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"Du bist nicht die Erste, die so auf das Haus meiner Schwester reagiert. Aber Klaras Mann Torben ist ziemlich reich und sie verdient als Immobilienmaklerin auch nicht gerade wenig." Noch immer entsetzt starrte ich Niklas an, dem es nichts auszumachen schien, wie seine Schwester im Vergleich zu ihm lebte. Aber mich machte es rasend. "Sie hat so einen Haufen Geld und kann nichtmal einen winzigen Teil davon lockermachen, mit dem sie dich und deinen Vater unterstützt? Das geht gar nicht! Wie kannst du unter diesen Umständen nur so ruhig bleiben und ihr auch noch anbieten, ihre Tochter abzuholen und zu babysitten? Ich will wirklich nichts schlechtes über deine Schwester sagen, aber-" "Dann lass es!", unterbrach Niklas mich harsch und als mich die Rage langsam verließ, bemerkte ich erst, dass sich seine Mimik und Körpersprache komplett geändert hatten. "Du hast kein Recht, über Klara zu urteilen oder zu sagen, welches Verhalten richtig oder falsch ist. Du kennst unsere Familiengeschichte nicht, du kennst uns nicht, also tu auch nicht so, als ob es anders wäre. Mein Vater und ich kommen gut allein zurecht!" Ich schluckte und senkte verlegen den Kopf. "Tut mir Leid, ich wollte dich nicht irgendwie bevormunden oder so. Ich hab über die Stränge geschlagen. Natürlich bekommen dein Dad und du das hin, daran besteht gar kein Zweifel." Wir schwiegen kurz und Niklas brachte ein kleines Nicken zustande. "Ich denke, es wäre besser, wenn ich jetzt gehe", murmelte ich schließlich und wieder nickte mein Gegenüber, dann seufzte er und sah mich mit einem schwachen Lächeln an. "Danke für deine Hilfe. Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde." "Kein Ding, jederzeit. Wenn irgendwas ist, dann melde dich einfach. Oder auch, wenn nichts ist." Verwirrt über meine plötzlich Verlegenheit, rieb ich mir über die Stirn und bemühte mich zu lächeln. Zu meiner Überraschung umarmte Niklas mich kurz, dann verabschiedeten wir uns voneinander und ich verließ das Haus. Erschöpft vom bisherigen Tag stieg ich in mein Auto und checkte zum ersten Mal seit Stunden mein Handy. Julian hatte mir eine kurze Gute-Nacht-Nachricht geschrieben, weil er wusste, dass mein Tag schon bald vorbei war, während es für ihn erst Mittag war. Ich antwortete ihm schnell, dass er mit seiner Nachricht etwas zu früh dran war, ich mich aber sehr darüber freute, dass er an mich gedacht hatte. Dann erkundigte ich mich nach seinem Gespräch mit den Physiotherapeuten, sperrte das Handy wieder und fuhr los. Jetzt sehnte ich mich nur noch nach dem Sofa und einem leckeren Abendessen.

Müde blinzelte ich und brauchte einen Moment, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten und ich mich orientiert hatte. Verschlafen tastete ich nach meinem Handy neben mir, um den Wecker auszuschalten, dann rollte ich mich auf die Seite und starrte auf das Display, das mich leicht blendete. Mit zusammengekniffenen Augen checkte ich meine Nachrichten und wie das Wetter heute werden würde, dann seufzte ich. Es nutzte ja nichts, ich musste aufstehen. Widerwillig schälte ich mich aus dem Bett, das ohne Julian unglaublich leer zu sein schien, dann machte ich mich im Bad kurz frisch. Zurück in meinem Zimmer schlüpfte ich in eine Jeans, ein langärmliges Shirt und einen Cardigan, bevor ich in die Küche ging, um meinen morgendlichen Tee zu trinken. Hinter mir erklang das vertraute Tapsen von Nalas Pfoten und ich drehte mich lächelnd um und ging in die Knie, um mit der Hündin zu kuscheln. "Guten Morgen, meine Süße. Na, bist du bereit für einen Spaziergang?" Als hätte sie mich verstanden, wippte Nala mit dem Kopf und schleckte mir die Handfläche ab, was mich kichern ließ, weil es ein wenig kitzelte. Mit meiner dampfenden Tasse in der Hand lief ich ins Wohnzimmer, wo ich das Radio anmachte. Das tat ich eigentlich immer, wenn Julian morgens nicht da war, weil dann niemand da war, der mit mir redete. In Gedanken versunken lauschte ich nur am Rande den Nachrichten, dem Wetterbericht und den neusten Hits, während ich Schluck für Schluck meinen Tee austrank und mit Nala kuschelte, die es sich neben beziehungsweise halb auf mir bequem gemacht hatte. Nach einer knappen Viertelstunde brachte ich die leere Tasse in die Küche und zog mich im Flur warm an, dann befestigte ich die Leine an Nalas Halsband und wir verließen die Wohnung. Im Treppenhaus begegnete ich unseren Nachbarn aus dem Stockwerk unter uns und begrüßte sie freundlich, dann verließen wir das Haus und die kalte Januarluft schlug mir entgegen. Wir liefen zuerst zum nächsten Park, dann über einen Bogen zurück nach Hause. Unterwegs begegnete ich fast niemandem, außer anderen Hundebesitzern und Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit waren. Aber ich genoss die Ruhe und die verhältnismäßig ruhigen Straßen, genauso wie die kahlen Bäume und kalte, aber dafür klare Luft. Auch Nala, die entweder neben oder zwei Meter vor mir trottete, schien die Ruhe zu genießen, bis wir eine Wiese erreichten, die für uns beide nur eins bedeutete: Spielen. Die Hündin trabte zu mir und ließ sich die Leine abmachen, dann rannte sie los und brachte mir nach nur wenigen Sekunden einen Stock. Auffordernd und schwanzwedelnd sah sie mich an und ich tat, was sie mir stumm befahl und warf den kleinen Ast. Ein beiges Fellknäuel zischte neben mir los und brachte mir kurze Zeit später den Stock wieder und so spielten wir eine Weile, bis ich auf die Uhr sah und feststellte, dass wir uns dringend auf den Heimweg machen sollten. Ich pfiff und Nala kam zu mir gelaufen, sodass ich ihr die Leine anlegen konnte, dann verließen wir die Wiese. Zuhause angekommen schnappte ich mir nur noch meine Sporttasche, die ich schon gestern gepackt hatte, dann versorgte ich Nala mit Futter und Wasser, verabschiedete mich von ihr und fuhr zum Training.

Keuchend stützte ich mich auf meinen Knien ab und schaute grinsend zu Gianna, die meinen Gesichtsausdruck spiegelte. "Der Trick vorhin war echt gut, den merke ich mir", ließ sie mich wissen und erinnerte mich daran, wie ich ihr vorhin den Ball abgenommen hatte. Ich nickte und wischte mir eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus dem Zopf gelöst hatte. "Mach das. Den hab ich das erste Mal glaub ich bei einem Spiel gegen Bayern gemacht und als es gut geklappt hat, hab ich das ganze noch perfektioniert." "Ich hab mich echt kurz gefragt, ob du drei Beine hast." Wir mussten beide lachen und ich schüttlete dabei leicht den Kopf, dann fiel mein Blick auf den Rest des Teams. Gianna und ich waren gerade bei der Sprint-Station gewesen, als nächstes ging es ans Freistöße üben. Davor durften wir aber kurz verschnaufen, was auch bitter nötig war. Als ich das Gefühl hatte, dass mein Herzschlag sich ein wenig beruhigt hatte, joggte ich zur nächsten Station und Gianna und ein paar anderen taten es mir gleich. So trainierten wir bereits seit einer knappen Stunde und eine weitere Stunde später stand eine Pause an, in der wir drinnen von den Physios gefoltert wurden. Als ich am späten Nachmittag schließlich das Gelände verließ, begegnete ich Niklas. Automatisch begann ich zu lächeln und hob grüßend die Hand, was er mir gleichtat. Sofort entdeckte ich den Verband daran. "Hey, war es doch eine schlimmere Verbrennung?", erkundigte ich mich besorgt und der Dunkelhaarige nickte. "Die Schmerzen und die Bläschen sind über Nacht schlimmer geworden, deswegen war ich dann heute Morgen doch noch beim Arzt. Jetzt muss ich meine Krankschreibung abgeben." Er klang sehr unzufrieden damit und ich konnte mir vorstellen, dass ein Arbeitsausfall für ihn ziemliche Geldsorgen zur Folge hatte. "Wie lange musst du denn pausieren?" "Mindestens zwei Wochen, aber der Arzt hätte lieber drei bis vier, weil ich ja viel mit den Händen arbeite." "Das tut mir echt Leid. Geht es deinem Vater heute wenigstens etwas besser?" "Ja, zum Glück. Ansonsten hätte ich ihn heute ins Krankenhaus gefahren. Ich muss auch gleich wieder zurück, ich will ihn nicht so lange allein lassen." Ich nickte verständnisvoll. "Klar, ich will dich auch gar nicht lange aufhalten. Wir sehen uns." "Ja, mach's gut, Emily." Mit diesen Worten ließ er mich stehen und ich schaute ihm nach, bis sein dunkler Haarschopf aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Obwohl ich wusste, dass Niklas das nicht wollen würde, fuhr ich zum nächsten Geldautomaten und hob einiges ab, was ich zu Hause in einen Umschlag packte. Sobald Niklas' Name daraufstand, fuhr ich zu seinem Haus und legte das Geld in den Briefkasten. Hoffentlich würde er es auch benutzen und nicht ablehnen. Als das erledigt war, fuhr ich wieder zurück nach Hause und stellte fest, dass Julian mir heute noch gar nicht geschrieben hatte, weshalb ich ihm kurzerhand eine Nachricht schickte und mich nach seinem Tag erkundigte. Wieder machte sich dieses unangenehme Gefühl in meinem Bauch breit und ich versuchte angestrengt, es zu ignorieren. Ich wusste doch, dass jegliche Eifersucht unbegründet war. Also wieso störte es mich gegen meinen Willen so sehr, dass mein Freund sich sehr gut mit einer Physiotherapeutin verstand? Verwirrt über meine Gedanken und Gefühle schüttelte ich den Kopf und begann mich abzulenken, was einige Stunden lang klappte. Als ich schließlich todmüde ins Bett fiel, hatte Julian sich noch immer nicht bei mir gemeldet.

Plötzlich zwei Verehrer?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt