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"Hey mein Großer, du bist ja schon wieder gewachsen!" Breit grinsend kniete ich mich vor meinen Neffen und Patensohn Lennard, der mittlerweile daran arbeitete, ein fleißiger Krabbler zu werden. Schmunzelnd hob ich ihn hoch und drückte ihm einen Schmatzer auf die Wange, dann umarmte ich Laura, die mir die Haustür aufgemacht hatte. "Hey, schön dich zu sehen." "Ich freu mich auch, dass es endlich mal wieder klappt", erwiderte ich und betrat das Haus. Im Wohnzimmer setzte ich Lennard auf seiner Spieldecke ab und ließ mich selbst aufs Sofa fallen. Laura kam mit zwei Gläsern Wasser aus der Küche und reichte mir eins davon. "Danke. Ich bin so kaputt, das glaubst du gar nicht." "Hat Achim euch heute so hart rangenommen?", erkundigte meine beste Freundin sich leicht besorgt, aber ich schüttelte den Kopf. „Nein, jedenfalls nicht mehr als sonst und auch nicht mehr als Verena letzte Saison, aber ich war irgendwie platt heute, hatte wenig Energie." „Aber du wirst nicht krank, oder?" „Nein, Quatsch. Ich war einfach müde und nicht so motiviert, aber einen schlechten Tag kann ja jeder mal haben." „Stimmt. Und sonst so? Wie geht's Julian?" Ich unterdrückte ein genervtes Schnauben, weil ich meinen Freund, mit dem ich mich heute Morgen mal wieder wegen der Spülmaschine gefetzt hatte, eigentlich hatte verdrängen wollen. Mein Stimmungswechsel entging auch Laura nicht. „Habt ihr Stress?" Ich nickte schwach. „Ständig wegen irgendwelchen Kleinigkeiten und meistens weiß ich schon kurze Zeit später nicht mehr, wegen was wir uns eigentlich gestritten haben." „Das kenn ich. Sven und ich haben uns am Anfang ständig in den Haaren gehabt und ich wäre am liebsten wieder ausgezogen. Dann dachte ich mir immer, dass ich mir für Lennard wünsche, dass er in stabilen Verhältnissen aufwächst und dass ich Sven ja eigentlich liebe, aber zwischendurch war ich echt kurz davor, hinzuschmeißen." Ich seufzte. „Ans Hinschmeißen habe ich bisher noch keinen Gedanken verschwendet, aber wenn Julian sich weiterhin weigert, sich wie ein professioneller 22-jähriger Fußballspieler zu verhalten, denke ich vielleicht doch mal drüber nach." Forschend sah Laura mich an. „Ich weiß ja, dass Julian gerne mal mit seinen Kumpels herumalbert, aber ist er wirklich so kindisch?" Ich zuckte die Schultern. „Ich liebe ihn eigentlich dafür, dass er manchmal so kindisch und ein bisschen idiotisch ist, aber im Moment ist er zu oft zu idiotisch und es ist nicht das kindische Verhalten, was mich stört, sondern die Verantwortungslosigkeit. Ich hab das Gefühl, er nimmt Dinge auf die leichte Schulter und wenn ich dazu was sage, bin ich direkt die Spießerin. Aber was soll ich denn machen? Den Mund halten, wenn er unter der Woche abends mit den Jungs feiern geht, obwohl er am nächsten Vormittag Training hat? Sorry, aber dafür muss er sich eine Freundin suchen, die sich nicht für ihn interessiert." Unglücklich schaute ich meine beste Freundin an, die mir sanft ihre Hand auf den Arm legte und kurz zudrückte. „Das wird schon wieder. Streiten gehört zu einer funktionierenden Beziehung dazu, das musste ich auch lernen. Hast du Julian denn mal gesagt, dass dich sein Verhalten manchmal stört?" Ich seufzte tief und nickte schwach, ein bitteres Lachen verließ meine Kehle. „Genau ein Mal habe ich ihn darauf angesprochen und dann hat er mir vorgeworfen, eine totale Spießerin zu sein, die mega übertreiben würde. Seitdem hab ich nichts mehr in die Richtung angedeutet." „Hm, das ist echt verzwickt. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie ihr das wieder hinkriegen wollt, ohne darüber zu reden." Ich zuckte die Schultern, dann wechselte ich schnell das Thema, um die Stimmung wieder zu heben. Die nächsten Stunden verbrachten Laura und ich damit, über alles mögliche von Serien bis zum Verein zu quatschen, bis mein Handy klingelte und mich in die Realität zurückholte. Julian hatte mir mehrere Nachrichten geschrieben, die ich nicht mitbekommen hatte, weshalb er jetzt anrief. Schnell hob ich ab. "Hey Schatz." "Hi, kannst du mich bitte vom Trainingsgelände abholen? Ich hab mich ein bisschen verletzt und der Doc meint, ich soll den Fuß bis Freitagmittag schonen und dann wiederkommen, damit er entscheiden kann, ob ich am Samstag spiele." "Klar hol ich dich ab. Gib mir 20 Minuten." "Okay, danke." Ich legte auf und seufzte, dann schaute ich Laura entschuldigend an. "Sorry, ich muss Julian abholen. Er hat sich wohl im Training verletzt und soll nicht selbst mit dem Auto nach Hause fahren." Meine beste Freundin nickte verständnisvoll. "Kein Problem, fahr mal schnell los, um dich um deinen Patienten zu kümmern." "Mach ich. Sehen wir uns diese Woche nochmal?" "Ich muss mal schauen, aber es sieht eher schlecht aus. Morgen hab ich mit Lennard einen Arzttermin und muss auch selbst noch zum Arzt, Donnerstag fahren wir zu Svens Eltern und am Freitag hab ich einen Auswärtstermin, da muss ich sowieso mal gucken, wo ich Lenni unterbringen kann. Sven hat nämlich keine Zeit, er muss zu irgendeinem Fototermin oder so." Meine Augenbrauen wanderten bei diesen vielen Terminen entsetzt nach oben. "Wie willst du das denn alles schaffen? Da musst du dich ja teilen." Laura nickte leicht lachend. "Ja, manchmal wünschte ich, ich könnte mich teilen. Aber na ja, ich krieg das schon irgendwie hin." "Gib Lennard doch mir", schlug ich vor und meine beste Freundin schaute mich überrascht an. "Echt jetzt?" "Klar. Ich hab am Freitag nichts vor, wir spielen diese Woche erst sonntags. Er kann auch am Donnerstagabend nach dem Training schon zu uns kommen, dann musst du dir morgens nicht mehr den Stress machen und zu uns fahren, bevor du zur Arbeit fährst." Dankbar sah Laura mich an. "Das ist so lieb von dir, tausend Dank. Ich bring euch den Kleinen dann am Donnerstag, wenn wir von Svens Eltern zurück sind." Ich nickte und lächelte. "Grüß die beiden lieb von mir. Ich wollte eigentlich auch mal wieder vorbeischauen, aber zuletzt bin ich da überhaupt nicht zu gekommen." "Ich richte die Grüße aus. Aber jetzt solltest du wirklich los, sonst wird Julian sauer." Ich nickte und umarmte meine beste Freundin, dann verabschiedete ich mich auch noch von meinem Neffen. Als ich schließlich im Auto saß, trat ich ordentlich aufs Gas, denn Laura hatte Recht. Julian gehörte nicht gerade zu den geduldigsten Menschen, besonders wenn er sowieso schon schlecht drauf war und das war er mit Sicherheit, wenn er sich verletzt hatte. Leise seufzend klopfte ich schließlich an die Tür des Arztzimmers und trat ein. Mein Freund saß mit leidvoller Miene auf der Liege, sein Fuß steckte in einer Bandage und neben ihm stand sogar ein Paar Krücken. "Hey Schatz, da bin ich. Was hast du denn angestellt?" "Der Doc sagt, es ist ne Überreizung. Ich soll den Fuß bis Freitag komplett schonen und dann sehen wir weiter." Sanft strich ich ihm über die Wange und küsste ihn, dann lächelte ich aufmunternd. "Kopf hoch. Ich fahr dich jetzt erstmal nach Hause und mach dir was leckeres zu essen, dann schauen wir einen Film, gehen schlafen und morgen sieht die Welt schon wieder ein kleines bisschen heller aus." Julian nickte, rutschte von der Liege und humpelte mir mit den Krücke hinterher. Ich steuerte wie gewohnt auf den Haupteingang zu, bis mir etwas einfiel. "Vor dem Gebäude sind natürlich Reporter wegen des Trainings. Die sollten besser nicht sehen, dass du an Krücken gehst, sonst gibt es nur wieder bescheuerte Schlagzeilen. Ich fahre mit dem Auto zum Seiteneingang C. Kommst du da hin?" Julian nickte und so trennten sich unsere Wege. Als wir 20 Minuten später zu Hause waren, machten wir es genau so, wie ich vorgeschlagen hatte. Nachdem ich gekocht und wir gegessen hatten, schauten wir einen Film, aber ich merkte, dass Julian keine gute Laune hatte, was defintiv an der Verletzung lag. Letztendlich ging er früh ins Bett und ich saß noch eine Weile allein auf dem Sofa, weil ich keine wirkliche Motivation aufbringen konnte, mich neben meinen Freund ins Bett zu legen. Dieser Gedanke erschreckte mich und ich dachte über mein heutiges Gespräch mit Laura nach. Wie sicher war ich mir in meiner Beziehung mit Julian eigentlich noch?

Plötzlich zwei Verehrer?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt