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"Drei Explosionen haben heute Vormittag in einem Hochhaus in Leverkusen zahlreiche Opfer gefordert. Wie die Feuerwehr bekannt gab, hatte es ein Gasleck gegeben, das durch eine bisher noch nicht eindeutig festgestellte Ursache zu den Explosionen führte. Die Rettungskräfte schafften es in den letzten Stunden, alle Personen aus den Trümmern zu holen, kamen bei vielen allerdings zu spät. Laut aktuellen Angaben gibt es bis jetzt sechs Tote, mehrere Schwerverletzte und einige Leichtverletzte, die alle ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht wurden. Zu den Schwerverletzten und in Lebensgefahr schwebenden Personen gehört laut Insiderangaben auch Fußballspieler Julian Brandt. Sein Verein äußerte sich bisher nicht zu dem Vorfall. Wir halten Sie auf dem Laufenden und informieren Sie, sobald es Neuigkeiten gibt." Die Nachrichtensprecherin wechselte zum nächsten Thema und ich hörte auf, zuzuhören. Seit Stunden saß ich hier in der Notaufnahme und beobachtete, wie weitere Bewohner des Hauses eingeliefert wurden. Immer wenn ich gerade behandelt werden sollte, wurde ein weiterer Schwerverletzter gebracht, dessen Leben am seidenen Faden hing. Zusammengekauert harrte ich auf dem unbequemen Stuhl aus und versuchte zu begreifen, was vorhin passiert war. Die Feuerwehr hatte Stunden gebraucht, um überhaupt durch die Trümmer zu kommen und die ersten Personen zu befreien. Lotte, ihre drei Kinder und ich waren als Letzte aus dem Haus gekommen und als ich schließlich draußen auf der Straße gestanden hatte, hatte ich Julian gesehen. Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt unter all dem Staub und Blut. Er hatte bewusstlos auf einer Trage gelegen, die im selben Moment in einen Krankenwagen geschoben worden war. Ich war hinterhergerannt und wollte mitfahren, aber man ließ mich nicht. Und jetzt saß ich hier in der Notaufnahme, noch immer dreckig, blutig und völlig fertig mit der Welt und hatte noch nichts von ihm gehört. In diesem Moment kam ein Arzt auf mich zu und blieb vor mir stehen. "Frau Bender?" Ich nickte. "Folgen Sie mir bitte. Geht das, oder brauchen Sie einen Rollstuhl?" "Geht", murmelte ich nur und folgte ihm humpelnd in einen Behandlungsraum. Die Untersuchung zog beinahe an mir vorbei, ich antwortete wie eine Maschine auf die mir gestellten Fragen, dann wurden meine Wunden gesäubert und verbunden und ich bekam neue Klamotten. Der Arzt bestand auf ein CT und ein MRT und als ich beides hinter mir hatte und man einen Bänderriss und eine angebrochene Kniescheibe diagnostiziert hatte, bekam ich eine Schiene und Krücken. Erst als der Arzt mir erklärte, dass ich eine Nacht zur Beobachtung bleiben musste, kam ich wieder zu mir. "Ich will nach Hause." "Das geht leider nicht, Frau Bender. Ihr Haus ist zerstört, die Feuerwehr hat es noch nicht wieder freigegeben soweit ich weiß." "Ach ja, stimmt. Das hab ich wohl vergessen", murmelte ich unsicher, dann fiel mir etwas viel wichtigeres ein. "Was ist mit Julian?" „Mit wem?", erkundigte der Arzt sich irritiert. "Mein Freund. Er war bei den Schwerverletzten dabei." "Ich kann mich nach ihm erkundigen und fragen, ob Sie zu ihm können, wenn Sie möchten." Ich nickte und der Arzt holte sein Handy raus, um zu telefonieren. Er sprach nicht lange, dann lächelte er mich an. "Ihr Freund wurde operiert, aber er hat es überstanden. Jetzt liegt er auf der Intensivstation und ist vorerst stabil." "Kann ich zu ihm?" "Natürlich. Eine Schwester wird gleich kommen und Sie hinbringen. Wir sehen uns dann später bei der Visite." "Danke. Wirklich, vielen Dank."

"Er schläft noch und wird auch nicht so schnell aufwachen. Sein Körper braucht jetzt viel Ruhe, um sich zu erholen", erklärte die Schwester, während sie mir in die Schutzkleidung half. Dann schob sie den Rollstuhl, in den sie mich sicherheitshalber gesetzt hatte, in Julians Zimmer. Der Blonde lag wie tot im Bett, aber die vielen Geräte neben ihm gaben mir die Gewissheit, dass er noch lebte. Vor Erleichterung traten mir Tränen in die Augen und ich rollte mich näher an sein Bett und nahm seine Hand. Die Schwester verließ den Raum und ich atmete tief durch. "Ich hatte so eine scheiß Angst um dich, Julian. Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, bitte", flüsterte ich erstickt. Dann schwieg ich bloß und hielt stumm seine Hand. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, dann wurde die Tür geöffnet und die Schwester lächelte mich entschuldigend an. "Sie müssen jetzt leider gehen. Herr Brandt braucht Ruhe und Sie auch. Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer." Ich nickte und seufzte leise, dann hob ich Julians Hand hoch und küsste sie sanft. "Ich komme wieder, versprochen. Mach keine Dummheiten bis dahin, ja?" Die Schwester packte den Rollstuhl und fuhr mich von der Intensivstation. In meinem Zimmer angekommen, half sie mir ins Bett und fragte nach, ob ich noch etwas brauchte und erst in diesem Moment fiel mir ein, dass sich meine und Julians Familie mit Sicherheit große Sorgen machten. "Könnte ich vielleicht ein Telefon haben? Es gibt da einige Leute, die bestimmt darauf warten zu hören, was passiert ist. Und mein Handy war in der Wohnung." "Klar, ich bringe Ihnen gleich eins." Sie verließ das Zimmer und brachte mir kurze Zeit später ein Telefon. Als erstes rief ich Julians Eltern an. Heike hob bereits nach dem ersten Klingeln ab. "Brandt?" "Heike? Hier ist Emily." "Oh mein Gott, Emily! Es geht dir gut! Wie gehts Julian? Wir haben nur in den Nachrichten davon gehört, aber wir erreichen im Krankenhaus niemanden. Die Leitungen sind durchgehend besetzt, wahrscheinlich sind wir nicht die einzigen Angehörigen, die anrufen." "Julian musste operiert werden, aber er hat die OP überstanden und schläft noch. Ich weiß leider gar nicht, was er genau hatte. Irgendwie hab ich vergessen zu fragen, es war einfach alles ziemlich viel." "Ach, mach dir doch deshalb keinen Kopf. Hauptsache er wird wieder gesund. Wie geht's dir denn?" "Ich bin glimpflich davongekommen. Ein paar Verstauchungen, Prellungen, Kratzer, ein Bänderriss, eine angebrochene Kniescheibe und ein geplatztes Trommelfell links. Das ist glaub ich schon alles." "Großer Gott, das ist wirklich mehr als genug. Weiß deine Familie schon Bescheid?" "Nein, ich wollte erstmal euch anrufen und beruhigen. Julian hat es deutlich schlimmer erwischt als mich." "Das ist wirklich lieb von dir, aber jetzt will ich dich nicht länger davon abhalten, dich bei deinen Brüdern zu melden. Die Jungs und ich sind schon auf dem Weg nach Leverkusen." "Alles klar, dann bis dann." "Ja, mach's gut, Emily. Und danke nochmal für den Anruf." Heike legte auf und ich tippte direkt die nächste Nummer ein. "Bender?" "Hey Sven, ich bin's." "Emily! Gott sei Dank! Wir haben im Fernsehen von den Explosionen mitbekommen, haben dich und Julian aber nicht erreichen können. Von wo rufst du an?" "Vom Krankenhaus. Mein Handy liegt noch in der Wohnung. Oder lag, keine Ahnung. Ich hatte vorhin gar keinen Kopf mehr dafür, mir das Ausmaß der Explosionen anzusehen." "Wie geht's dir? Ist alles okay? Bist du verletzt?" "Nur kleinere Verletzungen, macht euch keine Sorgen." "Natürlich machen wir uns Sorgen! So wie ich dich kenne, spielst du deinen Zustand gerade total runter. Wie geht's Julian? Er wurde auch in den Nachrichten erwähnt." "Ihn hat es schlimmer erwischt, aber er hat die Operation überstanden und ruht sich jetzt aus. Mehr weiß ich auch nicht." "Sollen Laura und ich vorbeikommen? Oder Lars und ich? Oder nur ich?" "Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich bin fix und fertig und will heute nur noch schlafen. Der Arzt meinte, dass ich nur eine Nacht zur Beobachtung bleiben muss und morgen schon wieder gehen kann. Es wäre toll, wenn ihr mich dann hier abholen könntet." "Klar, machen wir. Du rufst dann am besten morgen nochmal an, wegen den Details. Kann ich sonst noch was für dich tun?" Ich seufzte. "Ja. Laura soll den Verantwortlichen des Vereins bitte mitteilen, dass Julian die Operation überstanden hat und wohl erstmal stabil ist. Und könntest du vielleicht auch Lars und eure Eltern anrufen und ihnen sagen, dass es mir gut geht?" "Wird erledigt." "Danke. Wir sehen uns morgen, hab dich lieb." "Ich hab dich auch lieb. Bye." Ich legte auf und atmete tief durch, dann tippte ich die letzte Nummer ein. Es klingelte mehrfach, dann erklang die erwartete Stimme. "Hallo?" "Hey Niklas, hier ist Emily." "Emily. Gott sei Dank, du lebst." Seine Stimme bebte und ich konnte den riesigen Stein, der ihm vom Herzen fiel, beinahe hören. "Ja, ich lebe. Ich bin im Krankenhaus." "Wie schlimm sind deine Verletzungen?" "Nicht schlimm." "Ich hab gehört, dass es Julian schwer erwischt hat." Ich schluckte hart. "Ja, er wurde operiert. Jetzt ist er stabil." "Hast du ihm von dem Kuss erzählt?" "Nein. Wir haben gerade darüber gesprochen und ich hab ihm gesagt, dass ich in unserer Beziehung keine Zukunft mehr sehe. Er wollte antworten, als es zum ersten Mal geknallt hat." "Und jetzt?" "Jetzt muss er erstmal aufwachen und gesund werden, dann werden wir weiterreden." "Was denkst du, was passieren wird?" Ich spürte, wie sich in dicker Kloß in meinem Hals festsetzte und meine Augen feucht wurden. "Ich denke, wir werden uns trennen." "Und was wirst du dann tun?" "Ich weiß es nicht, Niklas. Ich hab absolut keine Ahnung. Ich weiß nur, dass das Wichtigste jetzt erstmal ist, dass Julian wieder ganz gesund wird. Alles weitere wird sich zeigen."

Plötzlich zwei Verehrer?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt