Kapitel 6 - Lügner

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Als ich mich dann endlich überwunden habe und nach Haie gegangen bin, ist es schon elf Uhr abends. Der Nachhauseweg war genauso einsam und dunkel und nur ab und zu brannte ein Lampe. Umso glücklicher bin ich, dass ich jetzt endlich zu Hause angekommen bin und ich endlose Lichtquellen zu Verfügung habe.

Leise öffne ich dir Haustür und schlüpfe in das Haus, wo ich sofort meinen Dad besoffen sitzen und mit etlichen Bierflaschen auf dem Tisch stehen sehe. Auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmert lautlos irgendein Film und weitere Bierflaschen stapeln sich davor auf dem Boden.

Nachdem meine Mum gestorben ist, habe ich ihn nur vier Mal nüchtern gesehen. Der Alkohol ist sein Lebenssinn und ich finde, das macht ihn ein wenig bemitleidenswert, denn dadurch hat er seinen Job verloren und ich bin davon überzeugt, dass er das Haus, sämtliche Rechnungen und seinen Alkohol von meinem Studiengeld finanziert, welches meine Mum und ich mühevoll gespart und zurückgelegt haben.

So leise wie möglich gehe ich die Treppen hinauf und schaffe es tatsächlich, auf keine der knarzenden Stellen zu treten und somit unbemerkt in mein Zimmer zu kommen.

An den Wänden in meinem Raum hängen keine Bilder mehr, wo dagegen früher jeder Zentimeter mit Postern und Fotos beklebt war.
Nachdem meine Mum gestorben ist, hat mein Dad mit dem Saufen angefangen und alles von meiner Wand heruntergerissen und kaputt auf den Boden geworfen. Das alles hat einen unglaublichen Dreck gemacht, weil die ganzen kleinen Schnipsel überall auf der Etage verteilt lagen und auch die Scherben der gerahmten Fotos haben es in mehrere Zimmer geschafft.

Nur ein einziges Bild hat überlebt, welches ich auf den Boden meiner Nachtischschublade versteckt und ganz viele Klamottten darübergelegt habe, sodass es mein Dad nie finden wird.

Seufzend schließe ich meine Zimmertür hinter mir, stteife meine Sachen ab und ziehe einen Pyjama an und danach krabbel ich müde unter die warme Bettdecke und schließe meine Augen.

Doch an Schlaf ist nicht zu denken, denn jetzt kommen die ganzen Geschehnisse über mich, sodass ich unwillkürlich an Ben denken muss.

Ich wusste, dass die Wahrscheinlichkeit hoch war, meinen besten Freund durch mein Outing zu verlieren und deshalb hätte ich mir erwartet, dass so etwas wie heute passieren wird.

Allein der Gedanke daran, alleine zu sein, fühlt sich schrecklich an.

Ben war derjenige, der mir nach dem Unfall geholfen hat, nicht in Depressionen zu verfallen und wenn er nicht gewesen wäre, wüsste ich nicht, wo ich heute sein würde.

Aber vielleicht ist der Streit zwischen uns gar nicht so schlimm wie ich denke. Vielleicht ist in ein paar Tagen alles wieder gut und er hat gemerkt, dass er sich wie ein Idiot verhalten hat.

Vielleicht.

***

Ganz sicher werde ich heute nicht mit dem Bus fahren, sodass ich mein altes Fahrrad aus der Garage hole und zur Schule radel.

Am Ende bin ich sehr viel später da, als wenn ich mit dem Bus fahren würde, aber es ist immernoch besser, als in einer gelben Blechkiste gefangen zu sein.

Es ist immer noch dunkel draußen, aber die ersten vereinzelten Sonnenstrahlen kämpfen sich mühsam am Horizont hervor, als ich losfahre.

Glücklicherweise muss ich die ganze Zeit nach Norden fahren, sodass mir die Sonne nicht in die Augen scheint.

Als ich dann endlich an der Schule ankomme, springe ich deutlich wacher vom Fahrrad und stelle es in einen der leeren Fahrradständer vor der Schule.
Nachdem ich es verschlossen habe, richte ich mein T-Shirt und betrete das Gebäude.

Ben ist vielleicht hier.

Um mich zu beruhigen, atme ich ein einmal langsam tief ein und aus und öffne dann die Tür, wo ich inmitten einer schwatzenden Schülerschar lande, die sofort leiser wird, sobald ich mich durch sie hindurch quetsche.

Okay?

Normalerweise wartet Ben hier immer auf mich, weil sein Bus ein wenig eher hier ankommt, aber als ich den Raum mit den Schließfächern leer vorfinde, wird mir ein wenig schwer ums Herz.

Ich weiß, dass ich nicht allzu enttäuscht sein sollte, aber ein kleiner Teil von mir wünscht sich, das der gestrige Tag ein Traum gewesen ist und dass mein bester Freund im unerwartetsten Moment um die Ecke gesprungen kommt, damit ich mich mal wieder erschrecke.

Aber leider ist das nicht der Fall.

Flink gebe ich die Zahlenkombination ein und öffne die Metalltür, als plötzlich eine Hand hinter meinem Kopf hervorschießt und mir die Tür direkt vor der Nase zuknallt.

Was zur Hölle?

Erschrocken drehe ich mich herum und blicke direkt in das Gesicht von Derrick Peterson, der sich mit seinem Gefolge bedrohlich vor mich aufgebaut hat.

,,Seht mal, Jungs.", sagt er mit einem Grinsen, bei dem sich mir die Nackenhaare aufrichten, ,,Jetzt haben wir endlich unsere eigene kleine Schwuchtel gefunden."

,,Was?", frage ich verwirrt, ,,Was für eine scheiße redet ihr da?"

,,Chill, Coley.", sagt Derrick und grinst mich widerlich an, ,,Wir kennen alle deine dreckigen kleinen Geheimnisse. Unser neuer Freund Benny hat uns alles erzählt, stimmt's Benny?"

Geschockt beobachte ich, wie Derrick einen seiner Pranken freundschaftlich um die Schulter meines besten Freundes legt und dieser ignoriert gekonnt meinen Blick.

Dieses kleine... Arschloch.

Ich kann es einfach nicht fassen, dass er so etwas erniedrigende getan hat. 
Ich kann es einfach nicht fassen, dass er so etwas privates ausgeplaudert hat. So etwas persönliches.

,,Ha.", ruft Derrick aus, während er zwischen uns hin und her schaut, ,,Du hattest recht Ben, er ist total in dich verliebt. Wie peinlich!"

,,Hör auf mit dem Scheiß. Ich bin nicht, war nicht und werde nie in dieses verlogene Arschloch verliebt - "

,,Ganz ruhig, Dickerchen. Er hat uns alles darüber erzählt, was du letzte Nacht mit ihm angestellt hast."

,,Ich hab nicht...", beginne ich meinen Satz, doch muss ihn unterbrechen, weil sich viele Schluchzer meine Kehle hinaufbahnen, als ich Ben ansehe.

Warum sagt er solche Sachen?

Warum tut er mir das an?

,,Aw, fängt er etwa an zu weinen?", stichelt einer von Derricks Freunden mit einer verstellten hohen Babystimme.

Hastig schüttel ich meinen Kopf und zwänge mich zwischen die Jungs hindurch und renne so schnell wie möglich in Richtung Jungstoilette.

,,Er ist total schwul!", ruft mir einer seiner Freunde lachend hinterher, aber Gott sei Dank folgen sie mir nicht.

Eilig stoße ich die Tür auf und ersetze einer der Kabinen, die ich mit zitternden Händen verschließe und mich anschließend in eine Ecke kauer.

Als dann die letzten in ihrem Klassenraum verschwunden sind und ich endlich alleine bin, lasse ich meinen Tränen freien Lauf.

***

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