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,,Komm schon, beeile dich, wir erwischen den Bus noch!", rief ich Ella zu.
Wir hatten den freien ersten Mai genutzt, um Schwimmen zu gehen. Jetzt kamen wir mit noch nassen Haaren aus dem Hallenbad und rannten, um den Bus zu erwischen. Leider war die Bushaltestellen ein paar Straßen entfernt und der Bus fuhr schon recht bald. Unsere Badetaschen waren auch nicht unbedingt hilfreich, sie schlugen eher hinderlich gegen unsere Beine.
,,Wenn wir weiter so rennen...", schnaufte Ella neben mir ,,Dann falle ich hin, auf meine Nase und brech sie mir. Sowas soll weh tun, oder? Obwohl, meine Cousine hat sie sich mal gebrochen und sagt, dass das gar nicht sooo weh tut. Aber die gleiche Cousine sagt auch, dass alle Slytherins böse sind. Sie ist also vielleicht nicht die glaubwürdigste, vertrauensvollste Quelle. Jedenfalls..."
,,Schau mal!", unterbrach ich sie. Wir waren mittlerweile fast am Bus, in den gerade ein paar Leute einstiegen. Unter anderem auch unsere Geschichtslehrerin. ,,Da vorne ist Frau Blume."
Ella sah auf.
,,Oh, ja stimmt.", sagte sie. Wir liefen etwas schneller, um den Bus noch zu erwischen. Plötzlich fiel etwas aus der Tasche von Frau Blume, die als letzte einstieg.
Ich hob es auf, als wir am Bus ankamen, doch die Türen schlossen sich gerade und der Busfahrer grinste uns gemein an. Was für ein Idiot!
,,So ein Blödkopf!", schimpfte Ella und ließ sich auf die Wartebank fallen. ,,Wann kommt der nächste?"
Ich antwortete nicht, da ich mit der eingehenden Betrachtung des gefundenen Gegenstandes in meiner Hand beschäftigt war.
Es war eine runde, goldene Brosche, mit einem Durchmesser von etwa vier Centimetern. Darauf war eine Blume mit zehn blauen Blättern, die als spitze Dreiecke von dem schwarzen Stempel abzweigten, in dem ein goldenes geschwungene B eingegossen war.
,,Wir sollten ihr das morgen in Geschichte zurückgeben.", sagte ich zu Ella gewandt.
,,Zeig mal.", sagte sie und streckte die Hand aus. Ich gab ihr die Brosche und lief zum Fahrplan.
,,Der Nächste geht in einer halben Stunde.", sagte ich und seufzte.
Ich setzte mich zu Ella, die mir die Brosche zurück gab.
,,Heb du sie auf.", sagte sie. ,,Ich verliere sie nur."
Ich dachte kurz an den Schlüssel in Oberstdorf, schüttelte den Gedanken daran dann allerdings ab. Ich würde das schon hinbekommen. Ich legte sie in die Tasche meiner Jeans, wo sie ich sie hoffentlich nicht vergessen würde.
Während wir auf den nächsten Bus warteten, ließ ich mir die letzten Nächte durch den Kopf gehen. Die anderen waren von meinem Bericht über Lennart genauso geschockt gewesen, wie ich erwartet hatte. Wir hatten immer noch keine Ahnung, was Arthur plante und wie er die Leute zum Schlafen brachte. Genauer gesagt verzweifelten wir regelrecht an der Beantwortung dieser Fragen. Außerdem war ich zurzeit prinzipiell immer müde, was an dem verdammten Korridor lag. Vor allem in den langweiligen Unterrichtsstunden wollte ich nichts lieber, als es Lennart gleich zu tun und einfach einzuschlafen. Frau Müller hatte in der gestrigen Deutschstunde allerdings kein Wort zu dem Vorfall am Montag verloren, sodass wir nichts weiter von Lennart erfuhren.
,,Diana?", sagte Ella auf einmal.
,,Ja?"
,,Kannst du mir einen Gefallen tun?"
,,Kommt drauf an, was es ist." Bei Ella wusste man nie.
,,Also es ist so, morgen ist der zweite Mai. Und naja, das ist des Jahrestag der Schlacht um Hogwarts. Und da gibt es so eine Potterhead Aktion, dass sich alle ganz schwarz anziehen, als Gedenken an die Todesopfer. Das werde ich natürlich tun, aber könntest du...?"
Sie sah mich verlegen an.
,,Dir ist klar, wie Carina darauf reagieren wird, oder?"
Ella nickte.
,,Deshalb wäre es vielleicht gut, wenn ich nicht alleine wäre.", sagte sie vorsichtig. ,,Also nicht, dass Carina mich stören würde, aber es ist doch..."
,,Mal schauen.", erwiederte ich. ,,Ich kann nichts versprechen, weil ich mir nichtmal sicher bin, dass ich eine schwarze Hose habe."
Ella nickte erneut.
,,Okay.", sagte sie.

Erschöpft fiel ich in mein Bett. Zwar war der Tag nicht übermäßig anstrengen gewesen, doch in Kombination mit Schlafmangel durch luzides Träumen, war Schwimmen nicht gerade das tollste.
,,Nur fünf Minuten.", murmelte ich zu mir selbst. ,,Dann stehe ich nochmal auf, putze meine Zähne und ziehe mich um."
Aus den fünf Minuten wurden jedoch zehn und als ich dann in Jeans und T-Shirt einschlief, weckte mich offenbar niemand so schnell, da ich mich schon bald vor meiner roten Tür wiederfand. Auch, wenn ich mich dadurch nicht erhohlen würde, betrat ich sofort den Korridor. Ich lief durch ein paar Gänge, bis ich an einer Tür aus hellem Holz mit einer blauen Blume als Verzierung vorbei kam. Ich blieb stehen. Die kam mir doch irgendwoher bekannt vor. Dann fiel es mir wieder ein. Das selbe Zeichen war auf der Brosche von Frau Blume. Ob das wohl ihre Tür war?
Ebenso plötzlich fiel mir ein, dass ich das ja einfach ausprobieren konnte. Ich trug noch meine Jeans, in deren Tasche die Brosche war. Eigentlich gingen mich die Träume meiner Lehrer nichts an, doch ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Ich legte meine Hand an den antiken Türgriff, als mir einfiel, dass es, je nach Situation, vielleicht komisch wäre, als Diana im Traum aufzutauchen. Also verwandelte ich mich in das, was ich am besten beherrschte. In Ruby. Ich sprang an den Türgriff und erwartete, dass die Tür sofort aufging. Allerdings stellte sich mir plötzlich eine Gestalt in den Weg. Ich erkannte sie nicht sofort, auch wenn ich sicher war, sie schon einmal gesehen zu haben.
,,Wer bin ich und was habe ich getan?", fragte sie mit strenger Stimme. Mein Gehirn ratterte. Dann erinnerte ich mich an ein Bild in unserem Geschichtsbuch. Frau Blume hatte damals erzählt, dass das eine berühmte Statue in Berlin war. Interessante Türsicherung. Mein Unterbewusstsein war leider überhaupt nicht kreativ gewesen. Bis vor einer Woche konnte jeder in meinen Traum. Immerhin war meine Tür jetzt wirklich kreativ gesichert.
,,Du bist Friedrich Barbarossa. Du warst bei den Kreuzzügen dabei.", mauzte ich also. Es wunderte mich, wie gut ich als Katze sprechen konnte.
Die Tür schwung auf und ich betrat den Traum.
Ich fand mich in einem Urwald wieder. Frau Blume stand fast direkt vor mir. Und lief zielstrebig auf mich zu. Ich wollte schon abhauen, als ich verstand, dass gar nicht ich -oder besser gesagt Ruby- ihr Ziel war, sondern die Holztür hinter mir. Ich erschrak. Frau Blume war auch eine... ,,Träumerin"? Jetzt war sie an mir vorbei gegangen und öffnete die Tür. Schnell und glücklicherweise unbemerkt schlüpfte ich mit ihr gemeinsam durch die Tür. Draußen versuchte ich mich zum ersten Mal an einer wirklich schwierigen Verwandlung. Und es gelang mir. Als Lufthauch schwebte ich zu mit schnellen Schritten durch den Korridor eilenden Frau Blume. Schließlich blieb sie stehen, als wartete sie auf jemanden. Dieser Jemand kam schließlich auch um die Ecke. In Form eines blond gelockten Jungens. Ich erschrak. Was wollte Frau Blume von jemandem wie ihm?
,,Helena.", sagte er. ,,Schön, dass du mal wieder da bist."
Frau Blume wich einen Schritt zurück.
,,Arthur, ich bin mir wirklich nicht sicher, ob das so gut ist.", hauchte sie, kaum verständlich.
,,Ach komm schon, Helena! Wir sind so weit gekommen. Das kleine Mädchen aus deiner Stadt sollte bald wieder aufwachen. Dann kannst du beobachten, wie alles funktioniert hat. Hast du es endlich hinbekommen?"
Kleines Mädchen? Aufwachen? Er sprach von Josefa! Plötzlich wurde mir auch klar, wen Liv damals im Korridor gesehen hat. Ihre Beschreibung traf genau auf Frau Blume zu! Warum war mir das nicht früher aufgefallen? Deshalb war sie auch so müde!
Frau Blume zögerte kurz.
,,Nein, noch nicht. Aber ich habe sie morgen. Vielleicht sammel ich einfach die Hefte ein und dann sage ich ihr, dass ich ausversehen Kaffee über ihres gekippt habe. So kann ich es behalten."
Ich runzelte die Stirn. Wovon sprach sie? Ich konzentrierte mich immer mehr darauf, der Unterhaltung zu folgen, sodass ich meine Gestalt beinahe vergaß. Und plötzlich stand ich als Diana vor ihnen.
Beide starrten mich an.
,,Ehm... Hallo Frau Blume.", sagte ich. Etwas besseres fiel mir nicht ein.
,,Diana... solltest du nicht..."
Frau Blume starrte mich verdattert an.
,,Ich äh, ich gehe dann mal wieder.", sagte ich tonlos und drehte mich um. Ich nahm die nächstbeste Abzweigung und rannte, bis ich nicht mehr konnte.
Ich sah mich in dem Bereich, in den ich gekommen war um. Er war mir gänzlich unbekannt, ich hatte keine der Türen je gesehen.
Ich wollte mich gerade umsehen und zurück in bekannte Gegend gehen, als jemand meinen Namen rief.
Ich brauchte einige Zeit, um zu verstehen, dass es Mum war, die mich rief und dass sie das nicht im Traum tat.
,,Diana.", sagte sie leise, als ich endlich die Augen aufschlug. ,,Meine Güte, du bist ja total übermüdet. Du hast deinen Wecker verschlafen und das ist doch wirklich eine Kunst, wenn Helene Fischer Atemlos singt. Willst du heute vielleicht zu Hause bleiben und nicht in die Schule gehen? Dabei warst du doch immer so früh im Bett!"
Zu Hause bleiben? Eine verlockende Vorstellung. Aber wir hatten heute Geschichte. Außerdem konnte ich Ella nicht hängen lassen. Immerhin war heute der zweite Mai und sie würde alleine in Schwarz sein, wenn ich nicht da war. Ich schüttelte also entschlossen den Kopf.
,,Okay, wie du meinst. Ich legte dir Sachen zum Anziehen raus, oder willst du das anbehalten? Es ist fünf vor halb acht. In zehn Minuten fährt der Bus, beeile dich also besser. Oder nehm einfach den eine Halbe Stunde später. Was hast du in der ersten Stunde?"
Ich dachte kurz nach.
,,Mathe.", murmelte ich dann. ,,Herr Ruß wird mich schon nicht töten, wenn ich zu spät komme."
,,Super, dann kannst du dir Zeit lassen. Ich ruf dann in einer halben Stunde in der Schule an und sage, dass du später kommst. Das ist doch gut, oder?"
Ich nickte nur schwach und legte mich nochmal kurz hin.
,,Nicht mehr einschlafen.", sagte Mum jedoch sofort.
,,Jaja."
Ich seufzte. Es war so verrückt. Frau Blume -die eigentlich meine Lieblingslehrerin war- arbeitete offenbar im Korridor mit Arthur zusammen. Außerdem hätten sie darüber gesprochen, dass Josefa bald wieder aufwachen würde. Das stellte noch mehr Fragen, als es klärte. Wozu taten sie all dies? Was war ihr Ziel?
Ich verbrarg meinen Kopf in den Händen. Ob wir irgendwann einmal hinter die Beantwortung dieser Fragen kommen würden? Immerhin war ich in keinem Buch. Das hier war das echte Leben. Und für das echte Leben war vielleicht kein Happy End vorgesehen.

Mein Gott, endlich ist das draußen! Ehrlich, ich habe mich so lange darauf gefreut, das Kapitel zu schreiben und zu veröffentlichen! Jetzt möchte ich aber bitte bitte bitte eine Meinung dazu🙏🙏

Silber- Das vierte Buch der TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt