Am Montagmorgen kam ich wie immer schwer aus dem Bett. Ich seufzte, während ich mich anzog. Immerhin hatten wir jetzt eine Strategie, wie wir gegen Arthur vorgehen würden. Vielleicht konnten wir ihn so wirklich besiegen. Vorerst. Ich war bei all dem am sichersten. Noch, zumindest. Arthur besaß keinen persönlichen Gegenstand von mir. Er hatte auch mein Blut nicht getrunken. Allerdings konnte sich das heute ändern, denn sollte Frau Blume die Bücher nicht gelesen haben, würde sie heute wieder leicht an einen persönlichen Gegenstand von mir kommen. Es reichte aus, die Hefte einzusammeln oder sich einen Stift zu leihen und ihn zu vergessen.
Josefa war unterdessen noch immer im Krankenhaus, sollte heute jedoch entlassen werden. Ich hatte sie und Ella gestern erneut besucht und Josefa hatte mich die ganze Zeit angestarrt und kein Wort von sich gegeben. Das war höchst ungewöhnlich, vielleicht aber auch nur noch eine Nachwirkung des Schlafens. Wobei ich daran selbst nicht ganz glaubte.
Als ich meine Hefte und Bücher für den Tag einpackte, stockte ich bei meinem orangenen Geschichtsheft. Dann ließ ich es auf dem Schreibtisch liegen. Es war klüger, die Chancen für Frau Blume auf einen persönlichen Gegenstand zu verringern. Und es war wohl kaum schlimm, wenn ich einmal mein Geschichtsheft vergaß.
Ich nahm meinen Schulranzen und ging runter zum Frühstück.Die ersten drei Stunden verliefen ziemlich gewöhnlich. In Englisch fingen wir mit einer neuen Lektion im Buch an (in and around Seatle) und machten ein Quiz dazu. Frau Bauzer war krank, sodass wir statt Musik eine Vertretungsstunde hatten und da einen Film über Raubfische ansahen. In Französisch bekamen wir den Vokabeltest, den wir letzte Woche geschrieben hatten zurück. Ich hatte eine drei und war damit relativ zufrieden.
Erst in der Pause kam ich dazu, mich mit Lucy über die Geschehnisse des Wochenendes zu unterhalten.
,,Mittlerweile haben wir einen Plan. Ob er funktioniert, das ist eine andere Frage."
,,Hoffentlich.", sagte Lucy, und fuhr mit dem Zeigefinger über die Buchrücken der Bücherregal, vor denen wir standen. ,,Ella muss wieder aufwachen. Die anderen natürlich auch. Und... du denkst wirklich, dass Josefas merkwürdiges Verhalten mit dem Schlaf zusammenhängt? Ich habe da nämlich eine Theorie. Vielleicht... hm, naja vielleicht besteht Arthurs Plan darin, die Leute zum Umdenken zu bringen. Vielleicht will er sie sozusagen naja als Puppen benutzen. Als Marionetten. Er hat Josefa eingetrichtert, dass du böse bist. Sie ist jetzt natürlich verstört. Sie ist ja erst zehn, das macht ihr bestimmt alles Probleme mit der Psyche und so. Also Arthur würde demnach irgendwie in die Träume von nicht Träumern kommen, ohne eines Gegenstandes. Wie das funktioniert ist eine andere Sache. Also, jedenfalls würde er die Leute einschlafen lassen und dann immer wieder besuchen. Die Zahl ist überschaubar, oder? Wir wissen von etwa zehn Leuten, stimmt's? Er sucht sich also Leute aus, die euch, seinen Feinden, Nahe sind. Ella und Grayson. Dann sucht er vielleicht noch Leute in hoher Position aus. Meine Oma war eine Schulfreundin von William Hesse. Er ist so ein Leiter eines großen Verlags. Die beiden haben immernoch Kontakt. Vielleicht versucht er, Herrn Hesse durch meine Oma zum Umdenken zu bringen. Wenn er selbst aber einschlafen würde, wäre es zu auffällig. Der Vater von dieser Leila hat vielleicht auch irgendwo irgendwas zu sagen. Deine Patentante...? Es wäre bestimmt auch nützlich, Marionetten in der Schule zu haben. Dafür wäre Pimpelchen gut. Was er von Frau Bohne will, weiß ich nicht. Vielleicht hängt das mit Frau Blume zusammen. Josefa war vermutlich einfach nur ein Test."
Sie schwieg.
,,Äh, was hälst du davon?"
Ich starrte sie an.
,,Da... Das ist wirklich gut möglich. Diese Idee ist genial. Ehrlich, Lucy. Du..."
Lucy lächelte schüchtern.
,,Ich hatte die Idee, seit du mir von deinem Gespräch mit Frau Blume erzählt hast. Ich glaube, es ist gut, wenn jemand, der nicht direkt involviert ist, auch nachdenkt."In Geschichte ging mir Lucys Theorie nicht aus dem Kopf. Es passte wirklich. Die Frage war nur, wie Arthur das anstellte.
Frau Blume war es egal, dass ich mein Heft vergessen hatte, was ich als gutes Zeichen wertete. Nach der Stunde packte ich meine Sachen möglichst langsam ein, um als letzte den Raum zu verlassen. Als alle anderen draußen waren, um ja nicht zu spät zu Bio zu kommen, ging ich noch kurz vor zu Frau Blume.
,,Ach ja, Diana.", sagte sie, als sie mich bemerkte. ,,Ich habe die Bücher gefunden und angefangen, zu lesen. Das ist wirklich... interessant. Aber diese Anabel, die wirkt doch eher wie eine Verrückte, oder? So oder so, werde ich nicht zu ihm zurückkommen. Ich gehe noch einmal in den Korridor, aber nur um mein Rätsel zu verbessern. Du hattest keine Schwierigkeiten, es zu lösen, oder?"
Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein.", sagte ich.
,,Vielleicht mache ich es wie dieser Junge mit den Schlössern. Das scheint mir die Sicherste Methode zu sein."
,,Sie wissen aber wirklich nicht warum er das tut, oder? Arthur, die Leute einschlafen lassen."
Frau Blume schüttelte den Kopf.
,,Nein. Nur bei Frau Bohne.. vielleicht hast du es bemerkt, sie ist auch eingeschlafen. Er wollte mir damit Angst machen. Und es ist ihm gelungen. Also dann. Ich glaube, wir müssen beide in die nächste Stunde, oder?"
Ich nickte und verließ mit ihr gemeinsam den Klassenraum. Draußen stand Tom. Ich erschrak. Wie viel hatte er gehört?
Im Treppenhaus bekam ich die Antwort darauf.
,,Über was habt ihr gesprochen?", fragte er mich.
Ich seufzte. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich ihm sowieso eine Erklärung versprochen hatte.
,,Über das selbe, wie am Freitag.", antwortete ich also. ,,Ich erzähle dir alles. Irgendwann. Aber wenn wir uns jetzt nicht beeilen, reißt Frau Stein uns die Köpfe ab."
Wir hasteten die leere Treppe runter und liefen durch den fast leeren Naturwissenschaftsgang. Nur eine zehnte Klasse stand vor einem Chemie Raum und wartete offenbar auf Herrn Tieler, der durch den Gang rannte. Als wir beim Bioraum ankamen, klopften wir vorsichtig an die Tür.
Wir warteten, still und mit klopfendem Herzen, während wir die lauten Schritte von Frau Stein zur Tür kommen hörten. Sie öffnete diese und blickte uns streng an.
,,Ah ja. Kommt ihr dann auch mal?", fragte sie mit ihrer hohen, kühlen Stimme.
,,Ich... Ich musste noch kurz mit Frau Blume reden.", sagte ich leise.
,,Und du?" Frau Stein zeigte auf Tom.
,,Ich habe kurz auf sie gewartet.", antwortete dieser.
Ich hörte Carinas unausstehliches Kichern. Unruhe machte sich in der Klasse breit.
,,Ich möchte nicht, dass das nochmal passiert. Und jetzt husch, auf euere Plätze."
Ich fühlte mich unbehaglich, als ich alleine auf meinen Platzt zuging. In diesem Bioraum gab es in der Mitte einen Block mit drei Reihen mit je fünf Plätzen und daneben je vier Reihen mit je drei Plätzen. Ella und ich hatten uns in der ersten Bio Stunde des Jahres in die dritte Reihe der dreierreihen auf der Türseite gesetzt. Da sich sonst niemand zu uns gesetzt hatte, war ich dort heute alleine. Ich holte meine Biosachen aus meinem Schulranzen und blätterte dann geistesabwesend durch das Bio Buch. Die Tierbilder sah ich mir genauer an, die Pflanzenbilder ebenfalls. Bei Skeltetten blätterte ich weiter. Ich hatte nicht viel für Knochenpositionen übrig und schaute mir lieber einen Pinguin, der auf einem Ei saß an. Ich nannte ihn in Gedanken Peter. Dann blätzerte ich weiter zu einem Bild eines Basstölpels. Im Text daneben stand, dass diese Vögel nur an einem Ort in Deutschland brüteten und zwar auf Helgoland. Außerdem hatten sie wohl einen sehr scharfen und spitzen Schnabel, mit dem sie einem sogar ein Auge aushacken konnten. Ich beschloss im Stillen, nie einem solchen Vogel zu nahe zu kommen, sollte ich je auf Helgoland sein.
Am Ende der Stunde war ich wirklich froh, dass es Frau Stein egal zu sein schien, was ich tat. Umso weniger froh war ich darüber, jetzt noch Deutsch zu haben. Doch als wir vor unserem Klassenzimmer ankamen, war die Tür noch verschlossen. Frau Müller war offenbar mal wieder zu spät. Das war mir jedoch eigentlich ganz recht. Ich hatte sowieso absolut keine Lust auf Deutsch. Doch die hatte ich nie. Ich setzte mich auf den Boden und benutzte die Wand als Lehne. Dann holte ich ,,Rumo und die Wunder im Dunkeln" heraus und las ein bisschen von Rumos Kampf gegen die Teuelszyklopen. Er riss einem der Zyklopen die Zunge raus. Ich schüttelte mich. Igitt!
,,Was ist los?", fragte Tom neben mir belustigt. Ich war so in das Buch vertieft, dass ich nicht bemerkt habe, dass er sich zu mir gesetzt hatte.
,,Rumo reißt gerade einen Teufelszyklopen die Zunge raus.", sagte ich wahrheitsgemäß.
,,Oh okay."
Tom lachte.
,,Hoffentlich kommt Frau Müller gar nicht mehr.", sagte ich.
,,Jaaaaa. Oder erst so fünf Minuten vorm Stundenende."
Doch leider hörten wir in diesem Moment das laute ,,Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr", dass die Rollen von Frau Müller Rollkoffer verursachten, wenn sie über den Boden der Schule gezogen wurden. Seine Besitzerin kam um die Ecke. Ich stand auf und legte mein Lesezeichen zurück in das Buch. Dann ging ich zusammen mit meiner Klasse in das nun aufgesperrt Klassenzimmer und setzte mich auf meinen Platz.
Die Minuten zogen quälend langsam vorbei. Wir machten einen Hefteintrag zur Stellungnahme und wie immer schien Frau Müller einen halben Roman schreiben zu wollen. Dabei brauchte sie fast doppelt so viel Platzt in ihrem Heft wie der Klassendurchschnitt benötigte. Irgendwann stockte sie.
,,Du schreibst schon alles mit, oder Tom?", fragte sie und deutete auf das Heft von Tom, der zu seinem Pech in der ersten Reihe direkt vor dem Lehrerpult saß.
,,Jaja.", sagte dieser jedoch nur und schaute wieder zum Whiteboard, auf das der Hefteintrag von Frau Müller unter der Dokumentenkamera projiziert wurde.
,,Zeig mir deinen Eintrag dann mal nach der Stunde.", sagte Frau Müller argwöhnisch. Dann schrieb sie weiter.Nach gut zwanzig Minuten läutete es endlich. Ich packte hastig meine Sachen ein und verließ das Klassenzimmer. Dann blieb ich aber stehen. Tom hatte heute nach Geschichte auf mich gewartet, dann sollte ich so nett sein und jetzt auf ihn warten. Ich stellte mich also auf die selbe Position, auf der er nach der vierten Stunde stand. So wurde ich vermutlich nicht gesehen. Ich stellte fest, dass ich nicht jedes einzelne Wort verstand aber Fetzen des Gespräches drängen bis zu mir. Offenbar hatte Tom nicht alles so mitgeschrieben, wie Frau Müller wollte. Er schien einige Wörter abgekürzt zu haben, sah das allerdings nicht als zu wild an. Frau Müller jedoch schon. Dann kam Tom raus. Er wirkte ziemlich genervt.
,,Diana.", sagte er, als er mich sah.
,,Ich dachte mir, ich warte einfach mal auf dich. Was hat Frau Müller gesagt?"
,,Die blö..." Er hielt inne, da Frau Müller uns durch die öffne Tür noch hören konnte. Ich beschleunigte meinen Schritt, um schneller zum Treppenhaus zu kommen. Dort sprach Tom weiter. ,,Ich habe ein bisschen was abgekürzt und jetzt bekomme ich eine Hinweis!"
Er sprach das ,,Hinweis" aus, als wäre das das albernste auf der Welt. War es vermutlich auch. Frau Müller war wirklich komisch.Hatte ich alles am Körper was ich brauchte? Ja, ich hatte nichts vergessen. Ich legte mich in mein Bett und schaltete meine Nachttischlampe aus. Ich starrte in die Dunkelheit. Heute würden wir vielleicht Arthurs Pläne durchkreuzen. Wenn alles so klappte, wie es sollte. Ich seufzte und versuchte, die Gedanken los zu werden. So würde ich nie einschlafen können. Doch irgendwann müssen mir die Augen zugefallen sein, denn als nächstes erinnerte ich mich daran, auf dem Teufelsfelsen aus ,,Rumo" zu sein. Glücklicherweise sah ich nirgendwo einäugige Riesen, die mich aufessen wollten, während ich möglichst viel schrie und zappelte. Stattdessen entdeckte ich Neville Longbottem, dem plötzlich Flügel wuchsen. Dann flug er über meine rote Tür hinweg. Sofort rannte ich auf sie zu und lief hindurch. Auf dem Korridor sah ich mich um. Wo waren die anderen? Willkürlich lief ich nach links. Ich fand Mias blaue Tür nur drei Gänge von meiner entfernt. Ich betrat ihren Traum. Dort saßen auch die anderen, diesmal auf einer netten Wiese.
,,Super, da bist du! Gibt's irgendwas neues?", empfing mich Henry sofort.
,,Eine Freundin von mir hat eine Theorie zu Arthurs Plan.", sagte ich und erzählte ihnen von Lucys Idee.
,,Das ist tatsächlich möglich. Und es würde zu ihm passen.", sagte Henry nachdem ich geendet hatte.
,,Frau Blume wird such übrigens von hier fern halten.", fügte ich noch hinzu.
,,Also können wir anfangen?", fragte Mia ungehalten.
,,Jaja, Miss Silber.", antwortete ich. ,,Schläft Arthur schon?"
Liv dachte kurz nach.
,,Vermutlich", sagte sie. ,,Als ich eingeschlafen bin war es halb zehn. Ich habe meine Tür relativ schnell gefunden. Jetzt ist es ungefähr halb elf. Er hat immerhin große Pläne, für die er bestimmt früh ins Bett geht."
,,Okay, dann mal los.", sagte ich und stand auf. Die anderen taten es mir gleich. Gemeinsam verließen wir Mias Traum. Mia verwandelte sich in einen Marienkäfer, Liv in eine Laus und Henry in eine Wespe. Ich blieb wie ich war. Das reden war zuerst mir überlassen, während sich die anderen in meinen Haaren versteckten. Diese Idee war von mir. Ich hatte daran gedacht, wir ich mich damals vor Miranda und Louis vesteckt hatte. Arthur würde die anderen auf diese dann Art nicht entdecken. Dann suchten wir nach Arthur. Wenn wir Pech hatten, wäre er die ganze Nacht in irgendeinem Traum. Dann müssten wir die Aktion auf die nächste Nacht verschieben. Doch wir hatten Glück. Oder wie auch immer man das nennen wollte. Bald war ich an einem Gang angekommen, durch den gerade Arthur kam. Ich holte tief Luft und blieb stehen. Dann entdeckte er mich.
,,Diana. Wo sind denn die anderen?" Er hob spöttisch eine Augenbraue. ,,Haben sie dich alleine gelassen?"
,,Nein... also, naja, ich finde sie nicht. Aber wo ist denn Frau Blume? War sie nicht neulich bei dir?"
Arthur sah mich wütend an.
,,Das hat dich nicht zu interessieren.", gab er zurück. ,,Aber pass auf. Gewöhn dich besser daran, alleine zu sein, ja? Morgen ist Grayson wach. Dann wird er dafür sorgen, dass Liv, Henry und diese dumme Mia nicht mehr mit dir träumen. Aber keine Sorge. In fünf Wochen wacht auch deine Freundin wieder auf. Wie heißt sie gleich? Elke? Es war so ein hässlicher, altdeutscher Name. Dann wirst auch du nicht mehr viel Zeit zum träumen haben."
Ich begriff plötzlich, was er meinte. Lucy hatte mit ihrer Vermutung recht. Und er wollte Grayson und Ella offenbar an einen Punkt bringen, an dem sie uns töten würden.
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Silber- Das vierte Buch der Träume
FanfictionDiana Puckle ist ein verträumtes, 13-jähriges Mädchen. Seit sie die Silber-Trilogie gelesen hat, lässt sie von dem Wunsch, ihre Traumtür zu finden nicht mehr ab. Als dieser Wunsch jedoch in Erfüllung geht, muss sie feststellen, dass Arthur erneut se...