"Hast du meinen dunkelgrünen Pullover gesehen?", rief ich fragend durch die Wohnung und hörte ein genervtes Seufzen aus dem Wohnzimmer. "Nein, hab ich nicht!", kam die angepisste Antwort meines Freundes, der natürlich vor der Glotze saß, während ich meine Tasche für morgen packte. Frustriert seufzte ich und sah mich ein gefühlt tausendstes Mal im Zimmer um, dann entdeckte ich einen dunkelgrünen Zipfel unter Julians Sporttasche herausstehen und zog einmal kräftig daran. Im nächsten Moment hatte ich den gesuchten Pullover in der Hand. So ungern ich mich jetzt mit Julian streiten wollte, so gerne wollte ich ihm gerade eine Predigt halten. Ich hielt mich jedoch zurück und packte einfach nur den Pulli ein. Dann folgten die letzten Kleinigkeiten, bevor mein Blick auf den Wecker fiel. "Oh verdammt!" Schnell rannte ich ins Wohnzimmer. "Du weißt schon, dass wir für 13 Uhr eingeladen sind, oder? Wieso hast du mir nicht gesagt, dass es schon so spät ist?" Julian zuckte die Schultern. "Sorry, ich dachte du hast das im Blick." Ich schnaubte und legte den Kopf schief. "Wenn ich dich nicht so sehr lieben würde, würde ich dir für diesen Satz eine klatschen. Hopp jetzt, ich will nicht noch mehr zu spät sein, als wir es sowieso schon sind!" Mit diesen Worten scheuchte ich Julian vom Sofa und schaltete den Fernseher aus, dann zogen wir uns schnell unsere Jacken und Schuhe an und stiegen draußen in Julians Auto, um zu Benders zu fahren. Immer wieder sah ich nervös auf die Uhr und schließlich waren wir tatsächlich nur fünf Minuten zu spät. Erleichtert stieg ich aus, wir liefen zur Haustür und klingelten. Lächelnd öffnete Karin uns die Tür und zog mich direkt in eine Umarmung. "Emily, wie schön, dass ihr hier seid. Hallo Julian, komm, lass dich auch drücken." Sie umarmte also auch Julian, dann folgten wir ihr ins Wohnzimmer. Sven, Laura, Lars und Nele saßen auf dem langen Sofa, Robert saß im Sessel und hatte seinen Enkel auf dem Schoß und Julian, Karin und ich ließen uns auf dem etwas kürzeren Sofa nieder. Sofort wurde ich von meiner leiblichen Mutter in ein Gespräch verwickelt und den restlichen Nachmittag über vergaß ich, dass die Stimmung zwischen Julian und mir seit heute Morgen wieder so angespannt war, wie noch vor wenigen Wochen ständig.
"Es schmeckt wirklich super lecker, Heike. Du musst mir unbedingt das Rezept geben", lobte ich den Kuchen von Julians Mutter. Als Julian und ich vor wenigen Stunden hier angekommen waren, hatte es ein wahnsinnig gutes Mittagessen gegeben und obwohl ich eigentlich noch voll war, konnte ich dem Kuchen nicht wiederstehen, den Julians Mutter gerade auf den Tisch gestellt hatte. Nachdem ich das Stück quasi verschlungen hatte, lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück und schaute lächelnd in die Runde. Jannis und seine Eltern waren noch am Essen, Julian schaute gerade auf sein Handy und Jascha sah genauso wie ich die anderen an. Unsere Blicke begegneten sich und er grinste mich an, was ich erwiderte. Plötzlich spürte ich das Vibrieren meines Handys in der Hosentasche, entschuldigte mich und verließ den Raum. Als ich sah, wer mich da anrief, begann ich automatisch zu strahlen. "Bernd, wie schön, dass du anrufst!" "Ja, ich wollte dir natürlich nochmal persönlich Frohe Weihnachten wünschen und nicht nur eine WhatsApp schreiben. Ich hoffe, ich störe nicht." "Du störst nie, das weißt du doch! Dir auch Frohe Weihnachten. Wann bist du mal wieder in Deutschland, damit wir uns sehen können?" "Wenn alles klappt, bin ich nächste Woche da." "Oh mein Gott, wirklich?" "Jap. Ich besuche erst meine Familie und wollte dann mal in Leverkusen vorbeischauen. Denkst du, du findest ein wenig Zeit, die du mit mir verbringen kannst?" "Logisch, für dich finde ich immer Zeit. Am besten schreibst du mir dann die Details." Mein Grinsen schien nicht mehr aus meinem Gesicht verschwinden zu wollen, bis die Tür hinter mir geöffnet wurde und Julian mich fragend ansah. Sofort bröckelte mein Lächeln und ich verkniff mir ein Seufzen. "Du Bernd, ich muss jetzt leider auflegen. Julian und ich sind heute bei seiner Familie zu Besuch." "Dann störe ich also doch." "Nein!", widersprach ich sofort, "Wie gesagt, du störst nie. Aber ich kann halt gerade nicht weiterreden. Wir schreiben, ja?" "Versprochen. Bis dann Emmi." "Mach's gut." Ich legte auf und steckte mein Handy wieder ein. "Er ruft echt immer dann an, wenn du gerade keine Zeit hast", stellte Julian mit nicht definierbarem Unterton in der Stimme fest und ich zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. "Na und? Ich freu mich jedes Mal, wenn er anruft, ganz egal, ob es gerade eigentlich nicht passt." "Wenn ich dich anrufe, freust du dich nicht so." "Bist du etwa eifersüchtig? Auf Bernd? Ist dir klar, wie unnötig das ist?" "Wieso unnötig? So wie deine Augen anfangen zu strahlen, wenn du nur seinen Namen hörst, sollte ich mir vielleicht doch mal Gedanken machen." "Ist das gerade dein verdammter Ernst, Julian? Er ist mein bester Freund und außerdem hat er eine Freundin!" "Für manche Leute ist eine Beziehung kein Grund, nichts mit anderen anzufangen." Der unterschwellige Vorwurf in der Stimme meines Freundes brachte das Fass zum Überlaufen. "Sag mal, unterstellst du mir gerade, dass ich dich betrüge? Vertraust du mir so wenig?" "Ich hab einfach das Gefühl, dass du mir in letzter Zeit was verschwiegen und vor mir verheimlicht hast", versuchte Julian mit ruhiger Stimme zu erklären, aber damit kam er bei mir zu spät. Ich war sauer und enttäuscht. "Du musst auch nicht alles wissen, Julian. Aber du solltest mir vertrauen, das ist das Wichtigste in einer Beziehung! Wenn du mir nicht vertraust, kannst du auch gleich mit mir Schluss machen." "Das will ich aber nicht! Emily, ich vertraue dir! Wirklich. Aber trotzdem hab ich das Gefühl, dass du mir irgendwas nicht sagst." "Das Gefühl täuscht. Und selbst, wenn es da etwas gäbe, würde es dich nichts angehen!" "Hey, ich bin dein Freund, natürlich geht es mich was an! Ich finde, es gibt einiges, worüber wir mal reden sollten." Ich wusste genau, worauf er anspielte, weshalb ich den Blonden warnend ansah. "Nein Julian, darüber werden wir ganz sicher nicht hier und jetzt im Haus deiner Familie reden!" "Du weißt also, worüber ich mit dir reden will. Sehr gut. Bisher hast du immer so getan, als wüsstest du es nicht." "Julian, bitte." Meine Stimme wurde flehend, denn dass Letzte, was ich wollte, war, dass wir hier nur eine Tür von seiner Familie entfernt über unser Sexleben sprachen. Das schien Julian jetzt aber wohl auch klar zu werden, denn er sah mich mit kaltem, entschlossenem Blick an. "Wir reden darüber, wenn wir nach Hause fahren." Ich nickte bloß; erleichtert, dass ich die Katastrophe abgewendet hatte. Mit eisiger Stimmung gingen Julian und ich zurück zu seiner Familie und ich setzte schnell ein Lächeln auf, obwohl ich an den Gesichtern sah, dass sie jedes unserer Worte gehört hatten. Um die Atmosphäre nicht zu ruinieren, begann ich Jascha in ein Gespräch über die Schule zu verwickeln und es gelang mir, den Tag gut zu Ende zu bringen, bis Julian und ich uns schließlich verabschiedeten, um wieder nach Hause zu fahren. Und kaum waren wir wenige Meter gefahren, begann mein Freund mit dem Thema, über das ich auf keinen Fall reden wollte.
DU LIEST GERADE
Plötzlich zwei Verehrer?
FanfictionFortsetzung von Plötzlich zwei Brüder? Seit fast einem Jahr sind Emily und Julian zusammen und scheinen glücklich zu sein. Doch der Schein trügt, denn immer öfter geraten die beiden in Streit. Emily ist zunächst überzeugt, ihre Beziehung noch retten...