"Sophia, hey." Lächelnd umarmte ich Kais Freundin und anschließend ihn, bevor ich mich wieder leicht gegen Julian lehnte. Normalerweise war ich niemand, der es mit dem Alkohol übertrieb, aber an Silvester wurde mir wieder bewusst, dass ich das Jahr ohne meine Eltern beendete und das neue Jahr auch ohne sie begann. Natürlich sollte man nicht immer der Vergangenheit hinterhertrauern, aber das war so viel leichter gesagt, als getan. Ich wusste nicht, wann es endlich aufhören würde weh zu tun. Nach dem Tod meines Vaters hatte es fast zwei Jahre gedauert, bis ich an ihn dachte und dabei lächeln konnte, aber zu meiner Mutter hatte ich eigentlich immer eine engere Beziehung gehabt. Leise seufzte ich und nahm einen weiteren großen Schluck aus meinem Plastikbecher, bevor ich mich in dem großen Raum umsah. Es waren unglaublich viele Menschen hier, aber davon war auszugehen, wenn man die gesamte Mannschaft mit Begleitung und wer wollte mit Freunden einlud. Ich war mir nichtmal sicher, wer diese Party organisiert und sich freiwillig für verantwortlich erklärt hatte, aber ich war froh, dass ich nicht diese Person war, denn so betrunken und gut drauf, wie hier einige waren, konnte keiner wissen, was heute Nacht noch passieren würde. Erneut trank ich einen großen Schluck, dann war mein Becher auch schon wieder leer und ich löste mich von Julian. "Sehen wir uns nachher beim Feuerwerk?", erkundigte ich mich und der Blonde nickte, bevor er sich wieder in sein Gespräch mit Kai vertiefte. Ich lief zur Bar, wo allerhand Alkohol herumstand und mischte mir einfach irgendwas, ohne wirklich aufs Etikett zu schauen. Ich vertrug einiges, obwohl ich nicht regelmäßig trank, aber im Vergleich zu Laura beispielsweise, konnte ich viel ab. Im Vergleich zu Kevin Volland dagegen war ich eine Niete im Nicht-zu-schnell-betrunken-werden. Ich probierte meine Mischung und stellte fest, dass ich im Halbdunkel wohl Cola und Whiskey erwischt hatte, womit ich sehr gut leben konnte. Ich wollte mich gerade umdrehen und mir jemanden suchen, den ich kannte, als jemand leicht gegen mich knallte. Überrascht drehte ich mich um und sah direkt in ein paar blaue Augen, die mich durch Brillengläser hindurch freundlich ansahen. Sie waren blau, genauso wie Julians, aber während bei meinem Freund ein hellgrauer Stich vorhanden war, waren die meines fremden Gegenübers dunkelblau. Passend dazu hatte der junge Mann, den ich etwa auf mein Alter schätzte, schwarzes Haar, das einen guten Kontrast zu seiner relativ hellen Haut bildete. Er sah mich entschuldigend an. "Oh sorry, ich bin gestolpert. Hab ich dir weh getan? Oder hast du deswegen was von deinem Getränk verschüttet?" Ich sah prüfend meinen Becher an und schüttelte dann den Kopf. "Alles gut, nichts passiert. Und das mit dem Stolpern hätte mir genauso passieren können." "Echt? Bist du auch so tollpatschig wie ich?" Ich nickte und musste lachen. "Ich glaube an Tollpatschigkeit bin ich nicht zu übertreffen." Lächelnd streckte ich dem Fremden meine Hand entgegen. "Ich bin Emily." "Niklas. Freut mich, dich kennenzulernen." "Gleichfalls. Du bist keiner der Spieler, oder?" Er schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Ich bin mit Lukas befreundet und er hat gefragt, ob ich mitkommen möchte." "Lukas Hradecky?", erkundigte ich mich und Niklas nickte. "Genau. Kennst du ihn?" "Flüchtig. Ich bin mit einigen aus der Mannschaft befreundet beziehungsweise verwandt, aber mit Lukas hatte ich noch nicht so viel zu tun, seit er bei Bayer spielt." "Wow, das klingt ja, als ob du sowas wie ein fester Bestandteil der Mannschaft bist." Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Nicht wirklich. Zwei der Jungs sind meine Brüder, mit einem bin ich zusammen und mit zwei, drei anderen verstehe ich mich sehr gut." "Dann kennst du hier immerhin ein paar Leute. Ich kenne außer Lukas niemanden beim Namen, die Gesichter sind mir nur vom Sehen bekannt." Interessiert schaute ich ihn an. "Vom Sehen?" "Ja, ich arbeite Teilzeit für den Verein und mache alles, was gerade so anfällt. Manchmal irgendwelche Kisten schleppen, manchmal irgendwas umräumen, dem Platzwart helfen oder sonstwas." "Und was machst du mit dem Rest deiner Zeit, wenn du nur Teilzeit für Bayer arbeitest?" "Ich kümmere mich um meinen Vater. Er hatte vor einigen Jahren einen Schlaganfall und seitdem ist er auf meine Pflege angewiesen." "Das ist bestimmt nicht immer einfach." Niklas schüttelte den Kopf. "Nein, ist es nicht, aber ich möchte die Pflege auch nicht an irgendjemanden abgeben. Mein Dad und ich sind ein gutes Team, er hat mich und meine Schwester alleine großgezogen und sich immer um uns gekümmert. Jetzt bin ich dran, ihm etwas zurückzugeben." Ich nickte und lächelte, was Niklas erwiderte. "Aber jetzt genug von mir. Wo arbeitest du denn?" "Auch bei Bayer. Ich spiele in der Frauenmannschaft." "Wow, das hätte ich jetzt nicht erwartet", sagte Niklas überrascht und ich musterte ihn fragend. "Wieso nicht?" "Keine Ahnung, ich hätte irgendwie eher erwartet, dass du studierst." "Das hab ich auch, aber damit bin ich schon fertig." "Echt jetzt? Du bist doch höchstens 23, wenn überhaupt." "Ich bin 21 und habe einen Bachelor-Studiengang abgeschlossen. Geschichte." "Wow, klingt beeindruckend. Wie bist du denn dadrauf gekommen?" Und ehe ich mich versah, war ich mit Niklas in ein Gespräch über Pläne und deren Gegensatz zur Realität versunken. Als wir irgendwann bei Kindheitserinnerungen angekommen waren, fiel mein Blick flüchtig auf eine Uhr, die an der Wand hing. "Oh wow, es ist ja schon fast zwölf. Ich hab Julian gesagt, dass wir uns beim Feuerwerk wiedersehen." "Dann solltest du ihn besser mal suchen, sonst findet ihr euch nicht rechtzeitig", bemerkte Niklas lächelnd und ich nickte, bevor ich ebenfalls lächelte. "Es war echt schön, dich kennenzulernen und mit dir zu quatschen." "Das fand ich auch. Vielleicht sehen wir uns hier ja nochmal, ansonsten wünsche ich dir jetzt schon ein frohes neues Jahr." Ich nickte schmunzelnd. "Das wünsch ich dir auch. Mach's gut Niklas." Er lächelte mich an und drehte sich dann um, innerhalb weniger Sekunden war er in der Menge verschwunden. Ich drehte mich ebenfalls um und machte mich auf die Suche nach Julian. Als ich ihn schließlich fand, war es schon 23:57 Uhr. "Hey Muffin, da bist du ja", begrüßte mein Freund mich schmunzelnd und ich grinste ihn an. "Da bin ich. Gehen wir raus? Das Feuerwerk geht bestimmt pünktlich los." "Jap." Hand in Hand verließen wir den Raum und anschließend das Gebäude, wobei wir uns von der Garderobe noch schnell unsere Jacken schnappten. Auf dem großen Hof, der zu diesem gemieteten Gelände gehörte, standen schon ziemlich viele Leute und warteten auf das professionelle Feuerwerk, das irgendwer organisiert hatte. Noch immer Händchen haltend quetschten Julian und ich uns zwischen die herumstehenden Menschen und dann begannen die ersten Stimmen mit dem Countdown, in den wir sofort mit einfielen. "Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, frohes neues Jahr!" Die ersten Böller flogen in den schwarzen Nachthimmel und explodierten mit einem lauten Knall. Fasziniert musterte ich das bunte Treiben, das etwa zwei Minuten dauerte, dann begannen die ersten Anwesenden, ihre selbst mitgebrachten Böller zu zünden. Plötzlich erklang neben mir Musik und ich brauchte nur wenige Sekunden, um zu erkennen, um welches Lied es sich handelte. Sanft lächelte Julian mich an. "Erkennst du es wieder?" Ich nickte. "Natürlich. Die neunte Sinfonie von Antonin Dvorak. "New World" heißt das Stück, richtig?" "Genau." Wir grinsten uns an. "Das hast du letztes Mal an Silvester auch an gemacht. Und dann hast du gesagt, dass wir das Jahr 2018 wie eine neue Welt, eine neue Sinfonie ansehen sollen. Und dass Dinge besser laufen werden, als im vergangenen Jahr." "Das sind sie, findest du nicht auch? Für uns, weil wir immer noch zusammen und glücklich sind, beide ziemlich erfolgreich mit dem Verein, du bist mit einem positiven Ergebnis aus der Psychotherapie gekommen und nicht nur für uns lief es gut. Sven und Laura, Kai und Sophia und Lars und Nele sind zusammengezogen, Laura und Sven haben Lennard gekriegt. Die Dinge haben sich zum guten gewendet." Ich nickte leicht und schaute meinen Freund sanft an. "Ich liebe dich, Julian. Und ich wünsche dir ein frohes neues Jahr, von dem ich es kaum erwarten kann, ein Teil zu sein." Mit strahlenden Augen erwiderte Julian meinen Blick. "Ich liebe dich auch, Emily. Und ich kann es auch kaum erwarten, das neue Jahr mit dir zusammen zu erleben." Er beugte sich leicht zu mir runter und schon lagen seine weichen Lippen auf meinen und ich legte meine Hände in seinen Nacken, während wir uns innig küssten. Julians Hände wanderten an meiner Taille entlang zu meinem unteren Rücken und er zog mich leicht an sich heran. Leicht lächelte ich in den Kuss hinein und seufzte innerlich glücklich. Das neue Jahr bot viele neue Chancen. Ich nahm mir fest vor, in mancherlei Hinsicht über meinen Schatten zu springen und Dinge anzugehen, vor denen ich mich bisher gedrückt hatte. Eins davon würde ich direkt in wenigen Stunden in Angriff nehmen und ich spürte, wie sich zu der aufkommenden Angst ein aufgeregtes Kribbeln mischte. Es war gut, sich zu Silvester neue Dinge vorzunehmen und ich war wild entschlossen, meine Vorsätze nicht über den Haufen zu schmeißen. Mit Julian an meiner Seite, würde ich mich alles trauen.
Frohe Weihnachten🎄❄️♥️
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Plötzlich zwei Verehrer?
FanfictionFortsetzung von Plötzlich zwei Brüder? Seit fast einem Jahr sind Emily und Julian zusammen und scheinen glücklich zu sein. Doch der Schein trügt, denn immer öfter geraten die beiden in Streit. Emily ist zunächst überzeugt, ihre Beziehung noch retten...