"Das ist Kira, oder? Die eine Physiotherapeutin." Laura nickte langsam, während ich das Bild ein weiteres Mal bis ins letzte Detail betrachtete. "Ich wusste nicht, dass die beiden sich so gut verstehen", murmelte ich mehr zu mir selbst, während ich die Dunkelhaarige und meinen Freund musterte, die eng beieinander liefen und offensichtlich über etwas lachten. Dann sah ich auf und meiner besten Freundin entgegen, die anscheinend darauf wartete, dass ich das ganze entweder lachend abtat oder einen eifersüchtigen Ausraster bekam. Mit hochgezogener Augenbraue erwiderte ich den besorgten Blick. "Wieso schaust du mich so an, Laura? Ich vertraue Julian und auf dem Bild ist nichts zu sehen, außer dass er sich gut mit einer der Physiotherapeutinnen versteht." "Okay, dann- dann lassen wir das jetzt einfach mal so stehen." Ich nickte, aber musste mir eingestehen, dass ich einen unangenehmen Stich in der Brust verspürte. Ja, ich vertraute Julian, aber trotzdem machte mich dieses Foto eifersüchtig. Mein Freund war auf einem anderen Kontinent, meilenweit entfernt und es war nicht ich, die mit ihm lachte und Zeit verbrachte, sondern Kira. Und gegen meinen Willen wurde mir bei diesem Gedanken unwohl.
"Hey Muffin." Ich erwiderte Julians Lächeln, während ich ihn auf dem Display des Laptops musterte. "Hi. Wie waren die ersten Tage im Trainingslager?" "Ganz gut. Klar müssen wir uns alle erstmal an Peter und seine Trainingsweise gewöhnen, aber ich denke, dass wir das schaffen können. Ansonsten ist Florida natürlich mega und gestern hatten wir auch mal ein paar Stunden Zeit, um die Gegend zu erkunden. Und wie lief es bei euch?" "Na ja, ich bin mal vorsichtig optimistisch. Man merkt, dass wir Defizite haben, mit denen wir uns ja schon durch die Hinrunde gequält haben. Die gilt es halt jetzt aufzuarbeiten. Aber wie gesagt, ich geb die Hoffnung nicht auf." Zuversichtlich grinste ich meinen Freund an, der es erwiderte, bis im Hintergrund Kais Stimme erklang. "Du bist dran, Jule." Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. "Was steht denn an?" Julian kratzte sich an der Wange. "Jeder hat Einzeltermine mit den Physios, um zu besprechen, was in der Hinrunde Schwierigkeiten bereitet hat oder wo die Verletzungen zugenommen haben. Dann sollen wir Übungen gezeigt bekommen, um ganz spezielle Muskeln und Sehnen zu stärken, damit das Verletzungsrisiko minimiert wird." Ich bemühte mich zu lächeln. "Nach deinem Hinrunden-Ende klingt das ja genau richtig für dich. Hast du dein Gespräch bei Kira?" Julian nickte und hielt dann irritiert inne. "Du kennst sie?" "Flüchtig. Aber ich hab sie auf ein paar Fotos von eurem Trainingslager erkannt, die durch die Presse gegangen sind." Mein Freund schien meinen gezwungen beiläufig klingenden Tonfall nicht zu hören, denn er lächelte bloß und schmatzte in die Luft. "Kuss, ich muss jetzt los. Wir schreiben, ja?" Ich nickte und bemühte mich, ehrlich zu lächeln. "Bis dann. Ich liebe dich." "Ich dich auch. Bye!" Der Bildschrim wurde schwarz, dann erschien das bekannte Skype-Logo und ich fuhr meinen Laptop mit einem tiefen Seufzen herunter. Gerade wollte ich so richtig schön in Selbstmitleid versinken, als mein Handy vibrierte und mich informierte, dass ich eine neue Nachricht hatte. Zu meiner Überraschung war sie von Niklas.
"Hey Emily, hier ist Niklas. Ich will dich echt nicht nerven, aber ich brauche dringend deine Hilfe. Hast du Zeit?"
Ich überlegte keine drei Sekunden, bevor ich ihm antwortete, dass ich Zeit hatte und ihm helfen würde. Daraufhin schickte er mir seine Adresse und ich stellte mit einem Blick auf meinen Pullover und die Jeans fest, dass ich mich nicht umziehen musste. Also stand ich auf, kontrollierte meine Haare nochmal kurz im Spiegel und schlüpfte in Schuhe und Jacke, bevor ich das Haus verließ und in mein Auto stieg. Die Fahrt zu Niklas dauerte nicht lang und mir wurde zu spät klar, dass ich auch einfach hätte laufen können. Zum Glück fand ich schnell einen Parkplatz vor dem wirklich sehr schönen Haus, lief eilig zur Tür und klingelte. Es dauerte fast eine Minute, bis Niklas mir die Tür öffnete. Seine Haare waren komplett durcheinander und standen in alle Richtungen ab, sein Gesichtsausdruck war von purer Hektik geprägt und sein T-Shirt und seine Jogginghose waren vorne sehr verfleckt. Beschämt begegnete der Dunkelhaarige meinem Blick. "Tut mir Leid, dass du mich so siehst. Ich seh nicht immer so aus, ehrlich. Aber meinem Vater gehts heute nicht gut und dann ist mir das Essen runtergefallen und eigentlich muss ich noch-" Sanft legte ich meine Hand auf Niklas' Arm und sah ihn durchdringend an. "Hey, ganz ruhig, eins nach dem anderen. Ich komm jetzt erstmal rein, okay? Und du erzählst mir, was los ist und wie ich helfen kann." Wir taten es genau so, wie ich es gesagt hatte und Niklas erzählte mir, dass sein Vater sich mehrere Male übergeben hatte, ihm deshalb das Essen angebrannt war und als er es hatte wegschütten wollen, hatte er sich am heißen Topf verbrannt und diesen fallen gelassen. Das Ende vom Lied waren ein verdreckter Niklas mit einer verletzten Hand, ein verdreckter Vater, der noch kein Essen bekommen hatte und ein verdreckter Küchenboden. Außerdem musste Niklas in 20 Minuten seine Nichte von der Schule abholen. Ich folgte dem Dunkelhaarigen durch das Haus in die Küche und er hatte nicht übertrieben. Der ganze Boden war von verbrannt riechender Soße bedeckt und ich konnte Niklas' Beschämung förmlich spüren. Entschlossen schob ich die Ärmel meines Pullovers hoch. "Alles klar. Gib mir einen Eimer Wasser und einen Lappen, dann mache ich hier unten sauber. Du kümmerst dich um dich und deinen Vater und wenn du mir die Adresse gibst, hole ich in 20 Minuten deine Nichte ab, okay?" "Du bist meine Rettung." Ich lächelte schwach. "Das ist selbstverständlich. Wenn ich wieder da bin, sollten wir uns mal deine verbrannte Hand ansehen. Aber erstmal kümmern wir uns um das Chaos hier." Niklas brachte mir alles, was ich brauchte und ich begann, den Küchenboden sauber zu machen, bis alles ordentlich war. Dann sprang ich auf und verließ das Haus, um Niklas' Nichte abzuholen. Die Fahrt zur Schule dauerte etwa zehn Minuten und ich war ein wenig zu spät, aber Niklas hatte dem Mädchen eine Nachricht geschickt, dass ich sie abholen würde. Die goldenen Engelslocken und das breite Strahlen fielen mir sofort auf und ich war mir sicher, dass ich die Richtige gleich entdeckt hatte. Ich hielt direkt vor ihrer Nase und sprang aus dem Auto. "Hey, ich bin Emily. Niklas schickt mich." Die Kleine legte den Kopf schief. "Ja, du passt du seiner Beschreibung. Ich bin Amelie." Ich lächelte. "Freut mich dich kennenzulernen, Amelie. Dann steig mal ein. Darfst du schon vorne sitzen?" "Klar, ich bin ja schon größer als 1,50m!" "Perfekt." Innerlich atmete ich erleichtert auf, denn ich besaß keinen Kindersitz und hatte in der Eile vorhin nicht daran gedacht. Wir stiegen ins Auto, sobald ich Amelies Schulranzen auf dem Rücksitz verstaut hatte, dann lotste die hübsche Blondine mich zu sich nach Hause. Als wir schließlich anhielten, blieb mir die Spucke weg. Vor mir erhob sich ein riesiges Haus umringt von gepflegten Hecken und einem eleganten Zaun. Ich erkannte teure Häuser sofort, immerhin war ich durch Julian und meine Brüder mit genug Fußballspielern bekannt, die in Villen und halben Palästen wohnten. Das hier fiel defintiv in die Kategorie "unverschämt teuer". Ich folgte Amelie ins Innere des Monstrums, denn ich übernahm Niklas' Aufgabe, auf die Kleine aufzupassen, bis ihre Mutter von der Arbeit kam. Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich also damit, Niklas' Nichte bei den Hausaufgaben zu helfen und mit ihr zu spielen, dann ließ ich mich erschöpft aufs Sofa sinken. Nur wenige Sekunden später erklang eine empörte Stimme. "Was machen Sie da?" Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und drehte mich um. Mir gegenüber stand eine perfekt gestylte Frau mit blonder Wallemähne und mir wurde sofort klar, woher Amelie ihre Haare hatte. Verlegen räusperte ich mich und zupfte meinen Pullover zurecht. Gegenüber dieser Frau fühlte ich mich schäbig und wie der letzte Penner gekleidet. "Entschuldigung, ich hab mich nur kurz hingesetzt. Amelie wollte die Mathehausaufgaben unbedingt alleine machen." "Das erklärt noch nicht, wer Sie sind und wo mein Bruder ist." "Ähm, er hat mich geschickt, um seine Nichte abzuholen, nach Hause zu bringen und auf sie aufzupassen. Niklas konnte leider nicht, Ihrem Vater geht es heute nicht gut." "War ja klar, dass es wieder nur um Papa geht. Richten Sie Niklas aus, dass ich nicht möchte, dass eine Fremde meine Tochter abholt und auf sie aufpasst. Ich kenne Sie gar nicht." "Ich bin Emily", stellte ich mich schnell vor und merkte im selben Moment, dass das nicht wirklich hilfreich war, "Aber das ändert natürlich nichts daran, dass Sie mich nicht kennen." Die Blondine legte den Kopf schief und musterte mich, dann schien ihr ein Licht aufzugehen. "Doch, ich kenne Sie. Sie waren vor kurzem in den Nachrichten, richtig? Sie sind Fußballspielerin." "Ja, das stimmt." "In welchem Verhältnis stehen Sie zu meinem Bruder?" "Wir sind Freunde." "Aha. Nun ja, danke, dass Sie auf meine Tochter aufgepasst haben, aber jetzt sollten Sie gehen." "Natürlich." Ich lief noch schnell die Treppe hoch, um mich von Amelie zu verabschieden, dann verließ ich beinahe fluchtartig das Anwesen. Als ich schließlich im Auto saß, musterte ich das gigantische Haus ein letztes Mal. Wie konnte es sein, dass diese Frau so wohnte und ihr Bruder sich mit zwei Jobs durchschlug, während er nebenbei seinen Vater pflegte?
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Plötzlich zwei Verehrer?
FanfictionFortsetzung von Plötzlich zwei Brüder? Seit fast einem Jahr sind Emily und Julian zusammen und scheinen glücklich zu sein. Doch der Schein trügt, denn immer öfter geraten die beiden in Streit. Emily ist zunächst überzeugt, ihre Beziehung noch retten...