~20~

100 5 5
                                    

Zuerst multipliziere die Sekunden in zwei Minuten mit dem Krönungsjahr von Karl dem Großen und den Wochen in einem Jahr. Nun addiere dazu die Summe vom Jahr der ersten Mondlandung und dem Produkt der Summe der Anzahl der Hogwartshäuser und der der Wirbeltierklassen und der Summe von 14,5 und dem Jahr, in welchem Columbus Amerika erreiche.
Zu deinem Ergebnis addiere jetzt die Anzahl der Beine eines Vogels so oft mit sich multipliziert, wie das Alter, mit dem man Page würde und der zweiten glücklichen ganzen Zahl. Dazu füge die Anzahl der australischen Länder.
Nun addiere das Doppelte der ersten glücklichen Zahl mit drei Stellen vor dem Komma zum Quadrat zum Produkt der Sekunden in einer Stunde und eben genannter glücklicher Zahl. Diese Summe addiere nun zum Gesamten.
Zu guter Letzt, addiere jetzt das Produkt aus dem Todesjahr des Kaiser Vespasian, 0,125, den Bundesländern in Deutschland und der Startauflage von Harry Potter and the philosophers stone.
Nun klopfe deine Lösung an die Tür und der Eintritt gewährt sei dir.

Perfekt. So würde niemand so einfach in meinen Traum kommen. Dieses Rätsel war einfach genial. Ich hatte mich zwar stark von einem Rätsel, das letztes Jahr in unserer Schülerzeitung stand und Graysons Traumtür inspirieren lassen und eigentlich wollte ich diesen Text dichten, aber der letzte Schritt war wirklich genial. Ich las die Zeilen ein weiteres Mal. Ich musste das jetzt nur auswendig lernen, damit ich meine Idee im Traum auch in die Tat umsetzten konnte. Glücklicherweise war ich relativ gut im Auswendig lernen. Wenn ich Lust dazu hatte. Ansonsten konnte es zwei Wochen dauern, mir sechs Zeilen von einer Balade einzuprägen, was leider schon vorgekomnen war. Frau Müller sei Dank.
,,Was machst du da?"
Miranda war, ohne das ich es bemerkt hatte, in den Raum gekommen, und schaute mir jetzt über die Schulter.
,,Was ist das für ein Zettel?", fügte sie hinzu, als ich ihn schnell umgedreht auf mein Bett fallen ließ.
,,Ach nichts wichtiges.", sagte ich schnell. ,,Was machen Mum und Tante Dorothea?"
,,Nachrichten schauen."
Miranda ließ sich auf das Bett am anderen Ende vom Zimmer fallen. Dann setzte sie sich jedoch wieder auf und kramte in ihrem Rucksack. Wie immer bei Tante Dorothea war es anstrengend, im selben Zimmer wie Miranda zu schlafen. Dorothea wohnte in einem Haus mit sieben Zimmern, drei Bädern, einer extra Toilette, einer Abstellkammer und einer Küche auf einer Etage. Das Haus hatte einen witzigen Grundriss, den man gut mit einem Hufeisen vergleichen konnte. Tante Dorotheas Schlafzimmer lag an dem einen Ende, am anderen das Zimmer von Miranda und mir. An der Innenseite des ,,Hufeisens" lief ein langer Gang entlang, bestückt mit den wunderschönen Bildern, die mein Großonkel Gustav einmal gemalt hat. Er war Dorotheas Bruder und schwerbehindert. Er hatte bei ihr gelebt und sie hatte sich um ihn gekümmert, bis er im Winter letzten Jahres gestorben war. Seitdem lebte Dorothea alleine hier. Von dem Gang führten Türen zu allen anderen Zimmern. An der Mittelseite des ,,Hufeisens" war außerdem noch ein Wintergarten nach außen, den man vom Esszimmer und vom Wohnzimmer aus erreichen konnte. Diese Räume markierten nämlich die Ecken des ,,Hufeisens". Das Wohnzimmer auf unserer Seite und das Esszimmer auf der von Dorothea. Gegenüber von diesen Räumen waren zwei Türen, die nach draußen führten. Wir benutzten allerdings immer nur die bei der Küche, warum wusste niemand so genau. Von diesen Türen führte jeweils ein Gang mit geziegeltem Boden direkt an der Hauswand zu einem Überdachten Raum, von dem aus man durch die wirkliche Haustür (die gegenüber der Tür beim Wohnzimmer lag) nach draußen kam, in den winzigen Ort, in dem Dorothea lebte. Man konnte hier eigentlich nur an einem kleinen Bach durch einen Wald in den Nachbarort oder zu anderen Zielen gehen oder die Burg, der der Ort seinen Namen ,,Felsburg" verdankte, auf einer kleinen Anhöhe von außen betrachten. Rein durfte man leider nicht. Trotzdem wurde es einem bei Dorothea nicht langweilig da es zum Beispiel etwa zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt, einen tollen Freizeitpark gab, den Odel-Park. Es gab dort einen riesigen Spielplatz und, was eigentlich viel besser war, zwei Sommerrodelbahnen und eine Achterbahn. Auch, wenn ich mich noch kie getraut hatte, due Achterbahn zu fahren. Eine der Sommerrodelbahnen hatte violette Wägen und fuhr in einer kesselartigen Bahn. Die andere war orange und fuhr auf einer schienenartigen Bahn. Dazu noch einen ziemlich großen Aussichtsturm, von dem drei Rutschen führten und ein paar Seile für Flying Fox. Nicht, dass ich je so etwas machen würde, aber es war toll anderen dabei zuzusehen. Andererseits besaß Tante Dorothea auch eine Orgel, in dem Zimmer zwischen dem Wohn und Esszimmer. Man konnte darauf wunderbar spielen, auch wenn man, wie ich zu Mums Enttäuschung, kein Klavier spielen konnte. Für Alle meine Entchen reichten meine Künste nämlich. Außerdem besaß Dorothea eine riesige Bibliothek, die einige wirklich alte Bücher enthielt. Die meisten davon waren allerdings irgendwelche Heimatsachbücher, deshalb las ich sie nicht. Aber es fühlte sich gut an, in diesem Raum zu sein. Er hatte das typische gemütliche Bibliotheksgefühl.
Ich setzte mich schließlich ebenfalls auf mein Bett und begann wieder, meinen Zettel anzustarren. Heute Nacht musste ich dann nur noch meine Tür damit sichern.

Als ich die rote Tür entdeckte saß ich gerade mit Ella auf einer Bank im Park und wir lachten gemeinsam über die Enten auf dem Weiher. Eine hatte sich nämlich gerade in einen Elefanten verwandelt und spritze alle Kinder um den Weiher herum durch ihren großen Rüssel an. Dann sah ich die Tür in einer großen Buche, in der Nähe des Wassers. Ich stand auf und lief darauf zu. Ich öffnete sie und schlüpfte auf den Gang. Ich besorgte mir Stift und Papier und schrieb mein Rätsel so ordentlich wie ich konnte auf einen Zettel. Diesen steckte ich hinter die Katze, die als Türgriff fungierte. Ich konzentrierte mich auf meine Vorstellungen. Als ich fertig war, probierte ich meinen Mechnismus aus. Ich ging auf die Tür zu und drückte gegen den Katzenkopf. Dieser spuckte den Zettel mit meinem Rätsel aus. Normalerweise müsste ich jetzt erst überlegen und dann rechnen und 5.479.513 als Ergebnis bekommen. Dann müsste ich den Taschenrechner umdrehen und das Wort Eisglas entdecken und schließlich auf die Idee kommen, das Wort in Morsezeichen zu klopfen und herausfinden, welche ich dafür bräuchte. Diese Schritte konnte ich jedoch getrost weglassen, da ich die Klopfreihenfolge auswendig wusste. Ich klopfte also erst einmal, dann zweimal und schließlich dreimal kurz, dann zweimal kurz und einmal lang, dann einmal kurz, einmal lang und zweimal kurz, dann einmal kurz und einmal lang und zum Schluss nochmal drei mal lang. Nichts einfacher als das, wenn man es konnte. Wenn man allerdings einfach so vorbei kam, musste man schon überlegen. Wer wusste denn schon auf Anhieb, wer Kaiser Vespasian war?
Die rote Tür schwang auf und ich grinste siegessicher. Mein Mechanismus war wirklich ausgeklügelt.
Anstatt zurück in meinen Traum zu gehen, lief ich jedoch los, um Liv und die anderen zu finden. Eigentlich sollten ihre Türen mittlerweile näher an meiner sein. Immerhin hatten wir uns in den letzten drei Wochen immer besser kennengelernt. Ich warf einen Blick nach oben. Ich konnte wirklich keine Decke erkennen. Die Wände mit den Traumtüren schienen ewig weit in die Höhe zu gehen. Ich fragte mich, was das eigentlich für ein Ort war. War er nur in meinem Kopf? Gab es ihn wirklich? Vielleicht irgendwo anders im Universum. Ich seufzte. Das war alles so schrecklich kompliziert. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass ein anderer Gabg gerade in dem, durch den ich ging endete. Wo sollte ich langgehen? Ich wollte mich gerade für geradeaus entscheiden, als ich spürte, dass ich in etwas reinlief und dann hinfiel. Ich blickte auf in türkise Augen, die mindestens so erstaunt waren mich zu sehen, wie ich erstaunt war, sie zu sehe. Anabel hielt mir ihre Hand hin. Ich ergriff sie und stand wieder auf.
,,Tut mir leid.", sagte ich. ,,Ich hätte aufpassen müssen."
,,Kein Problem.", erwiederte Anabel sanft. ,,Ein größeres Problem ist die Tatsache, dass du immer noch hier bist. Ich habe dich nicht mehr gesehen, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben. Ich war zwar auch nicht besonders oft hier, aber ich habe gehofft, dass du zu Vernunf kommen würdest. Es ist gefährlich hier und die Lage spitzt sich zu."
Ich war sprachlos.
,,Du... Du meinst die Schläfer? Die, die nicht mehr aufwachen?", krächzte ich.
Anabel nickte.
,,Ganz genau. Du hast es also auch bemerkt."
,,Hast du etwas damit zu tun?"
Das war ein Gedanke, der noch keinem von uns gekommen ist. Woher hatte ich eigentlich wissen sollen, dass Anabel auf unserer Seite war? Nur, weil sie geholfen hatte Arthur einzusperren? Sie war immerhin eine Verrückte. Meine Kehle fühlte sich ausgetrocknet an. Plötzlich bekam ich Angst. Was hatte sie wohl vor?
,,Oh, nein, nein. Durchaus nicht. Ich habe nur ein paar merkwürdige Dinge bemerkt. Und weißt du was mir aufgefallen ist? Der erste mir bekannte Schläfer ist Grayson. Er ist eingeschlafen nachdem du in den Korridor gekommen bist. Wir sollten uns vielleicht der Frage stellen, ob du etwas damit zu tun hast. Direkt oder indirekt. Was meinst du? Ach, und falls du Livs Tür suchst. Die ist dahinten."
Anabel zeigte hinter sich, in den Gang von dem ich sie nicht habe kommen sehen.
,,Ich bin dann mal wieder weg."
Mit diesen Worten ging sie an mir vorbei.
Ich stand erstarrt da. Anabel wusste zwar nichts von Josefa, aber ihre Fakten stimmten wirklich. In dieser Nacht von Freitag auf Samstag hatte ich meine Tür entdeckt und bin zum ersten Mal in den Korridor gekommen. Am Tag darauf ist Josefa munter auf dem Trampolin gehüpft und dann hatte Ella sie schlafen sehen. Was, wenn das zusammenhing? Was, wenn mein Auftauchen im Korridor tatsächlich mit der ganze Schlafsache zusammenhing? Plötzlich hatte ich keine Lust mehr, zu Liv oder Mia zu gehen. Ich drehte mich um und rannte zurück zu meiner Tür. Dort angekommen klopfte ich sofort Eisglas und lehnte mich innen an die Tür. Hatten Liv, Mia uns Henry vielleicht schon an das selbe gedacht? Bestimmt, Mia wollte doch bestimmt alles herausfinden. Warum hatten sie mich nie darauf angesprochen? Wussten sie vielleicht sogar irgendwas und sagten es mir einfach nicht, weil sie mich für böse hielten? Würde ich das nicht auch an ihrer Stelle tun? Immerhin war ich einfach so im Korridor aufgetaucht. Ich könnte mir das mit den Büchern ausgedacht haben. Ich könnte in Wirklichkeit total ahnungslos Arthur ausversehen befreit haben. Er könnte mich auf sie abgesetzt haben. Und wenn das stimmen würde, hätte er jetzt einen perfekten Spion. Ich holte tief Luft. Es wäre also absolut vernunftig, mir nicht zu vertrauen und nichts mehr mir mir zu tun haben zu wollen.

Silber- Das vierte Buch der TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt