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Die Tür vor mir wurde geöffnet und eine strahlende Heike Brandt stand vor mir. "Emily, wie schön, dass du da bist!" Sie umarmte mich und machte dann einen Schritt zur Seite, damit ich das Haus betreten konnte. "Jungs, kommt doch mal ins Wohnzimmer! Emily ist hier!" Im nächsten Moment landete ich fast auf dem Boden, denn Jascha war wie aus dem Nichts gekommen und hatte mich praktisch "angefallen". Lachend erwiderte ich seine Umarmung. "Es ist echt cool, dass du hier bist", begrüßte er mich, nachdem er mich losgelassen hatte und ich nickte lächelnd. "Ich freu mich auch, hier zu sein." Schnell zog ich meine Schuhe aus, dann folgte ich Heike und ihrem jüngsten Sohn ins Wohnzimmer. Kaum hatten wir uns dort aufs Sofa gesetzt, kamen auch schon Jürgen und Jannis zu uns. Ich begrüßte die beiden jeweils mit einer Umarmung und ließ mich dann zwischen Julians Brüdern aufs Sofa fallen. "Es ist wirklich lieb, dass ich bei euch übernachten kann, Heike. Vielen Dank nochmal." "Ach, das ist doch selbstverständlich. Erzähl mal, wie war dein Tag?" Ich seufzte. "Frag lieber nicht. Er fing echt gut an, die Bahn hatte heute einen ihrer wenigen pünktlichen Tage und die Unterkunft in Hannover war der Wahnsinn. Extrem gut organisiert und verwaltet, ehrliches Engagement, ein super eingespieltes und total herzliches Team. Genau so haben Sven, Lars und ich uns das vorgestellt, als wir die Stiftung gegründet haben. Dass wir Menschen finden, die diese Arbeit von Herzen gerne machen und ihr Bestes geben, weil ihnen die Hilfsbedürftigen am Herzen liegen." "Aber?" Ich seufzte erneut. "Hamburg war eine Katastrophe. Auf den ersten Blick war es sauber, aber hinter den Betten in den Ecken war es mega staubig und dreckig. Die Frau, die diese Unterkunft leitet, hat nur gejammert, dass sie viel zu wenige Mitarbeiter hat und mehr Geld braucht, um mehr Leute bezahlen zu können. Die Unterkunft ist zwar fast doppelt so groß, wie die in Hannover, aber dafür gibt es mehr als doppelt so viele Mitarbeiter. Die Buchführung war ganz okay, aber an der einen oder anderen Ecke haben die offensichtlich gerundet bei den Beträgen. Und überhaupt, die ganze Atmosphäre. Das von Herzen kommende Engagement hat mir irgendwie gefehlt. Die meisten Mitarbeiter scheinen die Arbeit wirklich gerne zu machen, weshalb ich denke, dass es an der Leiterin liegt. Ich muss da nochmal detailliert mit Sven und Lars drüber reden, aber ich denke, es wäre am besten für alle Beteiligten, wenn wir diese Stelle neu besetzen würden. Natürlich hat keiner der Obdachlosen sich beschwert oder so, sie sind alle froh, dass es die Unterkunft überhaupt gibt und lieber ein nicht so sauberes Zimmer mit einer funktionierenden Heizung, als draußen in der Kälte im Schlafsack. Aber wie gesagt, das muss ich nochmal mit meinen Brüdern klären, wenn wir die Nachbesprechung machen. Erstmal bin ich morgen auf die Unterkunft hier in Bremen gespannt. Bisher ist uns da nie etwas negatives aufgefallen, deshalb hoffe ich, dass das besser läuft, als Hamburg heute." "Das klingt, als hättest du heute ganz schön viel erlebt." "Ohja, das hab ich wirklich. Und mir haben heute auch so unglaublich viele hilfsbedürftige Menschen gedankt und ein paar haben durch die Unterstützung sogar Jobs gefunden oder sich endlich überwunden, sich gegen ihr Sucht zu wehren und in Hamburg waren zwei ehemalige Fischer, die mir erzählt haben, dass sie als Jungen befreundet waren und sich dann komplett aus den Augen verloren haben, bis sie sich vor wenigen Monaten im Obdachlosenheim begegnet sind. Jetzt bauen sie sich gegenseitig auf und wollen sich von nichts mehr unterkriegen lassen. Solche Geschichten führen mir dann wieder vor Augen, wieso wir die Stiftung gegründet haben. Klar gibt es Unterkünfte wie die in Hamburg, wo nicht alles wie gewünscht läuft, aber es gibt eben auch Orte wie Hannover, die uns immer wieder beweisen, dass die Stiftung eine gute Sache ist." Jürgen wollte gerade etwas dazu sagen, als es an der Haustür klingelte. "Nanu, wer kommt denn jetzt noch? Erwarten wir noch jemanden?", fragte Heike verwirrt und Jürgen und Jascha schüttelten den Kopf, während Jannis schmunzelte. Sofort sprach ich ihn darauf an. "Du weißt doch was, ich seh es dir an." "Mach doch die Haustür auf, dann weißt du, was ich weiß." Ich runzelte kurz die Stirn, dann ging mir ein Licht auf und meine Augen wurden groß. "Oh mein Gott, ist es etwa das, was ich denke, was es ist?" "Was denkst du denn?", entgegnete Jannis grinsend und ich quietschte erfreut, bevor ich aufstand und zur Haustür lief. Schwungvoll riss ich die Tür auf und entdeckte einen riesigen Strauß roter Rosen. Dahinter erschienen wenige Sekunden später die blonden Haare meines Freundes und dann grinste er mich schließlich an. "Du bist hier!", rief ich begeistert und fiel ihm so heftig um den Hals, dass er beinahe die Rosen fallen gelassen hätte. "Natürlich bin ich hier. Ohne dich ist die Wohnung so leer und deshalb dachten Nala und ich, es wäre am besten, wenn wir dahingehen, wo du hingehst." Lächelnd küsste ich ihn, dann nahm ich ihm den Rosenstrauß ab und machte ihm Platz, damit er das Haus betreten konnte. Während Julian sich seiner Schuhe entledigte, begrüßte ich Nala mit einer ausgiebigen Knuddeleinheit, dann liefen wir gemeinsam ins Wohnzimmer, wo Julian seine Familie begrüßte. Heike hatte Freudentränen in den Augen und auch ich war gerührt vom Anblick der drei Brüder, die sich in den Armen lagen. Natürlich wurde auch Nala von allen herzlich begrüßt und es wurde ein wunderschöner Familienabend. Jeder erzählte, was in seinem Leben gerade so los war und wir planten auch schon, was wir am 26. Dezember zusammen machen wollten. Erst, als die Uhrzeit uns klarmachte, dass der neue Tag bereits angebrochen war, gingen wir alle ins Bett. In der Löffelchenstellung kuschelte ich mich an Julian und seufzte glücklich. "Das war eine wunderschöne Überraschung." "Freut mich, dass sie dir gefallen hat. Kann ich morgen eigentlich mit in die Unterkunft kommen?" "Klar. Die freuen sich bestimmt über eine weitere helfende Hand." Ich gähnte und schloss müde die Augen. Julian drückte mir einen sanften Kuss auf den Hinterkopf. "Schlaf gut. Ich liebe dich." "Ich liebe dich auch. Gute Nacht." Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann war ich bereits im Land der Träume.

"Vielen Dank, dass ihr hier wart, Emily. Ich hoffe, du bist zufrieden damit, wie es hier läuft." Ich nickte. "Ja, wie gesagt, ich bin wirklich positiv überrascht, wie gut ihr alle zusammenarbeitet, obwohl ihr erst vor kurzem so viele Wechsel im Personal hattet. Und melde dich bitte bei mir, wenn ihr einen möglichen neuen Partner wegen den Lebensmitteln gefunden habt, damit meine Brüder und ich uns dann mit denen in Kontakt setzen können für die letzten Details und vertraglichen Einigungen." "Klar, mach ich. Kommt gut nach Hause." "Danke. Wir hören voneinander." Mit diesen Worten verabschiedete ich mich von Kai, der die Obdachlosenunterkunft in Bremen leitete. Hand in Hand verließen Julian und ich das Gebäude und liefen zu ihm nach Hause. Dort verbrachten wir noch eine gute Stunde mit seiner Familie, bevor wir zum Bahnhof und von dort nach Hause fuhren. Es waren wirklich ereignisreiche zwei Tage gewesen und ich konnte es kaum erwarten, von Sven und Lars zu hören, wie es bei ihnen gelaufen war.

Plötzlich zwei Verehrer?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt