Kapitel 24 - Nerven haben

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Vorsichtig strecke ich meine Hand aus und fühle das raue Polster des Sitzes unter meinen Fingerkuppen, bevor ich die Hand meines Engels ertaste.

Ausdruckslos starrt er durch die Windschutzscheibe, während ich ihn anschaue.

Ungefähr eine Stunde ist das Krankenhaus entfernt, in welchem seine Mum liegt.

Gänsehaut überkommt meinen gesamten Körper und nur für ihn versuche ich, stark zu bleiben.

Das nächste, was ich mitbekomme, ist, wie wir den Parkplatz erreichen und Jason meine Hand loslässt, damit wir beide aussteigen können.

Kurz vor dem gläsernen Eingang stoppt Jason und dann merke ich, dass die Eingangstür reflektiert, wir uns beide also wie in einem Spiegel ansehen können.

Unauffällig scanne ich den hübschen Jungen neben mir ab, welcher einen panischen Ausdruck in den Augen hat.

Lautlos trete ich vor ihn, damit er mich ansieht und somit von seinem teilweise erbärmlichen Spiegelbild abgelenkt wird.
Seine dunklen, blauen Augen starren direkt in meine und wie in Zeitlupe sehe ich, wie der panische Ausdruck einem ängstlichen weicht.

,,Ich weiß nicht, ob ich das kann.", haucht Jason zitternd und schaut mich unsicher an, ,,Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit... seit..."

,,Es ist okay, Jason.", sage ich und lege meine Hände auf seinen Schultern, damit er sich ein wenig beruhigt, ,,Ich weiß, dass sie dich liebt."

,,Ich glaube, ich brauche eine Zigarette.", stößt Jason hektisch hervor und ich stoppe sein hektische Wühlen in seiner Jackentasche.

,,Glaubst du wirklich, seine Mutter wäre erfreut, wenn sie das tödliche Zeug an dir riechen würde?", frage ich ihn geradewegs.

Lange sieht Jason mich an und ich kann sehen, wie er innerlich mit sich ringt. Dann stößt er ein langgezogenes, leidendes Seufzen aus und verschränkt die Arme vor seiner Brust.

,,Okay, aber dann gleich nachdem wir sie besucht haben."

,,Wie wäre es stattdessen mit einem leckeren Eis?", schlage ich vor.

,,Wir werden sehen.", bekomme ich murrend als Antwort und gleich darauf betreten wir das warme Innere des Krankenhauses.

Langsam folge ich ihm, während er schnurstracks durch die Lobby geht und nach dem Schild sucht, welches ihm in die richtige Richtung weist.

Kurz darauf fragt er sie nett aussehende Dame am Empfang, in welchem Zimmer seine Mum liegt und als er auch diese Information hat, streckt er mir fordernd die Hand entgegen.

Leicht zitternd ergreife ich seine große, knöchelige, absolut perfekte Jungenhand und drücke sie leicht, damit er weiß, dass ich für ihn da bin.

Langsam laufen wir nebeneinander durch die sterilen Gänge, während meine Augen die Raumnummern auf der rechten Seite verfolgen.

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Abrupt hält Jason inne, als ein kleineres, schmales Mädchen mit langem braunen Haar und blauen Augen aus einem der Zimmer tritt. Sobald sie ihn ebenfalls erblickt, verstummt sich das Klacken ihrer Absätze auf dem Boden.

,,Na, du hast vielleicht Nerven, hier aufzutauchen.", sagt sie neutral und presst ihre rot geschminkten Lippen zu einer dünnen Linie zusammen.

Ihre Kleidung sieht teuer aus und auch wenn er mir nicht viel über sein Vergangenheit erzählt hat, nehme ich stark an, dass es sich bei diesem Mädchen um seine ältere Schwester handelt. Oder vielleicht auch Halbschwester, wer weiß.

,,Sie ist auch meine Mutter, Jess."

Jess Blick wird ein wenig sanfter, als sie näher zu uns tritt und schließt ihren Bruder in eine sanfte Umarmung.

,,Du solltest dich besser beeilen.", warkt sie ihn plötzlich, ,,Wenn Dad herausfindet, dass du hier bist, wird er nicht gerade erfreut sein."

Zwanghaft versuche ich mich zu erinnern, was Jason mir alles über seine Familie erzählt hat, damit ich nachvollziehen kann, warum sie ihn plötzlich warnt.

Das einzige, woran ich mich so spontan erinnere, ist, dass er immer ein liebevoller Vater gewesen ist, und - was ich absolut verstehen kann - nicht gerade begeistert war, als er herausgefunden hat, dass seine Frau ihn betrogen hat und Jason gar nicht sein leiblicher Sohn ist.

Das war der Punkt, als das Leben meines Engels bergab ging.

Seine Mutter schickte ihn fort zu seinem leiblichen Vater, der eigentlich ein ziemlich charmanter Mann ist, aber binnen Sekunden fuchsteufelswild werden kann.

Er ist dabei nie ins Detail gegangen, aber ich habe das Gefühl, dass seine Narben auf dem Rücken etwas mit seinem richtigen Dad zu tun haben. Ich finde das so furchtbar, dass ich diesen Gedanken bis jetzt erfolgreich verdrängt habe.

Dankend nickt Jason seiner Schwester zu, bevor er mich langsam mit in den Raum zieht.

Ich höre, wie sie geräuschvoll einatmet, als wir in ihr Blickfeld treten.

Auf den ersten Blick sehe ich, dass sie schon einige Chemotherapien hinger sich haben muss, denn ich kann kein einziges Haar in ihrem Gesicht ausmachen und ihre Haut ist blass und eingefallen.

,,Mum?", haucht Jason zitternd und erst schaut sie ihn geschockt an, bevor sie ihn zaghaft anlächelt.

,,Jason?", fragt sie ungläubig, ,,Bist du das wirklich?"

Sofort lässt Jason meine Hand los und geht näher zu seiner Mum, während ich mich im Hintergrund halte und leise die Tür schließe, denn ich möchte ihre Zweisamkeit nicht stören.

,,Hi Mum.", flüstert Jason mit Tränen in den Augen und setzt sich auf den Stuhl, welcher neben ihrem Bett steht.

Kraftlos greift sie nach der Hand ihres Sohnes und in diesem Moment schaut sie Jason mit so viel Liebe an, wie es nur eine Mutter kann.

,,Wie fühlst du dich?"

,,Ich hatte schon bessere Tage.", sagt sie rau und den letzten Teil kann sie kur flüsternd über die Lippen bringen.

Ich kann sehen, wie sich Jasons Augen ebenfalls mit Tränen füllen, aber er versucht, stark zu bleiben.

,,W-wieso bist du hier? Woher weißt du es?"

,,Sie haben von David gesprochen und davon, dass seine Frau schon im Krankenhaus ist, also bin ich hier her gekommen."

,,Ich bin so froh, dass du da bist.", sagt sie und streichelt Jasons Wange, als müsse sie sich überzeugen, dass er wirklich an ihrem Bett sitzt, ,,Schau dich an. Du bist so groß und schon so erwachsen geworden."

,,Ich bin trotzdem noch dein kleiner Junge.", haucht Jason.

Eine einzelne Träne verlässt ihr Auge und läuft einsam über ihre eingefallene Wange, während sie sich immer und immer wieder bei ihrem Sohn entschuldigt.

,,Es tut mir leid. Es tut mir so unfassbar leid."

,,Es ist okay.", versucht mein Engel seine Mum zu beruhigen, was ihm aber nicht wirklich gelingt.

,,Ich liebe dich so sehr.", schluchzt seine Mum plötzlich laut auf und nutzt all ihre verbleibende Kraft, um sich aufzusetzen und ihren Sohn zu umarmen, welcher ebenfalls liebevoll seine Arme um seine Mum schlingt.

,,Ich liebe dich auch.", murmelt er in ihre Schulter, während er über ihren Rücken streicht.

Und das ist der Moment, in dem mein Herz ganzs schwer wird, weil ich nie die Chance hatte, meiner Mum zu sagen, wie sehr ich sie liebe.

***

Wann habt ihr Geburtstag?

Ich wurde am 17.11.2001 geboren.

Star Gazers (BxB) | Deutsche ÜbersetzungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt