachuntersuchungen und den Fall eines Rückfalls. Herr Plött hielt es dann für das beste, zurück zu ihrem Haus zu fahren und dort ein paar Sachen für seine Tochter einzupacken. Ich fuhr jetzt mit ihm zusammen zurück und würde dann nach Hause gehen.
,,Ja?", erwiederte Herr Plött jetzt.
,,Ich hätte eine Frage.", sagte ich. ,,Und zwar, warum ist Josefa damals eigentlich eingeschlafen? Hatte sie in der Nach davor zu wenig Schlaf?"
Herr Plött hielt an einer roten Ampel an.
,,Naja, Ja, in gewisser Weise.", sagte er. ,,Sie kam um zehn Uhr auf die Idee, noch einen Film anzuschauen. Ich konnte ihr diesen Wunsch einfach nicht abschlagen. Sie ist trotzdem am Morgen um halb sieben wach geworden. Vielleicht ist sie dann einfach um halb elf aus Übermüdung eingeschlafen. Das klärt aber noch nicht, warum... Wieso fragst du überhaupt?"
Aha. So war das also.
,,Oh, okay. Ähm, einfach nur so...", sagte ich leichthin. Dann schaute ich aus dem Fenster. Mittlerweile war die Ampel wieder grün geworden und wir waren schon fast zu Hause. Ich warf einen Blick in den Himmel. Es waren mehr Wolken aufgezogen, doch die Sonne kämpfte sie immer wieder hinter ihnen hervor. Gerade, als sie von einer großen Froschförmigen Wolke verschluckt wurde, erreichten wir die Einfahrt von Herrn Plött. Er hielt an und wir stiegen beide aus.
,,Danke fürs mitnehmen.", sagte ich und lächelte.
,,Kein Problem. Also man sieht sich, bis dann.", antwortete und ging zu seiner Haustür. Ich machte mich auf den Weg zu unserem Haus und betrat es dann. Ich würde sofort von Mum empfangen.
,,Ah, Diana! Kommst du? Wir essen gleich."

,,Das gibt es nicht! Sie ist wirklich... Dann hatte deine Lehrerin Recht! Das heißt dann wohl, bald wacht Grayson auf. Wann ist er eingeschlafen? Am Dienstag, genau. Dann müsste er doch theoretisch in drei Tagen aufwachen, oder?"
Liv schaute in die Rund. Henry nickte und Mia starrte nachdenklich an die Wand des Zimmers, in das uns Henry geträumt hatte. Immerhin konnte ich diese Nacht schlafen und ich hatte schon längst nicht mehr solche Schwierigkeiten mit dem finden der anderen Türen, wie zu Beginn.
Wir waren diesmal in Henrys Traum und wieder in einem gemütlichen Wohnzimmer mit einer Couch und zwei Sesseln.
,,Was ich mich frage...", sagte dann Mia. ,,Ist irgendwas an Josefa komisch? Verhält sie sich anders? Oder ist alles normal? Wir müssen wissen, was Arthur Ziel ist."
Ich zögerte. Ich hatte den Zwischenfall verdrängt, aber vielleicht war er wichtig.
,,A...Als wir kurz alleine waren.", sagte ich leicht stotternd. ,,Naja, sie... Sie hat mich angeschaut und sowas gesagt wie ,,Diana du bist" oder so. Das... Naja, das war ein bisschen... merkwürdig..."
,,Hmm, Ja.", sagte Henry. ,,Wir sollten aber auch überlegen, wie wir gegen Arthur vorgehen. Wie müssen ihn dazu bringen, die Schläfer wieder aufzuwecken. Aber wie?"
,,Kann man ihn vielleicht irgendwie erpressen?", fragte ich. ,,Was ist denn so mit seinem Privatleben? Wenn er nicht gerade Leute einschläferert, meine ich."
,,Er ist noch immer mit Jasper befreundet.", gab Liv zurück. ,,Außerdem hat er seit einiger Zeit eine Freundin. Sie heißt Minia oder so."
,,Aber er betrügt sie.", warf Mia ein. ,,Mit Jasmin, aus deiner Klasse, Liv."
,,Oh, ehrlich? Das wusste ich nicht. Arme Minia. Er hat sie total unter Kontrolle und sie lässt sich alles gefallen, weil sie denkt, das sei nur ein Liebesbeweis. Sie würde ausflippen, wenn sie das wüsste. Aber woher weißt du das eigentlich?"
Mia grinste frech.
,,Ich habe meine Quellen. Vielleicht sollte ich Secrecy neu einberufen und selbst führen. Mir würde niemand auf die Schliche kommen. Vorallem, weil Privatdetektivin Mia Silber ja selbst aus dem Ruder wäre."
Ich schaute sie nachdenklich an.
,,Wäre das eine Option? Arthur damit zu drohen, meine ich. Ich kenne Minia nicht, aber vielleicht würde sie dann alle gegen Arthur aufhetzten."
,,Je nach dem, wie groß seine Pläne sind, wird ihm das egal sein.", entgegnete Liv. ,,Aber wir können daran ansetzten."

Jaaa, die Geschichte neigt sich dem Ende zuuuuu! Noch drei Kapitel.

Silber- Das vierte Buch der TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt