Kapitel 10 - Schmerzen

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,,Aww, möchte mir das kleine Dickerchen etwas sagen?", stichelt Derrick.

,,Lass mich in Ruhe.", sage ich einfach nur, weil ich gerade nicht in der Stimmung bin, mich mit ihm abzugeben.

,,Oh, schaut mal, es kann sprechen.", macht er einfach weiter, als hätte er mich nicht gehört.

,,Verdammt, lass mich einfach nur in Ruhe.", zische ich, während ich mich nebenbei zu den Jungs umdrehe, die mir schon seit geraumer Zeit durch den Gang folgen.

,,Ich bin nicht sicher, ob ich das machen sollte, weil keiner in diesem Ton mit mir spricht. Oder was denkst du, Benny?", fragt er meinen ehemaligen besten Freund.

Unwillkürlich sehe ich hinüber zu Ben, der missmutig seine Arme vor der Brust verschränkt.
,,Also ich finde, dass ihn sein freches Maul bald in Schwierigkeiten bringen wird."

Scheinbar zufrieden grinst Derrick und knufft Ben freundschaftlich in die Seite.
,,Du hast recht. Bring ihn mit nach draußen, damit wir ihm mal ein paar Manieren beibringen können.", weißt er Ben an.

Ich habe keine Chance um wegzurennen, denn seine Freunde packen mich blitzschnell an den Armen und ziehen mich den Gang entlang, während sich ihre Hände wie Schraubstöcke um meine Oberarme schließen.

Ich kann mich nicht gegen ihre festen Griffe wehren.

Ich weiß, was gleich kommen wird.

Und ein winzig kleiner Teil von mir freut sich sogar darauf.

Denn für was lohnt es sich zu leben?
Ich habe keine Familie.
Keine Freunde.
Niemand liebt mich.
Niemand wird mich jemals lieben.
Denn wer hat schon einen kleinen schwulen Jungen wie ich es bin lieb?

,,Schaut ihn an, Jungs. Er sieht so bemitleidenswert und erbärmlich aus.", lacht mich Derrick aus und die anderen Jungs, die mich gegen die Mauer des Schulgebäudes drücken, stimmen kurz darauf in sein Gelächter ein.
,,Was ist los, Dickerchen? Hast du es jetzt schon satt?"

Satt haben. Ich habe es immer satt. Satt von allem und jedem.

Durch eine Hand in meinen Gesicht lande ich wieder im Hier und Jetzt und eine kalte Hand dreht mein schmerzendes Gesicht so, dass ich gezwungen werde, Derrick anzusehen.

Dieser grinst mich schadenfroh an und sagt: ,,Komm schon, Dicker, sag etwas. Das macht keinen Spaß, wenn du dich einfach so ergibst."

,,Fick dich."

,,Ja, so ist es gut.", sagt er erfreut und dann schlägt er mir ohne Vorwarnung noch einmal mitten ins Gesicht.

,,Hast du etwa nicht mehr auf Lager?", ziehe ich ihn auf, während sich der Schmerz auf meinem gesamten Gesicht verbreitet.

Ich will - nein ich muss - ihn dazu bringen, dass er mich härter schlägt, damit mein innerer Schmerz von diesem hier verdrängt wird.

Wenigstens für eine kurze Zeit.

,,Oh, ich habe gerade erst angefangen.", sagt er und schon landet eine Faust in meinem Magen.

Er zieht genau das gleiche ab wie einen Monat zuvor. Schläge, Tritte, Gelächter.

Und die ganze Zeit über steht Ben stumm daneben, vergräbt die Hände in den Taschen und beobachtet das Geschehen.

Stur starren wir uns an, bis ich plötzlich so etwas wie Reue in seinen Augen sehe.

Aber das habe ich mir wahrscheinlich nur eingebildet.

,,Hey, D.", sagt mein ehemaliger bester Freund plötzlich und Derrick zieht fragend eine Augenbraue nach oben.

Langsam kommt Ben nach vorn und flüstert etwas in dessen Ohr.

Als Ben geendet hat, schaut Derrick plötzlich mit einem hoffnungsvollen Blick in die Runde, bis sein Blick an mir hängen bleibt.

,,Sorry, Coley, aber wir müssen noch ein paar Besorgungen machen. Wir setzen das aber definitiv bald fort."

Dann zieht er Ben mit über den Parkplatz und die anderen Zuschauer gehen zurück in das Gebäude, sodass ich alleine zurückbleibe.

Während die beiden nebeneinander herlaufen, dreht sich Ben kurz zu mir herum und für einen Moment sehe ich den alten Ben in seine Aufgabe aufblitzen.

Aber nein. Dieser Ben ist ein für alle Mal gestorben.

Genau wie meine Mutter.

Genau wie ich.

***

Ausnahmsweise nehme ich den Bus nach Hause, weil ich genau weiß, dass ich den Heimweg in meiner jetzigen Verfassung nicht schaffen werde.

Also suche ich mir einen leeren Fensterplatz und starre hinaus in die graue Welt und bin fasziniert, wie die vereinzelten Regentropfen meine Stimmung reflektieren.

Im Gegensatz zu den anderen Tagen fällt es mir heute erstaunlich leicht, die Gespräche der anderen Schüler um mich herum auszublenden und in meinen eigenen Gedanken zu versinken.

Würde es irgendjemanden Interessen, wenn ich sterben würde?

Nein, momentan eher wahrscheinlich nicht.

Seufzend steige ich bei meiner Haltestelle aus und die paar anderen Leute, die ebenfalls ausgestiegen sind, strömen schnell in verschiedene Richtungen davon, aber ich stehe nur da und starre hinauf in den wolkenverhangenen Himmel und atme tief aus, damit sich der Klumpen in meinem Inneren nicht mehr ganz so schwer anfühlt.

Ein einzelner Tropfen landet auf meiner Stirn, den ich mit den Handrücken wegwische und anschließend ebenfalls den Heimweg antrete.

Als mein Haus in Sicht kommt, bleibe ich vor Schock wie angewurzelt mitten auf dem Gehweg stehen und das Blut gefriert mir in den Adern.

,,Nein.", hauche ich und meine Augen füllen sich mit Tränen, ,,Nein. Nein, nein, nein, nein."

Mitten auf der Haustür wurde mit einem roten Stift ein Wort in drei so großen Buchstaben aufgemalt, dass man kaum noch etwas von der eigentlichen Farbe sehen kann.

F

A

G

Mein Vater wird mich umbringen.

***

Was/wo/wann war bisher eure schönste Urlaub und wieso?

Star Gazers (BxB) | Deutsche ÜbersetzungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt